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Sudan/Südsudan: Die tödlichen Folgen des Kolonialismus

Von Conn Hallinan *

Es ist zu hoffen, dass die vor kurzem vereinbarte Feuerpause der kriegführenden Parteien im Süd-Sudan das Abgleiten dieses Landes in eine Spirale des Bürgerkriegs stoppen wird. Für diesen Fall wird man sich aber zwei machtvollen historischen Strömungen entgegenstemmen müssen: dem Erbe kolonialer Manipulationen, die mehrere Hundert Jahre zurückliegen und der gegenwärtigen US-Politik gegenüber dem afrikanischen Kontinent.

Der Süd-Sudan wurde ein unabhängiges Land, als seine Bewohner mit überwältigender Mehrheit für die Trennung vom Sudan stimmten, damals dem flächenmäßig größten afrikanischen Staat. Aber ein Streit Ende letzten Jahres zwischen dem Süd-sudanesischen Präsidenten Salva Kiir, einem Mitglied des Dinka Stamms, und dem Vizepräsidenten Rick Machar, einem Mitglied des Nuer Stamms, stürzte das Land in einen Krieg. Städte wurden gebrandschatzt, tausende getötet und fast 200.000 Menschen zu Flüchtlingen gemacht.

Die Geburt der jüngsten Nation des Kontinents ging größtenteils auf amerikanische Bemühungen zurück, gefördert von einer polyglotten Koalition von christlichen Evangelikalen, US-Unternehmen, der Bush- und Obama-Regierung, der Arbeitsgruppe afro-amerikanischer Kongressabgeordneter (Congressional Black Caucus) und Menschenrechtsaktivisten.

Aber in vielfacher Hinsicht geht diese Krise zurück auf den November 1884, als 14 Staaten in Berlin zusammenkamen und den Kontinent aufteilten. Die Teilnehmer repräsentierten praktisch die gesamte industrialisierte westliche Welt, allerdings mit Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Portugal als den Hauptakteuren. Wie der südafrikanische Geograph Matt Rosenberg feststellt, „Zum Zeitpunkt der Konferenz stand Afrika zu 80 Prozent unter traditionaler und lokaler Herrschaft. Als das Treffen ein Jahr später endete hatten die Kolonialmächte 50 Länder geschaffen, die den über 1.000 indigenen Kulturen und Regionen Afrikas übergestülpt wurden, womit sie die Zündschnur für zukünftige Kriege und zahllose ethnische Konflikte auslegten.“

Trotz seines Reichtums an Ressourcen und Menschen würgte das Aufeinandertreffen Afrikas mit dem Sklavenhandel und dem Kolonialismus aufkommende eigene Wirtschaftsentwicklungen ab, beraubte den Kontinent eine Großteils seiner Arbeitskräfte und spielte Religionen und Ethnien gegeneinander aus durch eine Strategie des Aufteilens und Eroberns im kontinentalen Maßstab.

Diese Geschichte legte die Grundlagen für den gegenwärtigen Ausbruch von Gewalt im Süd-Sudan, der in mehrere Nachbarstaaten überzuschwappen droht.

1886 teilten die Briten den Sudan zwischen dem größtenteils arabischen Norden und dem zumeist schwarzen Süden. Es hatte seit langem Spannungen gegeben zwischen diesen beiden Regionen, weil die südlichen Hirtenstämme – zumeist die Angehörigen der Dinka, Nuer und Schilluk – sich in der Vergangenheit den Sklavenhändlern aus dem Norden widersetzt hatten. Es gab zwar zwischen eben diesen Stämmen periodisch Kriege über Vieh und Land, aber sie trieben auch Handel und heirateten untereinander.

Da die Briten nicht über die Kräfte verfügten, den großflächigen Süd-Sudan zu besetzen, erschufen sie eine „Politik für den Süden“, die die Stämme in der klassischen Teile-und Herrsche Strategie gegeneinander ausspielte. Sie blockierten auch wirtschaftliche Entwicklungen um „ den rein afrikanischen Lebensstil (purely African way of life) der Menschen im Süden zu bewahren.“

In Wirklichkeit bedeutete die Bewahrung eines „afrikanischen Lebensstils“ eine gezielte Unterdrückung der Ausbildung regionaler Regierungsinstitutionen oder der Schaffung einer gebildeten Bevölkerung. Stattdessen wurden „Stammesführer“ (tribal leaders) mit Machtbefugnissen ausgestattet, die niemals vorher über eine derartige Machtfülle verfügt hatten. Die Kolonialverwaltung verbot gezielt Kontakte mit dem höher entwickelten Norden, unterdrückte den Islam und das Arabische im Süden und fragmentierte die Region in einen verwirrenden Flickenteppich von Stämmen und Dörfern. Letztlich bestand die Absicht, den Süd-Sudan in Britisch Ost-Afrika zu integrieren, was aber nach dem Zweiten Weltkrieg unmöglich wurde.

Also hinterging und täuschte London die Süd-Sudanesen.

Nach dem Erschaffen von im Kern zwei Staaten kehrten die Briten nun ihre „Politik für den Süden“ im Jahre 1946 vollständig um und erklärten den Süden als „unauflöslich, sowohl geographisch wie wirtschaftlich, mit dem Norden verbunden, jedenfalls was die zukünftige Entwicklung betraf.“ In der Praxis bedeutete dies, dass, als der Sudan 1956 unabhängig wurde, der Norden den Süden dominieren würde. „Der der Unabhängigkeit folgende Konflikt im Sudan wurde größtenteils verursacht durch die ethnischen Spaltungen, die von der britischen Kolonialverwaltung zwischen 1899 und 1956 betrieben worden waren “, so die Argumentation des Historikers Savo Heleta.

Die Künstlichkeit der ursprünglichen Schaffung des Sudan, gekoppelt mit der Kolonialpolitik der Briten, war sozusagen eine eingebaute Katastrophe, die zwei Bürgerkriege auslöste – den von 1955 bis 1972 und den von 1983 bis 2005 – die ungefähr 1,5 Millionen Menschen das Leben kosteten. Der letztere führte dann zur Trennung der zwei Regionen, und das Referendum von 2011 erschuf den Süd-Sudan.

Nun befindet sich der Sudan erneut im Krieg, und die gegenwärtige US-Politik in Afrika erwies sich dabei nicht als hilfreich. Während der vergangenen anderthalb Jahrzehnte schien Washington mehr beschäftigt mit dem Monopolisieren von Ressourcen und war schnell bei der Hand militärische Lösungen diplomatischen vorzuziehen.

Öl spielt dabei keine geringe Rolle. Der Sudan verfügt über die größten Petroleumreserven auf dem Kontinent, von denen 75 Prozent sich im Süden befinden. Der Süd-Sudan fördert ca. 245.000 Barrels pro Tag, aber beide Sudans profitieren davon, weil es durch Pipelines des Nordens zu dessen Raffinerien am Roten Meer gepumpt wird und dann zumeist in China landet. Die USA finden sich im Wettstreit mit China bei Öl und Ressourcen – China ist Afrikas Handelspartner Nummer 1 – und bis 2015 wird der Kontinent 25 Prozent des US-Energiebedarfs bereitstellen. Eine Reihe von US-Firmen sind daran interessiert sich Zugang zum Süd-Sudan zu verschaffen, und Washington ist sowieso ständig auf der Suche nach Wegen, Chinas Wachstum einzugrenzen.

Bei den gegenwärtigen Kämpfen geht es allerdings nicht nur um Öl. Christliche Kirchen sind seit langem an dieser Region interessiert und einige der besonders ausgeprägt evangelikalen sehen den Süd-Sudan als ein Bollwerk gegen den Islam. Die meisten Süd-Sudanesen praktizieren traditionelle Religionen, aber es gibt eine nicht unbeträchtliche christliche Minderheit.

Die Arbeitsgruppe der afro-amerikanischen Kongressabgeordneten ist involviert, weil die Schwarzen des Südens vom arabisch dominierten Norden massiv unterdrückt wurden. Und die schrecklichen zivilen Verluste der zwei Bürgerkriege führten zu Unterstützung durch Menschenrechtsaktivisten.

Ausgehend von der Trans-Sahel-Initiative in 2002 haben die USA ihre militärische Präsenz auf dem Kontinent ständig ausgeweitet Die USA haben gegenwärtig Truppen in etwa 35 Staaten. Washington hat irgendwo zwischen 12.000 und 15.000 Truppen in Dschibuti am Horn von Afrika und wenigstens 100 Spezialkräfte in Uganda und Niger stationiert. Es bildet Kenianer aus für den Kampf gegen die Shabab in Somalia, Ugander zum Aufspüren der Lord Resistance Army in der Demokratischen Republik Kongo und ist dabei, einen Drohnenstützpunkt in Niger aufzubauen.

2006 bildete die Bush-Regierung Africom, die erste US Kommando-Einrichtung für den Kontinent, deren Geburtsfeierlichkeiten der Sturz von Libyens Muammar Gaddafi 2011 war.

Wie von der Afrikanischen Union vorhergesagt, verbreitete der Sturz Gaddafis Flutwellen von Waffen in die Region, die Bürgerkriege in Mali, Niger und Zentralafrika speisten.

In der Tat sind die militärischen Abenteuer der USA in Afrika bisher generell schlecht ausgegangen. Washington half Äthiopien bei seiner Invasion Somalias 2007, die zum Aufstieg der extremistischen Shabab führte.

Die Shabab hat nicht nur Somalia verwüstet, sondern steckte auch hinter dem Massaker im Einkaufszentrum von Nairobi letztes Jahr, in dem 62 Menschen getötet und über 200 verwundet wurden.

Die USA haben zwar nur eine bescheidene Anzahl von Truppen in den Süd-Sudan geschickt, aber sie haben ihre regionalen Verbündeten ermuntert sich zu beteiligen. Äthiopien erwägt den Einsatz seiner Truppen und die ugandische Armee war entscheidend an der Einnahme der von den Rebellen besetzten Stadt Bor beteiligt. Als Folge ist nun jedoch Uganda mit der zumeist Dinka-geführten Regierung gegen die zumeist Nuer-geführte Erhebung liiert. Dies ist aber kaum eine Formel für eine friedliche Lösung der gegenwärtigen Kämpfe, insbesondere da die Kiir-Regierung fordert, dass sich alle Beteiligtenentwaffnen solle, mit Ausnahme ihrer eigenen Armee.

Auf lange Sicht ist die Entwaffnung schon eine gute Idee, aber gerade jetzt wird gegen diese Forderung ganz sicher Widerstand geleistet. Während die US-Botschafterin Susan Page sagt, die Entwaffnung sei „freiwillig“, so sehen diejenigen, die die Regierungspolitik durchsetzen sollen, die Sache ganz anders. „Wenn die sich weigern ihre Waffen abzugeben, dann werden wir diese mit allem Mitteln an uns nehmen. Ja, natürlich mit Gewalt“ berichtete ein militärischer Befehlshaber gegenüber McClatchy Press.

Die USA haben eine Schlüsselrolle gespielt bei der Gründung des Süd-Sudans und Milliarden von Dollars an Hilfsgeldern in das Land gepumpt. Aber nur wenig von dieser Hilfe floss in die Schaffung einer Regierungs-Infrastruktur oder in die Bewältigung der ethnischen Unruhen. Edmund Yakani, der Direktor der Independent Community for Progress Organization in Juba, der Hauptstadt des Süd-Sudans berichtete dem Guardian: “Wir sind nach New York gereist und haben mit den UN-Botschaftern gesprochen, einschließlich Susan Rice, der US-Botschafterin. Wir sagten ihnen, bitte ignoriert nicht die Friktionen, die sich hinter dem Krieg um die Unabhängigkeit im Verborgenen halten. Aber sie dachten nur an Entwicklung und sagten: “Lasst uns nur genug Geld zur Verfügung stellen.“ Die Stimmen, die auf Kontrollen drängten, blieben in der Minderheit und wurden vernachlässigt und überhört.“

Eine gezielte Weigerung, die Kolonialgeschichte der Region im Kopf zu behalten, half beim Entfachen der gegenwärtigen Krise. Und das Ermutigen von Washingtons Verbündeten, politische und ethnische Spaltungen mit Waffen und gepanzerten Fahrzeugen zu bereinigen, wird wohl nicht nur fehlschlagen, sondern die Situation verschlimmern. Anstatt militärische Stellvertreter (proxies) wie z.B. Kenia, Ruanda und Uganda zu benutzen um ihre Politik auf dem Kontinent durchzusetzen, sollten die USA mit der Schlüssel-Organisation der Region, der Afrikanischen Union, zusammenarbeiten. Hätte Washington das im Fall Libyens getan, hätte es wahrscheinlich keinen Krieg in Mali und Zentral-Afrika gegeben.

Was die Obama-Regierung tun sollte ist, Gewehre und bewaffnete Verbündete ausrangieren, und die Millenniums Entwicklungsziele der UNO zur Reduzierung der Armut erfüllen. Der Süd-Sudan würde profitieren von weniger Waffen, mehr wirtschaftlichem Engagement – allerdings ohne damit verknüpfte Freihandels Klauseln – und einer weit stärkeren Sensibilität gegenüber der Geschichte.

[Übersetzung aus dem Englischen: Eckart Fooken]

* Originalartikel: "Sudan: Colonialism’s Dead hand". In: Dispatches from the Edge, February 5, 2014; http://dispatchesfromtheedgeblog.wordpress.com/


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