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Am ANC kommt in Südafrika niemand vorbei

Afrikanischer Nationalkongress muss sich trotz Gegenwind nicht fürchten

Von Armin Osmanovic, Johannesburg *

Die Südafrikaner gehen am heutigen Mittwoch zum fünften Mal seit dem Ende der Apartheid zur Wahl. Die jüngsten Wahlprognosen verheißen einen klaren Sieg des regierenden ANC.

Der Afrikanische Nationalkongress (ANC) und sein Spitzenkandidat Jacob Zuma sind siegessicher. Die Furcht der Parteispitze und vieler Funktionäre vor einem schlechten Wahlergebnis ist in den letzten Wochen gewichen. Neue Umfragen sehen den ANC wieder deutlich im Aufschwung.

In den vergangenen Monaten ging im ANC die Angst um, denn der Skandal um die Privatresidenz des Präsidenten Zuma, für deren teuren Ausbau mutmaßlich Steuergelder benutzt wurden, drohte die Wahlchancen zu beeinträchtigen. Auch befürchtete man wegen des Chaos beim ANC-Partner COSATU, dem Gewerkschaftsdachverband, Wählerstimmen einzubüßen. Denn dessen größte Einzelgewerkschaft NUMSA unterstützt die Wiederwahl Zumas nicht.

Inzwischen hat sich die Stimmung gewendet. Die ANC-Abschlusskundgebung am Sonntag im voll besetzten FNB-Stadion von Soweto, auch als Soccer City bekannt, war sehr gut besucht. 95 000 begeisterte Anhänger feierten ihren Präsidenten. Zuma versprach den ANC-Anhängern bei der Transformation des Landes, das immer noch von Apartheid und Kolonialismus gezeichnet sei, nicht nachlassen zu wollen. Man habe in den letzten 20 Jahren unter der Führung des ANC viel erreicht, sagte Zuma. Trotz hoher Arbeitslosigkeit und vieler weiterer Probleme wie Korruption gehe es im Land voran.

Zuma rief die Südafrikaner auf, dem ANC eine Zweidrittelmehrheit zu schenken, um den Weg für radikale Reformen freizumachen. Im Dezember war der Staats- und Parteichef am gleichen Ort anlässlich der Trauerfeier für den früheren Präsidenten und Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela noch von Hunderten Menschen ausgebuht worden.

Die letzte Wahlumfrage sagt einen klaren Wahlsieg des ANC voraus. 64 Prozent der Wähler wollen dem ANC ihre Stimme geben. Gegenüber 2009, als der ANC unter Zuma 65,9 Prozent erreichte, wäre das ein Verlust von knapp zwei Prozentpunkten. Eine Zweidrittelmehrheit wird der ANC bei dieser Wahl wohl nicht erhalten. Doch Zuma ist optimistisch: »Die Menschen sagen, sie würden für den ANC sterben, denn er hat uns befreit.«

Die Demokratische Allianz (DA), Südafrikas größte Oppositionspartei, kann nach der vom IPSOS-Institut durchgeführten Befragung von über 2000 Menschen auf 24 Prozent der Stimmen hoffen. Damit könnte sich die DA unter ihrer Parteichefin Helen Zille gegenüber den Wahlen vor fünf Jahren deutlich verbessern. Damals erhielt sie 16,7 Prozent.

Die DA bleibt aber wohl weit entfernt von der eigenen Zielmarke. 30 Prozent wollte sie eigentlich erreichen, um bei den nächsten Wahlen den ANC wirklich herausfordern zu können. Auch der von der Allianz anvisierte Machtwechsel in der Provinz Gauteng, dem Wirtschaftszentrum des Landes mit den Städten Johannesburg und Pretoria, ist wenig wahrscheinlich. Zeitgleich mit der Wahl zum Nationalparlament in Kapstadt finden auch die Wahlen zu den neun Provinzparlamenten statt.

Mit Ausnahme der Provinz Westkap, wo die DA wohl ihre absolute Mehrheit verteidigen kann, wird der ANC alle Provinzwahlen klar für sich entscheiden. In Zumas Heimatprovinz Kwazulu-Natal deutet sich trotz des Unmuts über den Ausbau der Privatresidenz des Präsidenten ebenfalls ein klarer ANC-Sieg an, da die einst starke Zulu-Partei Inkatha Freiheitspartei nur noch ein Schatten ihrer selbst ist.

Die neue Oppositionspartei Economic Freedom Fighters (EFF) unter dem früheren Präsidenten der ANC-Jugendliga Julius Malema zeigt sich ebenfalls erfolgssicher. Vor allem in Gauteng und in Malemas Heimatprovinz Limpopo hat der Jungpolitiker Zulauf, obwohl gegen ihn verschiedene Verfahren unter anderem wegen Steuerhinterziehung laufen.

Malema spricht mit seinen Forderungen nach Landreform ohne Entschädigung weißer Farmer und Verstaatlichung der Bergbaukonzerne vor allem junge Wähler an, die den Versprechungen des ANC auf ein besseres Leben angesichts von Massenarbeitslosigkeit, sozialer Ungleichheit, Korruption und Vetternwirtschaft nicht länger Glauben schenken. Dabei kann er nicht nur bei den Arbeitslosen, sondern auch bei Studierenden auf Stimmen hoffen, wie die jüngsten Wahlen zu den Studentenvertretungen gezeigt haben.

In den IPSOS-Umfragen kommt Malema derzeit auf knapp fünf Prozent der Stimmen, doch mit seiner noch jungen Partei tun sich die Umfrageforscher schwer. Eine Überraschung ist durchaus möglich, denn viele Wählerinnen und Wähler hatten sich auch kurz vor dem Wahltermin noch nicht endgültig entschieden.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 7. Mai 2014


Nelson Mandelas Versprechen ist noch lange nicht eingelöst

Die einstige ANC-Kämpferin Shirley Gunn sieht in Südafrika auch über 20 Jahre nach dem Ende der Apartheid noch immer eine geteilte Gesellschaft **

Shirley Gunn trat dem ANC 1980 bei und wurde 1984 für den bewaffneten Kampf rekrutiert. Sie war inhaftiert und wurde gefoltert. Im Jahre 2000 gründete sie in Kapstadt das Human Rights Media Centre. Sie will damit all denen eine Stimme verleihen, die mit ihren Problemen in der Tagespolitik untergehen und für deren Geschichten sich Medien kaum interessieren.
Über die Wahlen in Südafrika und das Erbe Nelson Mandelas sprach mit ihr Christa Schaffmann.


Was erwarten Sie von diesen fünften demokratischen Wahlen nach dem Ende des Apartheidregimes?

Der ANC wird erneut gewinnen. Das sage ich nicht nur aufgrund der Umfragen. Es gibt einfach noch keine erkennbare Alternative. Die größte Oppositionspartei Democratic Alliance (DA) ist es auf keinen Fall. Sie hat dennoch die Möglichkeit, Gauteng als zweite Provinz nach Westkap zu gewinnen, und wird versuchen vorzuführen, dass sie mindestens einen besser organisierten öffentlichen Dienst hinbekommt. Der Rest sind Splitterparteien, die keine Gefahr für den ANC darstellen. Was mich selbst betrifft, so habe ich bereits bei der letzten Wahl lange gezögert, wo ich mein Kreuz machen soll. Der ANC macht es selbst Menschen wie mir, die jahrelang in seinen Reihen gekämpft haben, derzeit mit seiner Politik nicht leicht, sich für ihn zu entscheiden. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Millionen Menschen sind arbeitslos, bei den Jugendlichen etwa 50 Prozent.

Die größte Gewerkschaft des Landes, NUMSA, hat sich aus dem zum Regierungsbündnis gehörenden Gewerkschaftsverband COSATU verabschiedet und will eine neue Arbeiterpartei aufbauen. Zudem existiert bereits die nach den Ereignissen in Marikana gegründete WASP, die sich eventuell dieser Arbeiterpartei anschließen will. Sie kandidiert bereits in diesem Jahr. Könnte sie ein Sammelbecken für die Millionen Unzufriedenen werden?

Dass man nach Marikana nicht einfach zur Tagesordnung würde übergehen können, war klar. Der ANC wurde als mitschuldig an der Ermordung von streikenden Bergarbeitern angesehen, also brauchte man eine neue Bewegung. Ob die WASP oder später die von der NUMSA angestoßene neue Arbeiterpartei das Potenzial hat, zu einer starken Kraft mit Einfluss auf strategische Fragen der Politik zu werden, das wage ich noch nicht zu beurteilen. Wenn man wie ich viel auf kommunaler Ebene arbeitet, sieht man dort eine Vielzahl von Menschen mit vielen Talenten. Veränderung erwarte ich eher von einer Art Graswurzelbewegung als von neuen Parteien. Ganz sicher aber nicht von Julius Malema, dem Chef der Economic Freedom Fighters, der mit seinem Politikstil vielleicht Chancen bei den jungen Arbeitslosen hat, aber nicht das Format und auch nicht den Willen, die nötige zweite Phase der Transformation des Landes einzuleiten. In meinen Augen ist er ein Populist. Aber das Spielfeld ist – nach den Toten von Marikana – reif für ihn.

Mandelas Erbe sehen Sie also noch lange nicht in sicheren Händen?

Ich frage mich oft: Sind wir visionär und couragiert genug, um in seine Fußstapfen zu treten?

Wie lange wird das Regierungsbündnis aus ANC, Kommunistischer Partei (SACP) und COSATU noch halten und wieso ist die SACP überhaupt noch im Bündnis?

Es wird zerfallen. Gewerkschaft wird wieder Gewerkschaft sein oder noch mehr Anhänger verlieren als schon geschehen. Dass die SACP noch dazu gehört, obwohl es in ihren Reihen auch viel nicht öffentliche Kritik gibt, führe ich auf die Doppelmitgliedschaft vieler Leute in der Führung zurück. Die ist historisch gewachsen. Viele ANC-Mitglieder waren und sind gleichzeitig in der SACP. Ins neue politische System Südafrikas passt die gleichzeitige Mitgliedschaft in zwei Parteien eigentlich nicht.

Ein Kampfgefährte Nelson Mandelas, Denis Goldberg, hat gesagt, es sei das System, das die Korruption schafft. Und Altbundespräsident Horst Köhler meinte: »Korruption in Afrika trägt auch das Gesicht westlicher Konzernvertreter und die Nummern europäischer Banknoten.« Was meinen Sie?

Ich sehe das etwas anders. Schuld kann man an vielen Stellen suchen; das ist legitim. Vor allem aber sehe ich sie bei denen, die sich korrumpieren lassen, bei jenen, die einst Leute bekämpft haben, die sie heute imitieren. Eine Erklärung dafür ist rasch gefunden, wenn man an die lange Zeit der Entbehrungen denkt, die das Volk in Zeiten der Apartheid erleiden musste. Aber das allein rechtfertigt noch lange nicht, sich auf Kosten der Massen zu bereichern.

Sie haben an anderer Stelle von Ihrer persönlichen Enttäuschung über die Entwicklung seit 1994 gesprochen. Können Sie sie beschreiben?

Ich hatte nach den Jahren des bewaffneten Kampfes keine Ambitionen, irgendeinen hohen Posten einzunehmen. Aber ich hoffte, man würde mich dort einsetzen, wo ich mit meinen speziellen Kenntnissen und Erfahrungen im militärischen Kampf, aber auch im sozialen Bereich sinnvoll hätte arbeiten können. Das ist nicht geschehen, so als habe man seine Schuldigkeit getan und werde nicht mehr gebraucht. Ich habe mir dann mit dem Human Rights Media Centre selbst eine Aufgabe gestellt, für die ich mehr Unterstützung aus dem Ausland, unter anderem von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, erhalte als von südafrikanischer Seite. Und noch etwas: Es gab ein großes Willkommen für die aus dem Exil Heimkehrenden, aber keine Feier für die, die im Inland über viele Jahre ihr Leben riskiert haben. Ich bin enttäuscht von den Menschen, die die Freiheit anscheinend vor allem als Chance für sich selbst und ein Leben im Luxus gesehen haben. Und ich bin enttäuscht, weil Mandelas Versprechen noch lange nicht eingelöst ist; wir sind noch immer eine geteilte Gesellschaft.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 7. Mai 2014

Südafrika vom Ende der Apartheid bis zu den Wahlen 2014

1990: Präsident Frederik Willem de Klerk kündigt am 2. Februar 1990 an, das Verbot von ANC, PAC, SACP und anderen Gruppen aufzuheben. Kurz darauf wird Nelson Mandela freigelassen.

1994: Vom 26. bis 29. April 1994 finden die ersten Parlamentswahlen unter Beteiligung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit statt. Der ANC erhält 62,6 Prozent der Stimmen. Nelson Mandela übernimmt am 10. Mai sein Amt als erster schwarzer Präsident.

1999: Der ANC legt auf 66,4 Prozent zu. Thabo Mbeki wird Nachfolger Nelson Mandelas.

2004: Der ANC erreicht 69,7 Prozent der Wählerstimmen. Mbeki bleibt bis 2008 im Amt, wird parteiintern in einem Machtkampf mit Jacob Zuma gestürzt und interimsweise von Kgalema Motlanthe beerbt.

2009: Der ANC erreicht 65,9 Prozent der Wählerstimmen. Jacob Zuma wird neuer Präsident.

2014: Bei den Wahlen am 7. Mai ist der ANC Favorit, Zuma ist sein Präsidentschaftskandidat. ML




»Wirtschaft ist nicht Wohlfahrt«

Am heutigen Mittwoch wählt Südafrika ein neues Parlament. Der regierende ANC hat Probleme mit der Spaltung des Gewerkschaftsbunds COSATU. Ein Gespräch mit Gwede Mantashe ***

Gwede Mantashe ist seit 2007 Generalsekretär des African National Congress (ANC). Bis Juli 2012 war er zudem Vorsitzender der South African Communist Party (SACP). Die politische Laufbahn des 58jährigen begann in der Bergarbeitergewerkschaft NUM, deren Generalsekretär er von 1998 bis 2006 war.

Im TV-Wahlkampfspot des ANC heißt es, »Südafrika ist heute besser als vor 20 Jahren«. Das ist ohne Zweifel so. Doch zunehmende Proteste deuten darauf hin, daß nicht alle Südafrikaner das »bessere Leben für alle« auch spüren. Kommen die Verbesserungen für die Menschen nicht schnell genug?

Das ist keine Werbung, daß Südafrika besser ist, als es war. Das ist Realität. Wenn man über Proteste redet, bedarf es einer tiefgehenden Analyse. So gibt es z.B. Proteste als Resultat eines verbesserten Lebensstandards. In einer großen informellen Siedlung wie Diepsloot leben 23000 Familien. 13000 haben vernünftige Häuser bekommen. Die 10000, die von dem Wandel nicht betroffen sind, werden ungeduldig – und Sie sehen Proteste. Manchmal entstehen Proteste auch aus internen Kämpfen um Führungspositionen, wenn jemand die Gemeinschaft aufhetzt, weil er jemand anderen stürzen will. Es gibt also viele Formen von Protest, und es gibt Menschen mit tatsächlichen Problemen. Wo es kein sauberes Trinkwasser gibt, protestieren die Leute. Aber Fakt ist, daß 1994, als wir übernommen haben, nur 39 Prozent der Südafrikaner Anschluß ans Stromnetz hatten. Heute sind es 86 Prozent. Das ist Fortschritt. Aber es bedeutet keinen Fortschritt für die übriggebliebenen 14 Prozent, die wollen immer noch Elektrizität.

Nun kritisiert Ihr Allianzpartner, der Gewerkschaftsbund COSATU, einen Mangel an Transformation in der Wirtschaft. Sie persönlich haben 1995 als erster Gewerkschafter im Aufsichtsrat eines an der Johannesburger Börse notierten Konzerns – dem Chrom- und Manganproduzenten Samancor – Geschichte geschrieben. Was war Ihr Ziel, als Sie diesen Posten angenommen haben?

Ich habe nicht nur dort gesessen, ich war auch im Aufsichtsrat von Eskom (Südafrikas staatlicher Stromkonzern), weil wir damals als Gewerkschaft beschlossen haben, Leute in Aufsichtsräte von Firmen zu entsenden, wo wir organisiert sind – in der gleichen Art und Weise wie die Gewerkschaften in Deutschland versuchen, die Richtung der Unternehmen zu beeinflussen.

Glauben Sie, daß die Mitgliedschaft in Aufsichtsräten die Wirtschaft verändern kann?

Wenn man genug Einfluß hat, ja. Ein Beispiel: Als wir zu Eskom gegangen sind, waren dort 4,3 Prozent der Manager Schwarze, als wir den Aufsichtsrat verlassen haben, waren es rund 54 Prozent – weil wir die Transformation von innen gesteuert haben.

Hat der Anteil schwarzer Manager auch die Politik des Unternehmens geändert?

Ja, vorher waren alle zehn Aufsichtsräte Weiße. Wir haben fünf von ihnen an einem Tag ausgewechselt und fünf Schwarze ernannt. Nachdem wir die Aufsichtsräte gewechselt hatten, haben wir Fortschritte bei der Einstellung schwarzer Manager auf verschiedenen Ebenen gemacht.

Was bedeutet wirtschaftliche Transformation für den ANC in der Praxis?

Vieles. Wir können keine Situation tolerieren, in der der Großteil der Wirtschaft noch immer in weißen Händen ist. An der Johannesburger Börse besitzen schwarze Südafrikaner 21 Prozent, 1994 waren es noch null. Aber wir denken, daß der Anteil wachsen sollte, denn das würde eine Umverteilung von Reichtum reflektieren. Der zweite Punkt ist, daß der Staat in der produktiven Wirtschaft aktiver werden muß. Wir bauen ein staatliches Bergbauunternehmen auf, ein pharmazeutisches Staatsunternehmen und eine Staatsbank.

Wird dieses staatliche Bergbauunternehmen die Abbaurechte von Konzernen übernehmen, wenn sie Schächte stillegen?

Ich bin nicht sicher, ob es das tun muß, denn was wir in Südafrika haben, sind reiche Erzvorkommen. Dieses Unternehmen muß Kohle fördern und Eskom versorgen, wenn es Engpässe gibt. Es kann auch einen Teil der Kohle exportieren und Partnerschaften mit Privatunternehmen eingehen oder einen Anteil von Bergbaukonzernen übernehmen, aber es sollte in der produktiven Wirtschaft aktiv sein.

Aber werden Sie für dieses Unternehmen Minen verstaatlichen?

Nein, darüber haben wir jahrelang diskutiert und einen Entschluß gefaßt. Verstaatlichungen funktionieren nicht. Sie haben nirgendwo funktioniert, deshalb fangen selbst Länder, die alles verstaatlicht haben, heute an, sich zu öffnen. Was man braucht, ist eine Balance zwischen privatem und staatlichem Sektor – und die müssen zusammenarbeiten.

Aber wenn der private Sektor wie im Fall von Amplats Tausende Arbeiter entlassen will, würde der Staat da nicht eingreifen wollen, um die Arbeitsplätze zu sichern?

Nein, Wirtschaft ist nicht Wohlfahrt. Wenn man produktiv wirtschaften will, kann man das nicht als Sozialwesen tun.

Rund um das Massaker von Marikana 2012 wurden die Lebensbedingungen der Bergarbeiter thematisiert, ein Jahr später die an Sklaverei erinnernde Situation der streikenden Farmarbeiter. Der ANC-Veteran Denis Goldberg sprach vor kurzem im Interview mit jW von einer Beibehaltung der »Arbeitsbeziehungen der Apartheid«. Würden Sie dem zustimmen?

Nein. Ich bin Bergarbeiter. Als ich 1975 im Bergbau war, wohnten wir in einem Unisexwohnheim, 22 Männer in einem Zimmer, in Doppelstockbetten. Das werden Sie heute an den Minen nicht finden. Die Leute wohnen jetzt zu viert oder zu zweit in einem Zimmer. Das allein – bevor man überhaupt Familienunterkünfte betrachtet – ist eine Verbesserung. Aber wenn man die historische Entwicklung der Bergbauindustrie nicht kennt, kann man heute alles sagen. Das gleiche gilt für Lonmin, den Besitzer der Marikana-Mine. Ich rechtfertige das Massaker nicht, aber wenn Sie dort hinfahren, sehen sie die Wohnungsprojekte dort. Für mich ist das Fortschritt.

Doch woher kam dann 2012 diese radikale Wut?

Wenn man mit Zahlen um sich wirft, kann man agitieren. Aber wenn man eine Gewerkschaft führt, braucht man eine weitere Fähigkeit: die, einen Streik zu leiten. Ich bin Gewerkschafter, in den Anfängen der NUM (National Union of Mineworkers) waren wir ähnlich rücksichtslos. Wir haben gestreikt, ohne irgendwelche Anträge zu stellen. 1987 hat Anglo American 50000 Bergarbeiter gefeuert, weil wir 21 Tage lang im Streik waren. Was jetzt passiert ist nichts Neues. Es ist eine Wiederholung der Geschichte: Die Gewerkschaft AMCU (Association of Mineworkers and Construction Union) will sich etablieren. Es gibt große Forderungen, Streiks und auch fehlende Fähigkeiten, einen Streik zu leiten. So fällt die Gewerkschaft auf Einschüchterung und Gewalt zurück.

Aber das bedeutet auch, daß sie genügend Arbeiter findet, die ungeduldig genug sind, ihr zu folgen.

Ja, aber sobald man genug Leute hat, die ungeduldig sind, und Warlords, werden viele aus Angst folgen – und das ist auf lange Sicht nicht nachhaltig.

Nach der Wahl Jacob Zumas zum ANC-Präsidenten 2007 hat es mit COPE eine eher neoliberale Abspaltung vom ANC gegeben. Nun ist der COSATU in Turbulenzen. Die Metallarbeitergewerkschaft NUMSA hat dem ANC sogar erstmals ihre Unterstützung versagt. In welche Richtung wird die ANC-Politik in den nächsten fünf Jahren gehen?

Der COSATU ist eine vom ANC unabhängige Organisation, die mit dem ANC in einer Allianz ist. Er hat Probleme. Wir reden mit denen und sagen ihnen, daß den COSATU zu teilen, das Schlimmste wäre, das passieren kann.

Der Nationale Entwicklungsplan (NDP) wurde vom COSATU als neoliberal kritisiert, die NUMSA nannte ihn sogar »das Programm unseres Klassenfeinds« und sagt, er würde Arbeiterrechte schwächen und die Industrialisierung zurückdrängen. Wie soll der NDP die Nationale Demokratische Revolution voranbringen?

Leute die keine Planung verstehen, werden immer mit revolutionärer Rhetorik um sich werfen, die keinen Inhalt hat. Keine Gewerkschaft hat das Kapitel zum Bildungswesen kritisiert, auch der Teil zum Gesundheitswesen wurde nie kritisiert. Meinungsverschiedenheiten gibt es um die Wirtschaft und um Arbeit. COSATU muß mit uns darüber diskutieren, aber nicht den gesamten Plan verwerfen.

Interview: Christian Selz, Kapstadt

* Aus: junge welt, Mittwoch, 7. Mai 2014


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