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Lebendig begraben

Bis zu 200 illegale Goldgräber harren in stillgelegter Mine in Südafrika aus. Eigner will Schacht zubetonieren

Von Christian Selz *

Am Dienstag kam aus den stillgelegten Schächten von Benoni ein erstes Opfer zu Tage. Zusammen mit einer Gruppe anderer, ebenfalls auf eigene Faust arbeitender Kumpel hatte sich ein Bruder eines bis dahin vermißten 32jährigen Simbabwers in dem Minenlabyrinth unter der östlichen Vorstadt der südafrikanischen Metropole Johannesburg auf die Suche begeben. Mit Seilen hievten sie den längst aufgeblähten Körper schließlich nach oben. Einen zweiten Toten mußten die Männer zurücklassen. Sie konnten ihn unter herabgestürztem Gestein, das ihn erschlagen hatte, nicht bergen.

Laut Zweli Dlamini, Sprecher des Bürgermeisters des zuständigen Bezirks Ekurhuleni, hängt der Fall nicht mit dem Schicksal der seit dem vergangenen Wochenende in einer weiteren Mine in dem Stadtteil eingeschlossenen Bergleute zusammen. Eine Polizeipatrouille hatte am Sonntag Schreie aus einem offiziell stillgelegten Schacht ebenfalls in Benoni gehört. Nachdem die ersten 25 geretteten Kumpel, die dort gesetzeswidrig auf eigene Faust Gold gefördert hatten, nach ihrer Rettung und einer medizinischen Erstuntersuchung am Sonntag noch an der Mine verhaftet worden waren, weigerten sich die restlichen Bergleute, aus dem Schacht zu kommen. Rettungskräften zufolge sollen sich noch bis zu 200 Goldgräber in der Mine befinden. Nach Angaben von Geretteten seien sie von Kriminellen – möglicherweise einer rivalisierenden Gang illegaler Bergarbeiter – ausgeraubt worden, die den Schacht anschließend mit Gesteinsbrocken blockiert hätten.

Die Metropole Johannesburg, in der Sprache der Zulu passender »eGoli«, »Ort des Goldes«, genannt, entstand mit dem Goldrausch der 1880er Jahre. Das berichtete das Internetportal Times live am Mittwoch. Seitdem wurde in Südafrika mehr als ein Viertel des weltweit geförderten Goldes zu Tage gebracht. Inzwischen reichen die Minen bis in 4000 Meter Tiefe – und verlieren damit an Profitabilität. Das Resultat waren vor allem in den vergangenen Jahrzehnten Verkäufe an kleinere Bergbauunternehmen, die häufig nur noch die letzten Gewinne aussaugen, die Minen herunterwirtschaften und schließlich stillegen. Die kontaminierte und aufgrund der Unterhöhlung städtebaulich nutzlose Fläche wird anschließend weitestgehend sich selbst überlassen – ein Schicksal, das in der Regel auch die einst dort tätigen Bergleute ereilt.

Einige von ihnen sind aus der Not heraus illegal wieder in die Schächte hinabgestiegen, dazu kommen andere Verdammte und Verzweifelte: Immigranten, die meisten aus Simbabwe oder Lesotho, häufig ohne Papiere, Arbeitserlaubnis und Perspektive. Geeint sind sie in der Not, ihre Familien irgendwie versorgen zu müssen. Getrennt sind sie in verschiedene Gangs. »Wenn dich eine andere Gruppe unter Tage findet, lassen sie dich mit vorgehaltener Waffe wie einen Sklaven schuften«, erzählte einer der Bergmänner der britischen BBC. Deswegen stiegen sie stets bewaffnet ab. Niemand weiß, wie viele Menschen so unter Tage ein Auskommen suchen. Niemand weiß, wie viele dort sterben. Das Bergbauministerium schätzt nur den »jährlichen Verlust«, den die illegalen Bergarbeiter angeblich verursachen. Auf 500 Millionen US-Dollar jährlich wird er beziffert. Allerdings ist derzeit ohnehin kein Unternehmen bereit, das Gold aus den verfallenen Minen zu holen.

Statt dessen verschließen die Eigner die Minen notdürftig und hoffen auf einen höheren Goldpreis oder neue Fördertechnologien. Der Konzern Gold One will den Mineneingang in Benoni nun allerdings einem Bericht des Mail&Guardian vom Freitag zufolge zubetonieren. Den ausharrenden Bergarbeitern, auf die noch immer die Polizei lauert, wurden Flugblätter in den Schacht geworfen. Darauf werden sie zur Aufgabe aufgefordert. Die damit einhergehende Drohung ist eindeutig: »Dieses Loch wird am Montag, den 3. März, versiegelt werden.« In Südafrika wird nun darüber debattiert, ob das rechtens sei oder nicht. Grant Stuart, amtierender Vizepräsident von GoldOne, behauptet zwar, daß es weitere Öffnungen gäbe. Damit wäre die Schachtschließung legal. Doch es bleibt die Frage, warum sich dann trotz der angeblichen alternativen Fluchtmöglichkeiten noch am Dienstag weitere Kumpel der Polizei stellten. »Es stimmt, daß die unterirdischen Tunnel miteinander verbunden sind, aber über die Jahre ist der Wasserspiegel gestiegen, und das verbaut den Bergarbeitern den Weg zu anderen Ausgängen«, erklärte ein Sprecher der Rettungskräfte. Damit käme ein Zubetonieren des Schachts einem Begräbnis bei lebendigem Leibe gleich.

* Aus: junge Welt, Samstag, 22. Februar 2014


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