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"Zeit ist wichtig"

Positive Resonanz aus Damaskus auf Vorschläge Kofi Annans

Von Karin Leukefeld *

In vielen syrischen Städten versammelten sich am Donnerstag (15. März) Hunderttausende Menschen, um für die nationale Einheit und gegen ausländische Einmischung zu demonstrierten. Auf Transparenten und bei Reden unterstützten sie auch das Reformprogramm von Präsident Baschar Al-Assad, der für Mai Parlamentswahlen angekündigt hat. Gleichzeitig berichteten die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch und die syrische Auslandsopposition unter Verweis auf »Aktivisten« über neue militärische Offensiven des syrischen Militärs vor allem in der Region Idlib mit vielen Opfern. Nach Angaben internationaler Hilfsorganisationen und Nachrichtensender würden »Ströme von Flüchtlingen« in die Türkei kommen.

Der Sonderbeauftragte von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und der Arabischen Liga, Kofi Annan, erhielt derweil aus Damaskus eine erste Reaktion auf die Vorschläge, die er am vergangenen Wochenende dem syrischen Präsidenten zur friedlichen Beilegung der blutigen Unruhen in Syrien vorgelegt hatte. »Angesichts der schwierigen und tragischen Situation« müsse man verstehen, daß zur Lösung der Konflikte »Zeit wichtig« sei, teilte ein Sprecher Annans in einer ersten Reaktion mit. Es gebe noch »Fragen, auf die er sich Antworten« erhoffe, sagte der Sprecher weiter, ohne auf Einzelheiten einzugehen. Nach zwei Gesprächsrunden mit dem syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad hatte Annan am vergangenen Sonntag erklärt, er habe die syrische Führung »zu Reformen« ermuntert. Auch über die Möglichkeit eines Waffenstillstandes und dem Beginn eines politischen Dialogs sei gesprochen worden. Zudem vermittelte Annan die Forderung, »humanitäre Organisationen« uneingeschränkt in Syrien arbeiten zu lassen.

Bei einem Treffen mit dem Vorsitzenden des Syrischen Nationalrates (SNR) Burhan Ghalioun am Dienstag (13. März) in Ankara hatte Kofi Annan erneut alle Seiten aufgefordert, die Gewalt umgehend einzustellen. Wie Rußland hat auch China seine Vermittlungsbemühungen intensiviert. Der chinesische Sonderbeauftragte Zhang Ming traf am Dienstag zu Gesprächen mit der Arabischen Liga in Kairo ein.

Der Sprecher des syrischen Außenministeriums, Jihad Makdessi, war am Mittwoch (14. März) vor Journalisten in Damaskus ausführlich auf die Vermittlermission Kofi Annans eingegangen. Syrien begrüße »jede Initiative, die hilft, eine politische Lösung zu finden«, sagte Makdessi. Aufrufe, die Aufständischen zu bewaffnen, behinderten den Auftrag Annans. Der Erfolg seiner Mission, der von der syrischen Regierung unbedingt gewünscht sei, hänge auch davon ab, welche Befugnisse Annan habe und wie weit »andere mit ihm kooperieren«. Die Vorschläge Annans seien nicht offiziell gewesen, so Makdessi, dem habe die syrische Antwort entsprochen. Eine politische Lösung sei nur durch die Wahlurne möglich. Weder Sabotage, ausländische Intervention noch bewaffneter Kampf seien akzeptabel. Syrien sei entschlossen, humanitäre Hilfe zu leisten und habe mit der UN-Beauftragten Valerie Amos vereinbart, diese Hilfe in Zusammenarbeit mit der Regierung in Damaskus, dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz und dem Syrischen Arabischen Roten Halbmond zu organisieren. Dabei müsse die Souveränität des Landes sichergestellt sein.

* Aus: junge Welt, 16. März 2012


Vielen Syrern droht Hunger

FAO: Gewalt verschärft Lage / Appell von 200 Nichtregierungsorganisationen

Von Ingolf Bossenz **


Die anhaltende Gewalt in Syrien befördert eine weitere desaströse Entwicklung in dem arabischen Land: Die ohnehin problematische Ernährungslage verschärft sich.

Wer kämpft, kann nicht säen und ernten. Eigentlich eine Binsenweisheit, aber bislang nicht in den Fokus der Debatte um Syrien gerückt. Dieses Versäumnis holte jetzt die FAO nach. Die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft warnte vor einer sich verschärfenden Lebensmittelknappheit für 1,4 Millionen Menschen in dem Land mit insgesamt rund 21 Millionen Einwohnern. So fiel die Getreideproduktion während des im März 2011 begonnenen Aufstands gegen Staatschef Baschar al-Assad um zehn Prozent niedriger aus als im Durchschnitt der fünf Jahre davor. Zahlreiche Bauern, so die FAO, hätten aus Furcht für Leib und Leben die Ernte nicht einbringen können. Erschwerend kam hinzu, dass die Regenfälle nach zum Teil erheblichen Dürreperioden spät einsetzten und unregelmäßig waren.

Zurzeit erhalten rund 100 000 Syrer Nahrungsmittelhilfen durch die FAO und das Welternährungsprogramm.

Die Zehntausenden, die bislang in Nachbarländer flohen, suchen gleichermaßen einen Ausweg aus der Gewalt wie aus der Bedrohung durch Hunger.

Die Türkei hat laut offiziellen Angaben bereits über 12 000 Flüchtlinge aufgenommen. Um den anhaltenden Ansturm zu bewältigen, wurde in Ceylanpinar (südöstliche Provinz Sanliurfa) mit dem Bau einer Zeltstadt für insgesamt 20 000 Menschen begonnen. Das geplante Camp liegt 150 Kilometer von der syrischen Stadt Al-Hasakah entfernt.

Unterdessen konterte das Assad-Regime den Jahrestag des Aufstandsbeginns am Donnerstag mit Massenkundgebungen. Tausende versammelten sich auf Meetings für den Präsidenten. Das Staatsfernsehen strahlte Aufmärsche aus, die in Damaskus und anderen Städten über die Straßen zogen.

Für Aufsehen und Publizität sorgte am Donnerstag (15. März) ein Appell von 200 Nichtregierungsorganisationen aus 27 Ländern. Darin wird ein Ende der Gewalt in Syrien gefordert. An den UNO-Sicherheitsrat ergeht der Aufruf, umgehend eine Resolution zu verabschieden, die den Stopp des Blutvergießens verlangt. Humanitäre Hilfe müsse ungehindert in die Konfliktgebiete gelangen.

Die britische Tageszeitung »Guardian« veröffentlichte derweil mutmaßliche private E-Mails von Assad.

** Aus: neues deutschland, 16. März 2012


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