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Zuma - beargwöhnter Volkstribun

Volksnah, populistisch, traditionsbewusst, links, radikal? Der neue Präsident des Afrikanischen Volkskongresses von Südafrika bewegt die Gemüter

Von Hans-Georg Schleicher *

Wenn alles glatt läuft, wird Jacob Zuma 2009 südafrikanischer Präsident. Also solcher wäre er 2010 Gastgeber der Fußballweltmeisterschaft. Zuma selbst ist davon überzeugt. Er will die Gräben, die durch den Führungskampf im Afrikanischen Nationalkongress (ANC) aufgerissen wurden, wieder schließen.

Die erste große Rede Jacob Zumas nach seiner Wahl zum Präsidenten des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) Südafrikas war mit Spannung erwartet worden. Am Wochenende forderte Zuma vor 20 000 Anhängern im Fußballstadion von Atteridgeville bei Tshwane (Pretoria) zur Feier des 96. Gründungstages des ANC dazu auf, die Spaltungen in der ältesten politischen Organisation Afrikas zu überwinden. Deren Stärke habe immer in der Fähigkeit bestanden, die Südafrikaner zu einen.

Der Kampf um die Führung - in den letzten Monaten erbittert geführt - schien mit Zumas deutlichem Sieg bei der Wahl des ANC-Präsidenten im Dezember entschieden. Staatspräsident Thabo Mbeki, bisher auch Parteichef, war auf dem Parteitag in Polokwane unterlegen. Doch danach kam es zu einer neuen Zuspitzung: Just als Zuma kurz vor dem Jahreswechsel in seinem Heimatort Nkandla im Zululand mit 5000 Anhängern den Sieg feierte, wurde ihm in Johannesburg eine Anklageschrift zugestellt. Auf 84 Seiten werden ihm Korruption, Fälschung, Geldwäsche, Schieberei und Steuerhinterziehung vorgeworfen.

Die Anklage kam nicht unerwartet, nachdem 2006 ein erstes Verfahren vertagt worden war. Zumas Anhänger kritisieren vor allem den Zeitpunkt des neuen Anwurfs -- kurz nach Zumas Wahl. Der Gewerkschaftsverband COSATU beklagt eine politisch motivierte Kampagne. Ähnlich äußern sich Vertreter der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP) und der ANC-Jugendliga. Die nationale Anklagebehörde NPA weist die Vorwürfe natürlich zurück. Man sei sich der Brisanz des Falles bewusst, handle aber strikt verfassungsgemäß auf der Grundlage von Fakten und Beweise.

Der Kampf im ANC entsprang nicht allein der Rivalität zweier Persönlichkeiten -- Mbeki und Zuma. Nach dem Kongress in Polokwane war in Medien von einem Tsunami zu lesen, der prominente Mbeki-Anhänger aus der ANC-Exekutive geschwemmt habe. Der Politologe Adam Habib sah darin eine Revolte gegen Mbeki, der es versäumt habe, sich mit Ängsten und Hoffnungen der Menschen zu identifizieren. Andere Beobachter meinten, die Parteibasis habe sich durch einen Führungswechsel mehr Gehör verschaffen wollen.

Dabei hat Mbeki, nach wie vor Staatsoberhaupt, den ANC in zehn Jahren zur Zweidrittelmehrheit im Parlament geführt. Er kann sowohl auf stabiles wirtschaftliches Wachstum als auch darauf verweisen, dass Südafrika international hohe Anerkennung genießt. Ungelöst blieben jedoch viele soziale Probleme, Gegensätze zwischen Arm und Reich verschärften sich. So entzündete sich Kritik an Mbekis Wirtschaftspolitik ebenso wie an seinem Führungsstil.

Der Kämpfer aus dem Zululand

Nun wird Südafrikas stärkste Partei von Jacob Zuma geführt, an dem sich im Lande und außerhalb die Geister scheiden. Doch der 65-Jährige hat früh gelernt sich durchzukämpfen. Zu Hause im Zululand konnte er keine Schule besuchen. Durch Gelegenheitsjobs unterstützte er seine verwitwete Mutter und einen jüngeren Bruder. Mit 17 Jahren Mitglied des ANC, trat er 1962 deren bewaffnetem Arm, dem »Speer der Nation«, bei. Während zehn Jahren Haft auf Robben Island lernte er Lesen und Schreiben und wurde unter dem Einfluss Nelson Mandelas politisch geprägt.

Seit 1973 im Untergrund, musste er das Land 1975 verlassen. Im Exil -- Swasiland, Mosambik, Sambia waren seine Stationen -- wurde Zuma 1978 in die ANC-Exekutive gewählt und arbeitete eng mit Thabo Mbeki zusammen. Nach 1990 nahm Zuma in Südafrika an den Verhandlungen zur Beendigung der Apartheid teil. Als Zulu vermittelte er bei Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des ANC, in dem Xhosa die Mehrheit bilden, und der Zulu-beherrschten Inkatha-Freiheitspartei.

Zuma war Sicherheitschef und seit 1997 Vizepräsident des ANC. Zunächst Provinzminister in KwaZulu-Natal, wurde er 1999 Stellvertreter von Staatspräsident Mbeki. Einen Karrierebruch erlitt er 2005: Nach der Verurteilung seines Finanzberaters und engen Vertrauten Schabir Shaik wegen Fälschung und Korruption wurde Zuma als Vizepräsident des Staates abgesetzt. Ein Korruptionsverfahren gegen ihn selbst wurde 2006 vertagt. Ein weiteres Verfahren wegen angeblicher Vergewaltigung endete mit einem Freispruch, doch die Kritik wegen sexistischer Äußerungen und Verharmlosung von HIV/Aids blieb an ihm haften.

In den Augen seiner Anhänger war Zuma das Opfer eines politischen Komplotts. Schon 2006 bestätigten sie ihn als ANC-Vizepräsidenten. Entscheidend für seine jüngste Wahl zum Parteichef war die Unterstützung der Mehrzahl der Provinzverbände, der Jugendliga und auch der Frauenliga -- ungeachtet von Vorbehalten wegen Zumas Haltung in der Geschlechterfrage und zu Aids. Wichtig war Zumas Rückhalt in COSATU und SACP, den Partnern des ANC in der Regierungsallianz.

Ohne dass er sich bisher programmatisch geäußert hat, gilt Jacob Zuma wegen seiner Offenheit für Nöte und Sorgen der einfachen Menschen als »Linker«. Dabei schließt sein Freundeskreis neben ehemaligen Genossen aus dem Befreiungskampf und Gewerkschaftsführern auch einflussreiche Unternehmer ein.

Jedenfalls hat der Führungsstreit im ANC Südafrika wie kaum ein anderes Ereignis polarisiert. Die Bewertungen des neuen ANC-Präsidenten sind äußerst gegensätzlich. Wer ist dieser Jacob Zuma? Schlagworte wie populistisch, links oder radikal werden ihm kaum gerecht. Dass er »Awulethu uMshini wami« (»Bring mir mein Maschinengewehr«) zu seinem Lieblingslied erkoren hat, ist wohl mehr Erinnerung an den Befreiungskampf als Ausdruck besonderer Radikalität. Der Autodidakt Zuma, durch Befreiungskampf, Haft, Exil und Parteipolitik geprägt, beherrscht heute alle Rollen des Vollblutpolitikers, auch die des Volkstribuns, die ihm auf den Leib geschneidert scheint.

Besonnen in der Stunde des Triumphs

In Polokwane aber erlebte man den anderen Zuma. In der Stunde größten Triumphs blieb er besonnen, zurückhaltend -- ganz Staatsmann und Parteichef. Er vermied spontane Medienerklärungen, demonstrierte Kameradschaft gegenüber unterlegenen Gegnern und bekräftigte die Einheit der Partei. Da gab es keine Misstöne, keine Häme, kein Ausnutzen des überlegenen Sieges.

Zuma ist der erste Zulu seit Jahrzehnten, der den ANC führt. Und er betont seine Bindung an die engere Heimat. Dort finde er immer wieder zu sich selbst zurück. Seine Identität als Zulu, Angehöriger der größten ethnischen Gruppe Südafrikas, ist für Gedleyihlekisa, wie er mit seinem Zulu-Vornamen heißt, wichtiger Teil der Persönlichkeit. Dazu gehört auch, dass er, der in traditioneller Ehe bereits mit zwei Frauen verheiratet ist, dieser Tage im heimatlichen Nkandla in einer farbenprächtigen Zulu-Zeremonie eine weitere Ehe einging. Msholozi, wie Zuma in KwaZulu-Natal respektvoll mit seinem Clan-Namen angesprochen wird, genießt in dieser Provinz die volle Unterstützung des ANC. Dort respektieren ihn aber auch politische Gegner.

Der einstige Zulu-Hirtenjunge fühlt sich inzwischen aber auch auf internationalem Parkett zu Hause. Sein politischer Führungsstil unterscheidet sich freilich von dem Mbekis. Er sucht den Kontakt zu den Massen. Gesprächspartner unterstreichen seine Wärme im persönlichen Umgang -- mit ihm könne man reden, er höre zu. Zuma hat kein eigentliches Küchenkabinett. Zu den wenigen Vertrauten seines »Brain Trusts« werden der ehemalige Armeechef Siphiwe Nyanda und SACP-Generalsekretär Bonginkosi »Blade« Nzimande gezählt.

Nach dem dramatischen Parteitag in Polokwane werden in der ANC-Führung Wunden geleckt. Man betont, die persönliche Rivalität habe keinen Einfluss auf die Politik des ANC. Auch Zuma unterstreicht deren Kontinuität. Schwerpunktprobleme seien Kriminalität, HIV/Aids, die Landfrage und die Förderung Schwarzer in der Wirtschaft ebenso wie Investitionsanreize. Allgemein wird Zuma Pragmatismus nachgesagt, in der Wirtschaft erwartet man kaum Veränderungen.

Schon in Polokwane hatte er betont, bis 2009 sei die Regierungspolitik Sache des Präsidenten Mbeki -- »ein Genosse, ein Freund, ein Bruder« und wichtiger Führer des ANC, wie er ihn nannte. In der Rede zum ANC-Jubiläum, in Abwesenheit Mbekis, würdigte Zuma erneut dessen Regierungspolitik und deren wirtschaftliche Erfolge. Andererseits fordern Stimmen aus der Umgebung Zumas mehr Kontrolle über die Regierung. So mancher Minister ist in der neuen ANC-Exekutive nicht mehr vertreten. Spekulationen über zwei Machtzentren in Südafrika -- die Parteiführung im »Luthuli House« in Johannesburg einerseits, die Präsidialkanzlei im »Union Building« in Tshwane (Pretoria) andererseits -- werden jedoch zurückgewiesen.

Mbeki und Zuma unterstreichen Einheit und Stabilität des ANC. Im 28-köpfigen Nationalen Arbeitskomitee, dem engeren Führungsgremium der Partei, dominieren zwar Zuma-Anhänger, aber eine gewisse Ausgewogenheit ist durchaus zu erkennen.

Ein bewegtes Jahr für den ANC

Der neue ANC-Präsident hat auch künftig ausreichend Gelegenheit, sein Versöhnungsgeschick unter Beweis zu stellen. Mitte 2008 soll der ANC-Präsidentschaftskandidat für 2009 nominiert werden. Jacob Zuma ist klarer Favorit. Aber das Damoklesschwert des Prozesses gegen ihn, der am 4. August beginnt, hängt über ihm. Zunächst sieht Zuma seine Aufgaben als Parteichef nicht beeinträchtigt. Er will seine Unschuld notfalls bis in die höchste Instanz verteidigen, im Falle einer Verurteilung aber zurücktreten. Energisch wies er die Androhung gewalttätiger Proteste einiger seiner Anhänger gegen das Gerichtsverfahren zurück.

Bei einem Rücktritt Zumas könnte Vizepräsident Kgalema Motlanthe nachrücken, Zuma-Vertrauter und als ehemaliger Generalsekretär einziger Vertreter der alten ANC-Führungsspitze im neuen Team. Aber es könnten auch andere Kandidaten ihren Handschuh in den Ring werfen. 2008 wird wohl ein bewegtes Jahr für den ANC.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Januar 2008


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