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Syrien, Sarin und Diplomatie

Von Jan van Aken *


Jan van Aken ist Außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag. Er hat als Biowaffeninspekteur bei den Vereinten Nationen gearbeitet.

In wenigen Tagen werden die UN-Inspekteure wohl bestätigen, dass in Syrien Sarin oder andere Giftgase eingesetzt wurden. Offen wird jedoch bleiben, WER dafür verantwortlich ist. Alle angeblichen Beweise für eine Täterschaft Assads oder der Rebellen sind schlichte Propaganda; auch der von den USA vorgelegte Geheimdienstbericht enthält keinen einzigen belastbaren Beleg. Kein Gericht der Welt würde auf der Basis so dünner Hinweise auch nur ein Verfahren eröffnen.

Ein militärischer Angriff von außen wäre verheerend. Er könnte auch keinen neuen Giftgasangriff verhindern. Mit Bomben ein Zeichen gegen Chemiewaffen zu setzen, ist menschenverachtend. Denn natürlich würden dabei Menschen sterben – ganz sicher nicht die Verantwortlichen des Chemieangriffs.

Richtig ist, dass ein Angriff mit Chemiewaffen geahndet werden muss. Das sind grauenvolle Waffen, ihr Einsatz ist ein Verbrechen gegen die Menschheit. Das muss aufgeklärt, die Verantwortlichen müssen in einem rechtsstaatlichen Verfahren bestraft werden.

Es sind in den letzten Tagen neben dem Kriegsgeschrei auch Vorschläge für diplomatische Schritte gemacht worden, zwei davon halte ich für sehr sinnvoll:
  1. Sobald die Inspekteure in ihrem Bericht den Einsatz von Giftgas belegen, sollte dieser Bericht vom UN-Sicherheitsrat dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) vorgelegt werden. Der könnte dann ein Ermittlungsverfahren einleiten. Diese Idee hat den Vorteil, dass alle einseitigen Schuldzuweisungen erst einmal hinter der Unabhängigkeit des IStGH zurücktreten müssten. Der UN-Sicherheitsrat könnte sofort einstimmig aktiv werden und damit ein klares Signal gegen den Einsatz von Chemiewaffen setzen, ohne einem militärischen Angriff den Weg zu ebnen.
  2. Die syrischen Chemiewaffen müssen gesichert werden, damit nicht noch mehr davon in die Hände von Milizen gelangen oder von Assad eingesetzt werden können. Das geht aber nur in Kooperation mit Assad. Ein UN-Beschluss zur Sicherung der Chemiewaffen wäre momentan ein fataler Schritt, denn er würde sofort zur Rechtfertigung einer militärischen Intervention missbraucht werden. Deshalb muss es eine pragmatische, diplomatische Lösung geben, um die Chemiewaffen jetzt so weit wie möglich aus dem Verkehr zu ziehen. Dabei kommt den engsten Verbündeten Assads, Russland und Iran, eine zentrale Rolle zu. Besonders Iran, denn dort hat sich das Grauen des Chemiekrieges tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt, als Saddam Hussein in den 1980er Jahren Tausende iranische Soldaten mit Giftgas tötete. Und es ist Russlands ureigenes Interesse, dass islamistische Gruppierungen sich nicht an den Giftgasdepots Assads bedienen können.
Putin könnte mit Assad vereinbaren, dass die syrischen Chemiewaffen durch Russland außer Landes gebracht, gesichert und unter UN-Kontrolle vernichtet werden. Es braucht jetzt eine diplomatische Initiative des Westens, um Russland und Iran für eine solche kooperative Lösung zu gewinnen. Dabei könnte es auch Ziel – und Hebel! – sein, dass sowohl Syrien als auch Israel endlich der Chemiewaffen-Konvention beitreten.

Beide Schritte werden den Bürgerkrieg nicht beenden können, aber sie würden das Völkerrecht stärken und eine adäquate, nicht militärische Antwort auf den (vermuteten) Chemiewaffeneinsatz in Syrien geben.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 7. September 2013 (Gastkolumne)


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