"Konsenssucht"
Gespanntes Abwarten: Südafrikas Präsident Jacob Zuma nach hundert Tagen im Amt noch ohne klares Profil
Von Christian Selz, Port Elizabeth *
Pünktlich zu Jacob Zumas erstem kleinen Dienstjubiläum, dem hundertsten
Tag im Amt, hat sich die Streikwelle in Südafrika gelegt. Die Proteste
und Arbeitsniederlegungen - als Ausdruck der Finanzkrise gewertet -
waren dem neuen Präsidenten gar nicht erst angelastet worden. Also
bekommt der vor seiner Wahl zum Präsidenten so verteufelte Zuma viel Lob
für einen ordentlichen Start.
Er hat bisher weder die Verfassung verbogen, um sich gegen
Korruptionsanklagen immun zu machen, noch eine Massenflucht von
Investoren verursacht oder Heerscharen von Getreuen in Spitzenämter
gehievt. Im Gegenteil, Zuma hat mit Trevor Manuel, Finanzminister unter
Vorgänger Thabo Mbeki, einen potentiellen Gegenspieler zum Superminister
für die Planung der Regierungsarbeit ernannt, und Pieter Mulder von der
rechts-konservativen Freedom Front Plus zum Vizeminister für
Landwirtschaft und Umwelt gemacht - ein deutlicher Schritt zum Konsens
mit den weißen Farmbesitzern.
Große Hoffnungen
Die meist von konservativer Seite gehegten Befürchtungen haben sich
nicht bestätigt. Aber auch nicht die Hoffnungen derer, die ihn gewählt
haben. Ein Eindruck hundert Tage nach der Vereidigung Zumas ist, daß
sich sein zurückhaltender Regierungsstil mit einer Art »Konsenssucht«
paart, die wenig Hoffnung auf radikale Änderungen, auf offensive
Investitionsprogramme oder konsequente Armutsbekämpfung macht. Der
Präsident regiert nicht - er läßt regieren. Und die, denen er den
Auftrag dazu gibt, sind nicht die Verbündeten der Kommunistischen Partei
(SACP) oder des Gewerkschaftsbundes (Cosatu), die nach wie vor große
Hoffnungen in Zuma setzen.
Daß ein Weißer im Landwirtschaftsministerium die Agrarreform
beschleunigt, scheint genauso unwahrscheinlich wie die Idee, daß der
strenge neoliberale Finanzpolitiker Manuel neue Milliarden für soziale
Projekte und zur Konjunkturbelebung freigibt. Er sei den Gewerkschaften
nichts schuldig, entgegnete Zuma dann auch noch als deutliche
Unterstreichung seines - beziehungsweise Manuels - Kurses auf die
Cosatu-Forderung nach einem konturreicheren linken Regierungsprogramm.
Der daraus resultierende Zwist ist inzwischen beigelegt, Cosatu und SACP
bemühten sich, schnell zu betonen, daß das Verhältnis zum Präsidenten
gut und der erhoffte Politikwechsel auf dem Weg sei.
Das hat zwei Gründe: Zum einen hat Südafrikas Linke zu lange auf einen
Präsidenten ihrer Wahl gewartet, als daß sie sich nach den
enttäuschenden Mbeki-Jahren ein Zerwürfnis mit Zuma erlauben könnte. Und
zum Zweiten gibt es auch durchaus positive Signale. Denn während in
einigen Branchen noch verhandelt wird, lassen die 13 Prozent Lohnplus im
öffentlichen Dienst und die 12,5 Prozent in der Baubranche auf eine
Stärkung der Arbeiterrechte hoffen, die mit ihren bescheidenen Gehältern
zumeist ganze Großfamilien ernähren müssen. Solche Tarifabschlüsse sind
in der südafrikanischen Gesellschaftsstruktur aktive Armutsbekämpfung.
Ungeduld wächst
Mit seinem Einsatz gegen die Korruption sowie mit der Überwachung des
Regierungsapparats macht Zuma ebenfalls Ernst. Erst in der vergangenen
Woche informierten Manuel und Zuma die versammelten
Provinzregierungschefs und die Bürgermeister der sechs größten
Metropolen über die neuen Richtlinien und Kontrollmaßnahmen. »Ihr werdet
Köpfe rollen sehen«, unterstrich der Präsident seine Absicht,
Ineffizienz und Vetternwirtschaft in den Behörden zu bekämpfen. In einem
Land, das zumindest im Klagen über langsame und unfähige Behörden
vereint ist, gewinnt Zuma damit reichlich Anerkennung.
Einhundert Tage nach Amtsantritt prägt gespanntes Abwarten die Lage.
Spätestens wenn die Regierung tatsächlich handelt, wird es Raum für
Kontroversen geben. Und ewig nur über große Pläne reden kann Jacob Zuma
nicht, denn die Ungeduld vor allem in den Townships wächst - das haben
die jüngsten Streiks zumindest bereits angedeutet.
* Aus: junge Welt, 18. August 2009
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