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Tote und Verletzte in Aleppo

Anschläge erschüttern wirtschaftliches Zentrum Syriens

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Bei mindestens zwei schweren Explosionen sind am Freitag in der nordsyrischen Stadt Aleppo mindestens 28 Menschen getötet worden, darunter Kinder, die in einem nahegelegenen Park gespielt hatten. Die Zahl der gemeldeten Verletzten stieg nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Damaskus im Laufe des Tages auf 235. Die Anschläge richteten sich dem Staatsfernsehen zufolge gegen eine Einrichtung des militärischen Geheimdienstes und ein Gebäude der polizeilichen Sondereinsatzkräfte. Die Wucht der Detonationen war so stark, daß angrenzende Häuser ebenfalls beschädigt wurden. Der Geheimdienst und die Sondereinsatzkräfte werden von der Opposition in Syrien für die gewaltsame Niederschlagung der Protestbewegung verantwortlich gemacht und waren bereits in anderen Städten Ziele von Attacken.

Das staatliche syrische Fernsehen informierte ausführlich von den Orten der Attentate. Ein Reporter des Senders weinte, während er über das Geschehen berichtete.

Aleppo ist die zweitgrößte Stadt Syriens und gilt als wirtschaftliches Zentrum des Landes. Bisher hatte es dort kaum Proteste gegeben. Demonstranten an anderen Brennpunkten in Syrien hatten deshalb mehrfach den Aleppinern in Parolen und auf Transparenten und Plakaten Gleichgültigkeit vorgeworfen und sie aufgefordert, sich den Protesten anzuschließen.

Die syrische Regierung gab bis Redaktionsschluß keine Erklärung zu den Anschlägen ab. Ein Sprecher der »Freien Syrischen Armee« (FSA) bekannte sich zu den Attentaten. Dem arabischen Programm der britischen BBC sagte er, es habe sich um »einen militärischen Angriff gegen den Geheimdienst« gehandelt. Die FSA sei mit »Artillerie, Raketen und Bomben« vorgegangen, erklärte Oberst Arif Al-Hamoud, der dem Programm telefonisch aus der Türkei zugeschaltet worden war. Einige Mauern seien eingestürzt und auf dem Gelände der »Militärbasis« seien Leute getötet worden. »Das war keine Autobombe, das war eine militärische Operation.« Oberst Mahir Nouaimi, ein anderer FSA-Sprecher, machte hingegen gegenüber der Nachrichtenagentur AFP das »kriminelle Regime« für den Anschlag verantwortlich. »Es tötet unsere Kinder in Homs und fabriziert Bombenanschläge in Aleppo, um die Aufmerksamkeit von Homs abzulenken.« Auch ein namentlich nicht genannter Aktivist der Opposition machte im Gespräch mit BBC World die staatlichen Sicherheitskräfte als Urheber der Taten aus. Um nicht erkannt zu werden, hatte der Mann sich vermummt. Er sprach von einem »Aufstand in Aleppo«.

Die Nachrichtenagentur AFP meldete unterdessen, daß sich die regierende Baath-Partei am 17. Februar zu ihrem ersten Parteitag seit 2006 versammeln will. Es wird erwartet, daß der Kongreß die von Staatschef Baschar Al-Assad angekündigten Reformen auf den Weg bringt. Außerdem werde wohl verkündet, daß künftig andere politische Parteien eine größere Rolle in Syrien spielen sollen.

* Aus: junge Welt, 11. Februar 2012


"Ein weiteres schwarzes Theaterstück"

Syriens Opposition lastet Bombenterror in Aleppo dem Assad-Regime an **

In Syrien spitzt sich die Lage weiter zu. Bei Bombenanschlägen in Aleppo starben mindestens 25 Menschen. Die Protesthochburg Homs liegt seit einer Woche unter Dauerbeschuss.

Bomben in Aleppo, Homs unter Dauerbeschuss: Im Bürgerkrieg in Syrien wächst die Gewalt. Bei zwei Bombenanschlägen vor Einrichtungen der Sicherheitskräfte in der nordsyrischen Stadt Aleppo kamen am Freitag mindestens 25 Menschen ums Leben, 175 wurden verletzt. Das syrische Staatsfernsehen beschuldigte Regierungsgegner, Oppositionelle machten dagegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad für die Anschläge verantwortlich. Der Dauerbeschuss der Protesthochburg Homs durch Regimetruppen ging unterdessen weiter, allein am Freitag sollen binnen weniger Stunden 19 Menschen getötet worden sein. In den Provinzen Damaskus-Land und Daraa gab es mindestens sieben weitere Tote, wie Regimegegner berichteten.

Die staatliche Nachrichtenagentur Sana meldete, die Anschläge in Aleppo hätten einem Gebäude des Militärgeheimdienstes und dem Sitz der Ordnungspolizei gegolten. Unter den Schuttbergen wurden weitere Opfer vermutet. Aktivisten berichteten, die Wucht der Detonationen sei im Umkreis von einem Kilometer spürbar gewesen. Oppositionelle erklärten unter Berufung auf Anwohner, die vor den Explosionen verdächtiges Verhalten der Sicherheitskräfte beobachtet haben wollen: »Dies ist ein weiteres schwarzes Theaterstück des Regimes.« Die Regierungstruppen hätten nach den Detonationen mehrere Schüsse abgegeben, um den Eindruck zu erwecken, es habe ein Gefecht zwischen ihnen und den »Terroristen« stattgefunden.

Die Führung im Nachbarland Libanon zog derweil Truppen an der Grenze zu Syrien zusammen. Zuvor war gemeldet worden, über die Grenze würden Waffen in die syrische Protesthochburg Homs geschmuggelt, wie die Nachrichtenagentur dpa aus Armeequellen erfuhr. Ein Augenzeuge berichtete, zahlreiche Soldaten seien am Morgen an die Grenze beordert worden, wo sie Kontrollpunkte errichtet hätten.

Vor allem die Großstadt Homs liegt unter Dauerbeschuss. Beobachter befürchten, der mit mehr als 650 000 Einwohnern drittgrößten Stadt Syriens drohe ein Schicksal wie das von Hama vor 30 Jahren. Damals hatte Assads Vater Hafez al-Assad den Widerstand in der Stadt mit exzessiver Gewalt niederschlagen lassen. Bisher wurden in Homs nach Angaben syrischer Oppositioneller mehr als 2850 Menschen getötet - Tendenz schnell steigend. Wie viele Tote es 1982 in Hama gab, ist unklar. Heutige Schätzungen bewegen sich zwischen 10 000 und 30 000 Toten.

Hilfsorganisationen könnten aufgrund des Beschusses durch Soldaten des Assad-Regimes keinen medizinischen Nachschub für Krankenhäuser und Arztpraxen nach Homs liefern, meldete die Weltgesundheitsorganisation. Zudem behinderten Stromausfälle die Arbeit der Ärzte.

Das »abscheuliche Blutvergießen« in Syrien müsse beendet werden, verlangte US-Präsident Barack Obama nach einem Treffen mit dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti in Washington. Die USA und Italien seien sich einig, die jetzige Regierung in Damaskus, die »ihr Volk angreift«, müsse ersetzt werden.

Der deutsch-syrische Schriftsteller Rafik Schami sieht keine Chancen mehr für ein baldiges Ende der Gewalt in Syrien. Der Bürgerkrieg sei längst im Gange, erklärte der 65-Jährige im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa in Mainz. Er kommuniziere sehr rege über oppositionelle Verbindungen per Telefon, Handy und Internet mit seinen Freunden, die in Syrien untergetaucht seien, berichtete Schami. Ein baldiges Ende der Gewalt könne nur durch ein Wunder geschehen, wenn ein Teil der Machthabenden den anderen ausschalte und der Opposition die Hand reiche.

Das russische Parlament hat das Veto Moskaus zur jüngsten Syrien-Resolution mit einer Erklärung aller Fraktionen einstimmig unterstützt. Die Abgeordneten votierten geschlossen für die Vorlage, wie die Agentur Interfax am Freitag meldete. Der Resolutionsentwurf sei einseitig gewesen, hieß es zur Begründung. Das Moskauer Veto im Weltsicherheitsrat war international kritisiert worden.

** Aus: neues deutschland, 11. Februar 2012


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