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Endloser Kampf um die Macht in Südsudan?

Wolf-Christian Paes über Auseinandersetzungen zwischen Dinka und Nuer und mögliche Auswege aus der Krise *


Wolf-Christian Paes arbeitet beim Internationalen Konversionszentrum in Bonn (BICC), das sich in Südsudan um den Aufbau von Institutionen zur Stärkung von Frieden und Sicherheit bemüht. Über die prekäre Lage im jüngsten Staat Afrikas, der erst 2011 gegründet wurde, sprach mit ihm für »nd« Martin Ling.


Auf einer Konferenz in Oslo hat die internationale Gemeinschaft Südsudan jüngst rund 600 Millionen US-Dollar an Hilfen zugesagt. Laut UN braucht der jüngste Staat der Welt jedoch etwa dreimal so viel, denn im Sommer drohe eine Hungersnot. Ist Südsudan der Staatengemeinschaft nicht genügend wert?

Nicht Südsudan speziell. Generell zeigt sich die internationale Gemeinschaft bei humanitärer Hilfe nicht sonderlich spendabel. Bei den Syrien-Konferenzen war das nicht anders. Das Vertrauen in die Umsetzung der Hilfe durch die UN-Organisationen scheint mir bei den Geberländern auch nicht so ausgeprägt zu sein. Fakt ist, dass die humanitäre Lage in Südsudan katastrophal ist und definitiv mehr gemacht werden müsste. Ob eine Hungersnot droht, darüber gehen die Meinungen freilich auseinander.

Unbestritten ist, dass seit dem Beginn der Auseinandersetzungen zwischen den Milizen des Präsidenten Salva Kiir und seines im Juli 2013 geschassten Vizepräsidenten Riek Machar mehrere Waffenstillstandsabkommen geschlossen und gebrochen wurden, zuletzt das vom 9. Mai. Halten sich die Milizen einfach nicht an die Ansagen ihrer Chefs?

Das ist aus Nordsudan schwer zu beurteilen, im Süden war ich seit Dezember 2013 auch nicht mehr. Mein Eindruck ist aber, dass das Abkommen vom 9. Mai ein Schritt in Richtung Frieden ist und der internationale Druck auf Kiir und Machar erste Früchte trägt. Schließlich hatten die beiden politischen Führer lange abgelehnt, sich persönlich zu treffen. Diese Blockade wurde immerhin durchbrochen. Damit geht es in die richtige Richtung, aber leider viel zu langsam. Bisher haben sich Kiir und Machar nur auf einen Waffenstillstand geeinigt, der Schritt zum Einstieg in einen Friedensprozess steht noch aus. Und die neuen Kämpfe nach dem Abkommen sind dafür sicher nicht hilfreich.

Machar, ein Nuer, Angehöriger der zweitgrößten Ethnie in Südsudan, redet von einer Dinka-Diktatur, die Kiir errichten wolle. Ist das mehr als plumpe Rhetorik im Machtkampf?

Es ist schwer zu bestreiten, dass die Auseinandersetzung auch eine ethnische Dimension hat, auch wenn das die Regierung Kiirs in Juba und südsudanesische Intellektuelle abstreiten. Aus meiner Sicht lassen sich politische Macht, Politik und Ethnizität in Südsudan nicht voneinander trennen, auch wenn es sich um Fraktionen handelt, die alle der Einheitspartei Sudanesische Volksbefreiungsbewegung (SPLM) angehören. Diese Fraktionen machen sich an Personen fest, vor allem an Kiir und Machar, und deren Gefolgschaft ist stark ethnisch geprägt: Machar folgen die Nuer, Kiir die Dinka.

Der Begriff Dinka-Diktatur entspringt allerdings der Rhetorik der Rebellen, das ist übertrieben. Richtig ist, dass viele Regierungs- und Verwaltungsposten mit Dinka besetzt werden, auch wenn Quoten für die anderen Ethnien, nicht nur die Nuer, vereinbart worden sind. Nicht nur die Nuer beschweren sich, Missmut gibt es auch bei anderen Ethnien – es gibt rund 60 in Südsudan –, die Kiir Vetternwirtschaft vorwerfen. Und die Entlassung des Armeechefs James Hoth, eines Nuer, Ende April, schürt diese Vorbehalte weiter. Wie man die ethnische Vielfalt in einer Regierung der nationalen Einheit ausgewogen widerspiegeln kann, ist eine offene Frage, an der die erste Regierung gescheitert ist.

Eine Rückkehr zu einer Regierung der nationalen Einheit, wie sie Kiir und Machar von der Staatsgründung 2011 bis Juli 2013 aufrecht erhielten, scheint schwer denkbar?

In dieser Konstellation sicher nicht. Machar wird sicher nicht Präsident und Kiir will sicher Präsident bleiben. Alles andere ist offen. Ein Kompromisskandidat aus einer dritten Volksgruppe wäre eine Option, über die es nachzudenken lohnte. Ein grundlegender Wandel würde erfordern, dass sowohl Kiir als auch Machar aus der ersten Reihe zurücktreten, darin sind sich viele Beobachter einig. Aber auch darin, dass Kiir und Machar die einflussreichsten Politiker sind, und daran würde ein Rückzug fürs Erste nichts ändern. Der Machtkampf könnte sich lediglich hinter die Kulissen verlagern.

Der Machtkampf wird auch weiter militärisch ausgefochten. Der UN-Sicherheitsrat beschloss im Dezember eine Aufstockung der Blauhelmtruppe auf 12 500 Soldaten und 1300 Polizisten. Derzeit sind dem UN-Koordinator für Südsudan, Toby Lanzer, zufolge jedoch nur etwa 8700 Uniformierte im Einsatz. Würden mehr ausländische Sicherheitskräfte helfen?

Ich denke schon. Die UNO hat sich in den vergangenen Jahren seit der Unterzeichnung des Umfassenden Friedensabkommens für Sudan (CPA) 2005 nicht mit Ruhm bekleckert. Aber immerhin hat sich die UN-Mission für Südsudan (UNMISS) unter der Führung von Hilde Johnson seit 2011 um den Schutz der Zivilbevölkerung verdient gemacht, was es bis dahin gar nicht gab. Mehr Soldaten würden sicher helfen, die Schutzzonen, in denen sich mindestens 60 000 Binnenvertriebene befinden, zu garantieren. Für sie macht das einen Unterschied – teils zwischen Leben und Tod.

Bei den Auseinandersetzungen kam es laut UNO zu Menschenrechtsverbrechen an Zivilisten auf beiden Seiten. Wie lässt sich die Gewaltspirale durchbrechen?

Dafür wären mehrere Schritte erforderlich: Zuerst ein Waffenstillstand, der den Namen verdient. Dann muss die humanitäre Lage dringend verbessert werden. Und es muss eine zumindest teilweise Entwaffnung der Milizionäre durchgesetzt werden, es gibt in Afrika kein Land mit mehr Bewaffneten im Verhältnis zur Bevölkerung. Das war im CPA geplant, ist aber nicht passiert, auch weil die internationale Gemeinschaft weggeschaut hat. Und schließlich muss es einen Versöhnungsprozess geben, der auf die Aufarbeitung der Verbrechen der Vergangenheit setzt – ob durch traditionelle Gerichtsbarkeit, Wahrheitskommission oder Tribunal. Nur so lässt sich der aufgestaute Hass abbauen. Welcher Weg der richtige ist, müssen die Südsudanesen selbst entscheiden.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 28. Mai 2014


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