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Feuerprobe bestanden

Assad widersteht Aufständischen: Die von den USA und ihren Verbündeten beförderte Sommeroffensive in Syrien ist vorerst gescheitert

Von Rainer Rupp *

In der im Norden des Landes gelegenen Drei-Millionen-Stadt Aleppo hat die syrische Armee bereits Anfang der Woche das von bewaffneten Aufständischen infiltrierte Viertel Salaheddine befreit und wieder unter ihre Kontrolle genommen. Nach Angaben eines Rebellensprechers hatten sich dort 5500 Kämpfer versammelt, um die angekündigte »Mutter aller Schlachten« gegen Präsident Baschar Al-Assad zu schlagen. Seither verfolgen Regierungstruppen versprengte Gruppen von Kämpfern, die sich in mehrere andere Stadtteile durchgeschlagen und dort verschanzt haben. Diese Meldungen des syrischen Staatsfernsehens seien von einem Sprecher der sogenannten »Freien Syrischen Armee« (FSA) bestätigt worden, berichtete am Montag die US-Wirtschaftsagentur Bloomberg und fügte hinzu, daß nach ihrer schnellen und verlustreichen Niederlage in Damaskus den Aufständischen nun in Aleppo »der größte Test ihrer militärischen Fähigkeiten gegen die Kräfte der Regierung« bevorstünde.

Tatsächlich dürften die Chancen der islamistisch motivierten Aufständischen gering sein, in den Arbeitervierteln der mehrheitlich säkularen Industrie- und Handelsmetropole Aleppo Fuß zu fassen. Die Ausnahme sind einige Quartiere wie Salaheddine, in denen sich im vergangenen Jahrzehnt die Muslimbruderschaft – gestützt auf großzügige Spenden aus Saudi-Arabien – eine Basis schaffen konnte. Das hält freilich auch in Deutschland die medialen Sponsoren der Rebellen nicht davon ab, einerseits deren »Erfolge« zu feiern und im gleichen Atemzug Alarm zu schlagen, Assad schlachte sein eigenes Volk ab, wenn die vom Westen und von arabischen Feudalstaaten gemeinsam finanzierten und ausgerüsteten Terroristen besiegt werden.

Die von den USA gemeinsam mit etlichen NATO- und arabischen Verbündeten lang vorbereitete Sommeroffensive gegen Syrien hatte vom 18. bis 21. Juli ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Mit verschiedenen Stoßrichtungen geführt, hatte sie das Ziel, nicht nur den innersten Zirkel der Regierung von Präsident Assad zu eliminieren, sondern auch die bestehenden Strukturen des Staates aufzuweichen, im ganzen Land für Chaos und Verwirrung zu sorgen, Sezessionsgelüste, z.B. bei den Kurden, zu schüren, das Regime hilflos erscheinen zu lassen und sturmreif zu schießen. Begleitet war die Offensive in den eroberten Gebieten von gezielten Morden an Vertretern der Assad unterstützenden syrischen Minderheiten, insbesondere an Alawiten und Christen, um diese entweder zur Flucht oder zur Unterstützung der Rebellen zu bewegen.

Anfang August deuten nun alle Anzeichen darauf hin, daß Assad, die Baath-Partei und die syrischen Sicherheitskräfte die Feuerprobe bestanden haben und viel stärker in der Gesellschaft des Landes verankert sind, als sich das die USA und ihre Helfer vorgestellt haben. Dabei war das mit den anderen Ländern, die auf der »Abschußliste« Washingtons standen, bisher doch recht gut gelaufen. Der ehemalige Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte und spätere US-Präsidentschaftskandidat, General Wesley Clark, hatte in einer Rede vor dem Commonwealth Club of California am 3. Oktober 2007 enthüllt, daß die Administration von Präsident George W. Bush (2001–2009) geplant hatte, in den Ländern Irak, Syrien, Libanon, Libyen, Somalia, Sudan und Iran Regimewechsel durchzuführen.

Der einfachste Weg für USA und NATO, das unabhängige Syrien zu zerstören und wie in Libyen eine dem Westen genehme Marionettenregierung an die Macht zu bringen, wäre nach wie vor eine UN-Resolution, welche die Einrichtung einer Flugverbotszone erlauben würde. Dadurch hätte die NATO einen Freibrief, wie zuvor in Libyen, als Luftwaffe und Koordinator der Rebellen zu agieren. Dieser Weg ist durch das wiederholte, mutige Veto von Rußland und China blockiert worden.

Da die Tür zur direkten Intervention verschlossen ist, setzen die Westmächte weiter auf mehr oder weniger verdeckte Operationen zum Sturz der Regierung in Damaskus. Neben der Einschleusung eigener Spezialtruppen zählen dazu auch geheime Operationen von Sondereinheiten der reaktionären Golfmonarchien, insbesondere aus Saudi-Arabien und Katar. Dazu gehört laut britischen Medienberichten in jüngster Zeit auch die finanzielle und logistische Unterstützung bei der Einfuhr von modernen Waffen und der Entsendung von 600 kampferfahrenen, fanatisierten Gotteskriegern aus Libyen. Diese haben, über die Türkei und Jordanien kommend, Syrien erreicht, wo sie nun neben Dschihadisten aus dem Irak und anderen arabischen Ländern ihren heiligen Krieg weiterführen. Standen sie zuvor unter dem Banner von Al-Qaida gegen die USA, kämpfen sie nun mit deren Unterstützung gegen das »ungläubige Assad-Regime«. Aber mit wachsender Frustration muß der Westen erkennen, daß all seine finanziellen, militärischen und logistischen Mittel nicht ausreichen, Syrien hinreichend zu destabilisieren und Assad zu stürzen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 3. August 2012


Geteilte Stadt

Ein Vorort der syrischen Hauptstadt am Tag nach Kämpfen zwischen Armee und Aufständischen

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


Wir haben diesen Angriff seit langem erwartet«, sagt ein Familienvater aus einem Vorort von Damaskus, der seinen Namen nicht nennen möchte. »Seit einem Jahr haben bewaffnete Gruppen unseren Ort unsicher gemacht. Sie haben Offiziere, die hier wohnen, ermordet, Busse in die Luft gejagt, Autos gestohlen. Unzählige Male haben sie die militärischen Kontrollpunkte gestürmt und viele Soldaten getötet.« Zuletzt sei die einzige Polizeistation des Ortes in Brand gesetzt worden, sieben Polizisten wurden erschossen. »Die Armee konnte nicht länger zusehen.«

Der Schrecken über die massive Militäroperation vom Vortag ist dem Mann noch anzusehen. Er wohnt mit Frau und drei Kindern in Jdeideh Artuz, einer Kleinstadt mit 15000 Einwohnern, rund 15 Kilometer von Damaskus entfernt. Am Mittwoch morgen um sechs Uhr rückte das Militär dort ein, dann begannen die Soldaten die Häuser zu durchsuchen. Im ersten und zweiten Teil des Ortes verlief das problemlos. Im dritten Teil, der nahe an den Olivenhainen und Feldern liegt, formierte sich bewaffneter Widerstand. Der Kampf dauerte nur wenige Stunden. Viele Gefangene wurden abgeführt, mehr als 50 Personen wurden in einem Massengrab beigesetzt. Fotos von der Beerdigung und von den Toten wurden über Facebook und andere Medien rasch weltweit verbreitet. Er kenne niemanden von den Toten, sagt der Familienvater, während er sich die Bilder im Internet ansieht. Es heiße, sie seien aus dem dritten Teil des Ortes und aus einem Nachbarort. Der Kampf sei von Anfang an ungleich gewesen, meint der Mann, der für die bewaffneten Aufständischen keine Sympathie hat. »Doch die Armee ist zu hart gegen sie vorgegangen, mit Panzern und Schnellfeuergewehren, zu hart.« Familien aus dem dritten Teil des Ortes hätten sich bei Freunden oder Verwandten in den anderen Vierteln in Sicherheit gebracht, weitere Familien hätten inmitten der Kämpfe ihre Habseligkeiten zusammengerafft und seien geflohen. »Niemand weiß, wohin.« Nach dem Abzug der Armee am Abend seien die Angehörigen und Freunde der Toten wütend durch den Ort gezogen. »Dabei haben sie wieder viel Sachschaden angerichtet«, sagt der Familienvater, so könne das nicht weitergehen.

Jdeideh Artuz war bis zum Beginn der Unruhen in Syrien ein friedlicher kleiner Ort, der von seinen Bewohnern in drei Bereiche aufgeteilt worden war. Im ersten und zweiten leben junge Familien, die vor etwa 20 Jahren hier bauten, weil Wohnraum in der Hauptstadt zu teuer geworden war. Muslime, Drusen und Christen leben Tür an Tür. Der dritte Teil ist der ursprüngliche Ort Jdeideh Artuz, hier leben muslimische Bauern und Tagelöhner, die einen anderen Lebensstil als die städtisch geprägten Hinzugezogenen pflegen. »Wir wollen politische Veränderungen«, sagt der Familienvater. »Die Familien im dritten Ortsteil sympathisieren mit der ›Freien Syrischen Armee‹ und sind politischen Argumenten schwer zugänglich.« Vielleicht sei es auch eine Frage der Bildung, fügt er nachdenklich hinzu.

»Je mehr Gewalt beide Seiten anwenden, desto mehr Zerstörung und Tote wird es geben«, zeigt sich Abdul Aziz Al-Khair im Gespräch mit jW überzeugt. Al-Khair ist im Vorstand des Nationalen Koordinationsbüros für Demokratischen Wandel (NCB), das sich für friedliche Veränderung in Syrien engagiert. »Waffen nutzen nicht den Zielen und dem Anliegen Syriens«, sagt Al-Khair, der viele Jahre als politischer Gefangener inhaftiert war, bestimmt. Die bewaffneten Aufständischen hätten ohnehin keine Chance gegen die Armee. In Aleppo seien vielleicht 100 Panzer, einige tausend Soldaten und Hubschrauber im Einsatz, dagegen kämen die Aufständischen nicht an. Al-Khair sieht im Norden des Landes, im Grenzgebiet zur Türkei, vor allem Al-Qaida und andere Gotteskrieger kämpfen: »In Aleppo sind 1500 arabische Kämpfer, die meisten kommen aus Libyen«, sagt er. Sie benutzten sogar Fahrzeuge mit libyschen Kennzeichen, die sie vermutlich über die »völlig offene Grenze aus der Türkei« mitgebracht hätten. Im Umland von Aleppo wie in der grenznahen Stadt Azaz hätten syrische Salafisten das Kommando übernommen. Ihre Zahl übertreffe noch die der arabischen Söldner in Aleppo. Er frage sich, wie die Türkei solche Kämpfer bewaffnen und die Grenze passieren lassen könne. »Ohne die Zustimmung der NATO ist das doch nicht denkbar.«

** Aus: junge Welt, Freitag, 3. August 2012


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