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Abstimmung als Rebellion

Sudan und Südsudan: Bewohner der Grenzregion Abyei halten Referendum über staatliche Zugehörigkeit ab

Von Simon Loidl *

Zwischen Sudan und Südsudan gibt es neue Spannungen. In der von beiden nordostafrikanischen Nachbarländern beanspruchten Grenzregion Abyei fand nun ein Referendum um die staatliche Zugehörigkeit des erdölreichen Gebietes statt. Seit der Abspaltung von Südsudan im Juli 2011 konnte keine Einigung darüber erzielt werden, zu welchem der beiden Staaten die Region gehören soll. Nicht einmal darauf, wer berechtigt ist, über diese Frage abzustimmen, konnten sich die Regierungen in Khartum und Juba verständigen. Nun will die Bevölkerung vor Ort offenbar Fakten schaffen. 99,89 Prozent der Einwohner der Region stimmten Angaben der inoffiziellen Wahlorganisatoren vom gestrigen Donnerstag für den Anschluß an Südsudan. Das berichtete die Sudan Tribune.

Bisher war ein Referendum vor allem an der Frage gescheitert, wer zur Teilnahme berechtigt sei. Neben der in der Region großen Bevölkerungsgruppe der Ngok Dinka, deren Loyalität Richtung Südsudan geht, wohnen hier zumindest zeitweise Angehörige der Misseriya. Diese nomadisch lebende Gruppe hat in der Vergangenheit häufig an der Seite Khartums in Konflikte eingegriffen. Während Khartum der Ansicht ist, daß die Misseriya über den Status von Abyei mitentscheiden sollen, will die Regierung von Südsudan genau dies verhindern. Ursprünglich war eine Abstimmung über den Status von Abyei bereits für Januar 2011 geplant, zeitgleich mit dem Unabhängigkeitsreferendum im Südsudan. Letzteres hatte zur Abspaltung des Südens im Juli 2011 geführt. Seither wird über die weitere Vorgangsweise verhandelt. Im vergangenen Jahr empfahl Südafrikas ehemaliger Präsident Thabo Mbeki als Vermittler der Afrikanischen Union ein Referendum unter Ausschluß der Misseriya. Doch auch dies brachte keine neue Bewegung. Vor einigen Wochen hatten Vertreter der Ngok Dinka schließlich die Befragung für Ende Oktober angekündigt.

Nun wurde seit vergangenem Sonntag in Abyei abgestimmt. Die genauen Umstände und Termine sind aufgrund des inoffiziellen Charakters des Referendums unklar. Am Montag bereits hatte die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, daß schon »Zehntausende« Einwohner abgestimmt hätten. Die Regierungen beider Länder haben sich derweil von dem Referendum distanziert. Beobachter vermuten jedoch, daß Südsudan finanzielle und logistische Unterstützung gewährte. Auch die Afrikanische Union (AU) und die Vereinten Nationen (UNO) lehnen die Initiative der Bevölkerung Abyeis ab. In jedem Fall kommt diese den Interessen Jubas entgegen. Allgemein wurde bereits im Vorfeld eine Mehrheit für die Zugehörigkeit zum Süden erwartet. Und selbst wenn das Ergebnis von den entscheidenden Institutionen offiziell nicht zur Kenntnis genommen werden sollte, dürfte es dennoch die Position Jubas in dem Grenzstreit stärken.

Allerdings könnte die Abstimmung auch den schwelenden Konflikt zwischen den beiden Nachbarländern erneut eskalieren lassen. Während der vergangenen Tage verschärfte sich bereits der Ton in der Auseinandersetzung. Die dem Südsudan nahestehende Sudan Tribune zitierte am Mittwoch den Sprecher des sudanesischen Parlaments, Ahmed Ibrahim Al-Tahir, das Referendum als »Rebellion« bezeichnete. Al-Tahir verglich die Abstimmung mit den bewaffneten Aufständen in den Provinzen Südkordofan und Blauer Nil, gegen die Khartum immer wieder militärisch vorgeht. Auch von Seiten der Misseriya gab es Medienberichten zufolge bereits Ankündigungen, Abyei nötigenfalls »verteidigen« zu wollen. Diplomatischere Worte fand indes Sudans Präsident Omar Al-Baschir, der laut BBC Anfang der Woche versicherte, er und sein südsudanesischer Amtskollege Salva Kiir würden sich weiterhin um eine Lösung des Konflikts bemühen, die den Wünschen der lokalen Gemeinschaften entspricht.

* Aus: junge Welt, Freitag, 1. November 2013


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