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"Die Proteste zeigen die Wut unserer Leute"

In Südafrika ist die Apartheid zwar abgeschafft, die kolonialen Strukturen wirken aber nach wie vor. Ein Gespräch mit Mosibudi Mangena *

Mosibudi Mangena ist Vorsitzender der Azanischen Volksorganisation (Azapo). Von 2004 bis 2008 war er Südafrikas Minister für Wissenschaft und Technologie, heute ist er einfacher Abgeordneter.



Seit einigen Wochen erlebt Südafrika eine Welle von Streiks und Unruhen in den Townships. Was ist der Anlaß dafür?

Einerseits zeigen sie die Wut unserer Leute, die in extremer Armut in Baracken leben, keine Arbeit haben und nicht die mindeste staatlicheUnterstützung bekommen. Und das in einem sehr reichen Land mit stinkreichen Leuten! Andererseits sind sie Ausdruck der Ungeduld derjenigen, die 15 Jahre lang dem African National Congress (ANC) vertraut und an die Versprechen seiner Führung geglaubt haben.

Die meisten Proteste richten sich direkt gegen die Regierung, allerdings werden zum Teil auch Immigranten aufs Korn genommen. Fürchten Sie nicht, daß diese Wut, ähnlich wie vor einem Jahr, entgleisen und zu Pogromen führen könnte?

Das Problem ist, daß die Revolten spontan sind, sie haben keine Führung. Da kann es dann passieren, daß Leute, die gar keine Schuld tragen, diese Wut abbekommen. Es fehlt eine politische Kraft, die in der Lage ist, der Unzufriedenheit eine positive Richtung zu geben.

Im Ausland haben noch immer viele Menschen eine sehr positive Vorstellung von der Politik des ANC. Sie sehen dessen Wirken viel kritischer - warum?

Wir leiden darunter, daß wir drei Jahrhunderte lang eine Kolonie waren. Zuerst wurden wir durch die Holländer unterdrückt, dann durch die Briten. Später durch die weiße Minderheit im Lande, die Buren.

Deren Herrschaft hat auch die 60er und 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts überdauert. Unsere Geschichte ist also ein wenig anders gelaufen als im Rest Afrikas, der sich in genau dieser Zeitspanne vom Kolonialismus befreien konnte. Unser Kampf richtete sich gegen die Apartheid - nicht gegen die Kolonialmächte. Das führte dazu, daß nach dem Sturz des Apartheidregimes die wirtschaftlichen Machtverhältnisse unverändert blieben: Wir haben heute eine Art Kooperationsabkommen zwischen weißen und schwarzen Eliten, eine große soziale Ungleichheit und immer noch das Wirtschaftssystem von früher.

Die Azanische Volksorganisation (Azapo), deren Vorsitzender Sie sind, wollte sich 1994 nicht an der Demokratie-Konferenz beteiligen und hat die daraus hervorgegangene Verfassung abgelehnt. Halten Sie heute noch an dieser Position fest?

Die Geschichte hat erwiesen, daß das eine richtige Entscheidung war. Es hat sich gezeigt, daß es für die Mehrheit der Bevölkerung überhaupt nichts geändert hat. Nur eine Minderheit hat von Maßnahmen profitiert wie dem Black-Economical-Empowerment-Programm (BEE), das einen Teil der Vorstandsposten in den Unternehmen für Schwarze reserviert.

Am System selbst hat sich aber überhaupt nichts geändert - die Wirtschaft wird nach wie vor von Weißen beherrscht. Das ist auch der Grund dafür, daß man endlose Barackenlager sieht, in denen Schwarze vegetieren, denen es an allem fehlt. Und nicht weit davon trifft man auf Stadtteile, in denen Weiße in extremem Luxus leben. Ohne eine tiefgreifende Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse wird es uns nie gelingen, der Apartheid den Garaus zu machen.

Was wäre die Lösung? Sollten die Weißen Ihrer Ansicht nach verschwinden?

Niemand sollte vertrieben werden, es gibt viele Weiße, die seit etlichen Generationen hier leben. Wohin sollten sie denn gehen müssen? Man muß einfach die enorme soziale Ungleichheit beseitigen, unter den das Land leidet.

Was ist Ihr Rezept dafür?

Auf jeden Fall muß es erst einmal eine Landreform geben. Man muß das Land seinen ursprünglichen Besitzern zurückgeben. Außerdem muß die Korruption vor allem in der Politik bekämpft und die Demokratie erweitert werden.

Interview: Raoul Rigault

* Aus: junge Welt, 15. August 2009


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