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"Das ist ein Bündnis mit dem Kapital"

Südafrika: Metallarbeitergewerkschaft geht auf Distanz zur Regierungsallianz aus ANC und Kommunisten. Ein Gespräch mit Irvin Jim *


Irvin Jim ist General­sekretär der südafrikanischen Metallarbeiter­gewerkschaft NUMSA.


In den vergangenen Monaten hat sich der Streit zwischen Ihrer Gewerkschaft NUMSA und der südafrikanischen Regierung zugespitzt. Wie tief geht der Riß?

Meine Gewerkschaft hat in der Befreiungsallianz gemeinsam mit dem Afrikanischen Nationalkongreß (ANC) und der Kommunistischen Partei (SACP) gekämpft. Unsere Verbündeten greifen uns jetzt aber an, wenn wir klar und deutlich die Arbeiterklasse und die Armen verteidigen.

Die Führung der Allianz bezeichnet sich gerne als antiimperialistisch, ist aber ein lukratives Bündnis mit dem internationalen Kapital eingegangen. Den Preis dafür zahlen Arbeiter und Arme. Neue Arbeitsplätze entstehen nur durch Aufbau einer leistungsfähigen Industrie – die kann aber nur geschaffen werden, wenn die Profite im Bergbau und im Finanzsektor abgeschöpft werden. Banken und Bergwerke müssen verstaatlicht werden.

Es gibt immer häufiger Zusammenstöße – in Marikana z.B. erschoß die Polizei 2012 mindestens 34 streikende Bergleute. Wie beurteilen Sie das?

Dort hat die Polizei Arbeiter niedergemacht, die einen Lohn wollten, von dem man leben kann. Ähnliche Proteste gab es während des Landarbeiterstreiks in der westlichen Kapprovinz, und es gibt sie zur Zeit auch in Mothuthlung, Sebokeng und anderswo. Wir kämpfen gegen eine Polizei, die unsere Leute umbringt, wenn sie dagegen protestieren, daß sie kein Wasser und keine Wohnungen haben. Und wir verlangen, daß die Verantwortlichen für das Marikana-Massaker zur Rechenschaft gezogen werden – beim zuständigen Minister angefangen!

Was kritisieren Sie an der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik?

ANC und SACP haben den Handel liberalisiert und so der Dumpingproduktion aus China und anderen Ländern Tür und Tor geöffnet. Das hat knapp 300000 Jobs im produzierenden Gewerbe gekostet. Sie haben die Devisenkontrollen aufgehoben und damit ermöglicht, daß große Summen, die eigentlich investiert werden müßten, ins Ausland verschoben wurden. Eine Exportsteuer auf die bei uns geförderten Rohstoffe sowie ein Verbot der Ausfuhr von Schrott haben sie auch abgelehnt. Sieben Gießereien mußten schließen.

Die Zentralbank richtet sich am Inflationsziel aus und nicht an der Schaffung von Arbeitsplätzen – zum Nutzen des Finanzkapitals. Trotz der Forderung nach Einführung eines Mindestlohns in der Freiheitscharta erlaubt die Regierung das Fortbestehen von Apartheid- und Koloniallöhnen.

Wie ist die Lage der Lohnabhängigen 20 Jahre nach Ende der Apartheid?

Hohe Arbeitslosigkeit, Hungerlöhne. 400000 junge Menschen finden jedes Jahr nach dem Schulabschluß keine Stelle. 72 Prozent aller Arbeitslosen sind Jugendliche. 60 Prozent haben noch nie in ihrem Leben gearbeitet oder zumindest die vergangenen fünf Jahre nicht. 44 Prozent der Arbeiter leben von weniger als zehn Rand (67 Cent) am Tag. Trotzdem müssen sie in vielen Fällen noch erwerbslose Familienmitglieder mit ernähren. Jeder vierte Haushalte hat nicht genug zu essen.

Zieht Ihre Gewerkschaft daraus Konsequenzen?

Wir haben kürzlich auf einem Sonderkongreß beschlossen, keine Mitgliedsbeiträge für den ANC-Wahlkampf mehr zur Verfügung zu stellen. Es gibt auch keine Unterstützung im Wahlkampf.

Wir wollen vielmehr den Aufbau einer Einheitsfront gegen das Kapital anstoßen. Arbeitskämpfe und Proteste in den Gemeinden müssen verknüpft werden. Darüber hinaus hat der erwähnte Kongreß unsere Gewerkschaftsspitze beauftragt, Geburtshilfe bei der Bildung einer Arbeiterpartei zu leisten, die sich zu gegebener Zeit an Wahlen beteiligen wird.

Spielt sich dieser Streit zwischen Regierungsanhängern und -gegnern auch im Gewerkschafts-Dachverband COSAmTU ab?

Wir haben die COSATU-Spitze aufgefordert, sofort einen Sonderkongreß einzuberufen, und sie ersucht, aus dieser Regierungsallianz auszuscheiden. Die hat sich als unfähig erwiesen, die 1994 errungene politische Macht zu nutzen, um den nationalen Reichtum in Besitz zu nehmen und die rassistische Kolonialwirtschaft zu beseitigen.

Was sind Ihre nächsten Schritte?

Massenaktionen. Am 26. Februar beginnen sie mit einem landesweiten Streik und Aktionen in den Townships, mit denen wir eine bessere Schul- und Berufsausbildung fordern.

Interview: Raoul Rigault

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 20. Februar 2014


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