Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kein Stopp der Gewalt in Syrien

Regierung: Opposition muss ebenfalls einlenken *

In Syrien geht die Gewalt weiter, obwohl die Führung in Damaskus den Friedensplan des UNO-Sondergesandten Kofi Annan akzeptiert hat. In der seit Monaten umkämpften Ortschaft Al-Rastan starben am Mittwoch nach Angaben von Regimegegnern drei Soldaten bei einem Gefecht zwischen der Armee und Deserteuren. In den Provinzen Homs, Daraa und Idlib seien insgesamt elf Menschen getötet worden.

Mitglieder der »Freien Syrischen Armee« töteten diesen Angaben zufolge auch einen General der Luftwaffe aus dem Hinterhalt. Sie lauerten dem Offizier Chalif al- Abdullah vor dessen Haus in der Provinz Aleppo auf. Die staatliche Nachrichtenagentur Sana berichtete, vier »Terroristen« seien an dem Attentat auf den hohen Militär beteiligt gewesen.

Die Vereinten Nationen hatten am Dienstag bestätigt, dass die syrische Regierung den von Kofi Annan vorgelegten Sechs-Punkte- Plan für Frieden in Syrien akzeptiert habe. Er sieht unter anderem die Freilassung aller politischen Gefangenen und eine von der UNO überwachte Waffenruhe vor. Annan ist der gemeinsame Sondergesandte der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga.

Die staatlichen syrischen Medien betonten, bislang habe nur die Regierung den Annan-Plan angenommen, die Opposition aber nicht. Die Oppositionsgruppen, deren wichtigste Vertreter sich in Istanbul versammelt hatten, erklärten am späten Dienstagabend: »Wenn es das Regime ernst meint, dann müssten morgen schon die Panzer aus den Straßen verschwinden und die politischen Gefangenen freigelassen werden, doch dies wird nicht geschehen.« Türkei-Premier Recep Tayyip Erdogan hält die Zustimmung des syrischen Regimes zum Friedensplan für ein taktisches Manöver.

* Aus: neues deutschland, 29. März 2012


Einbahnstraße

Damaskus nimmt Annan-Plan an

Von Werner Pirker **


Selbst wenn der ehemalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan nur Gutes im Sinn gehabt haben sollte, was ohnedies zu bezweifeln ist, bildet sein Sechs-Punkte-Plan keine wirklich geeignete Voraussetzung für eine friedliche Lösung des Konflikts in und um Syrien. Nachdem sich der UN-Sondergesandte die Zustimmung aus Moskau und Peking eingeholt hatte, sah sich die syrische Regierung dazu genötigt, den Plan zu akzeptieren. Hätte sie ihn abgelehnt, wäre sie der Fortsetzung des »Genozids am eigenen Volk« bezichtigt worden. Nun, da sie ihn angenommen hat, wird jede weitere Eskalation gegen sie ausgelegt werden.

Die Möglichkeit seiner einseitigen Auslegung ist im Annan-Papier bereits angelegt. Zwar richtet sich die Forderung nach einem Ende der Gewalt an beide Seiten, konkret aber sieht sich nur die Regierungsseite in die Pflicht genommen. Sie soll ihre Streitkräfte aus den bevölkerten Gebieten zurückziehen – analoge Forderungen an die bewaffnete Opposition werden nicht gestellt. In seinem Grundgehalt stellt der Annan-Plan eine ziemlich unverhüllte Einmischung in die inneren Angelegenheiten Syriens dar. So wird der Regierung in Damaskus gleich in Punkt eins die Verpflichtung abverlangt, mit dem UN-Beauftragten bei der Erfüllung der »legitimen Anliegen des syrischen Volkes« zusammenzuarbeiten.

Die Opposition legte den Plan dann auch umgehend als Einbahnstraße zu ihrer Machtergreifung aus. Das Regime habe auf die Bekämpfung des bewaffneten Aufstandes zu verzichten, damit dieser siegreich zu Ende geführt werden könne. Doch werde sich Assad nicht an die Abmachung, jedenfalls nicht zu der von ihnen gewünschten Interpretation, halten, befürchten Aufständische, Westmächte und arabische Feudalstaaten unisono, womit die Schuldfrage für die Fortsetzung der Gewalt gleich einmal geklärt wäre. Der einseitigen Auslegung des Annan-Papieres im Sinne eines »umgehenden Rückzuges des syrischen Militärs in die Kasernen« bei gleichzeitigem Vormarsch der Oppositionskräfte in die von den Regierungstruppen geräumten Stellungen bediente sich auch Linken-Sprecher Stefan Liebich im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages. Läßt sich die syrische Armee nicht auf ihre Selbstaufgabe verpflichten, ist die nächste Liebich-Erklärung fällig, die dann wohl eine nach »Einzelfallprüfung« erfolgte Kriegserklärung wäre.

Der Annan-Plan enthält keinerlei Vorschläge für einen nationalen Dialog, was darauf schließen läßt, daß sein Hauptzweck in der Einleitung eines Prozesses besteht, an dessen Ende der Sturz des Baath-Regimes stehen soll. Die Bereitschaft des Regierungslagers zu einer Verfassungsreform in Richtung eines demokratischen Mehrparteiensystems ist von der internationalen Interventionsgemeinschaft und ihren syrischen Schutzbefohlenen auf gewaltsame Ablehnung gestoßen. Was ansteht, ist ein Regimewechsel zu den vom Westen vorgegebenen Geschäftsbedingungen.

** Aus: junge Welt, 29. März 2012 (Kommentar)


Zurück zur Syrien-Seite

Zurück zur Homepage