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Leidenschaft für Recht und Gerechtigkeit

Südafrikas Verfassungsrichter Albie Sachs war einst im Untergrund

Seine Biografie steht für die jüngste Geschichte Südafrikas - dramatisch und hoffnungsvoll. Als Anwalt und Aktivist kämpfte Albie Sachs gegen Apartheid - im Untergrund, im Gefängnis und im Exil. 1988 überlebte er einen Bombenanschlag nur knapp und schrieb danach ein Buch über Versöhnung, sein politisches Credo. Er arbeitete mit an der Verfassung des neuen Südafrika und ist Richter am Verfassungsgericht. Für das "Neue Deutschland" (ND) sprach mit ihm Hans-Georg Schleicher.



ND: Verfassung und Verfassungswirklichkeit in Südafrika - was können Sie dazu sagen?

Sachs: Zur Wirkung der Verfassung auf mich persönlich: Ich studierte in den 50er Jahren Jura, erfuhr in Hörsälen von der Macht der Gesetze, der Unabhängigkeit der Justiz, von Gerechtigkeit und Freiheit. Abends in einer halblegalen Studiengruppe mit einfachen Menschen im Township erlebte ich eine Leidenschaft für Recht und Gerechtigkeit, die alles übertraf, was ich an der Universität hörte. Diese Menschen waren bereit, ihr Leben für Freiheit und Gerechtigkeit in Südafrika zu geben. Später als Anwalt fühlte ich mich zwischen diesen beiden Realitäten hin und her gerissen und konnte erst fast 40 Jahre später, bei der Erarbeitung der Verfassung des demokratischen Südafrika beide miteinander verbinden. Plötzlich stellte ich fest, dass die großen Worte aus den Hörsälen für Menschen am Rande der Gesellschaft sehr bedeutsam sein können. Die Leidenschaft und Vitalität derer, die am meisten unter Ungerechtigkeit gelitten hatten, gab der Verfassung neue Bedeutung und Wirksamkeit.

Wie empfinden Sie nach Jahren des Befreiungskampfes Ihre Arbeit als Verfassungsrichter?

Für mich ist die Arbeit am Verfassungsgericht eine Fortsetzung des Kampfes für Humanität, Würde und Gleichheit, eine Fortsetzung des Befreiungskampfes. Nachdem ich in der ersten Lebenshälfte gegen ein Regime kämpfte, um es zu zerstören, streite ich nun für etwas Neues, etwas Positives. Mein Weg zum Verfassungsrichter war ungewöhnlich - Arbeit als Anwalt, illegale politische Tätigkeit, Verhaftung, lange Einzelhaft und Folter. Dann das Exil, der Bombenanschlag, nach der Rückkehr Mitarbeit an der Verfassung und die Berufung als Richter. Oft geht es heute um schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch unsere ehemaligen Gegner. Statt darauf mit der Härte des Gesetzes zu reagieren, sollten wir uns von ihnen unterscheiden. Meine Richterkollegen haben unterschiedliche Lebenserfahrungen, vom Robben Island-Häftling bis zu Richtern, die im alten Südafrika Karriere gemacht haben. Wir alle verstehen uns aber in der Anwendung einer neuen demokratischen Rechtskultur.

Aussöhnung war ein Markenzeichen Nelson Mandelas, sie war auch Ihr persönliches Anliegen. Wie erfolgreich sind diese Bemühungen im immer noch tief gespaltenen Südafrika?

Wir haben ein Wort »Ubuntu« mit der zutiefst philosophischen Aussage: Ich bin ein Mensch, weil du ein Mensch bist, meine Menschlichkeit ist nicht vom Verständnis für deine Menschlichkeit zu trennen.

Es hilft der traditionellen afrikanischen Gesellschaft Konflikte zu lösen, Menschen zusammenzubringen. Die Verfassung hat dazu Regeln festgelegt.

Welche Rolle spielte die Wahrheits- und Versöhnungskommission dabei?

Wir brauchten die Wahrheits- und Versöhnungskommission, um mit Unrecht, Schmerz und Lügen der Vergangenheit fertig zu werden. Ich persönlich empfand das als bereichernden positiven Prozess. Ich traf den südafrikanischen Militär, der die Autobombe in Mosambik installiert hat, durch die ich einen Arm und auf einem Auge das Augenlicht verlor. Er bat um das Treffen, bevor er zur Wahrheits- und Versöhnungskommission ging. Es war seltsam, wir sahen uns an - ich ihn, der mich töten wollte, und er mich, sein Opfer. Wir standen damals auf verschiedenen Seiten einer ideologisch geteilten Welt. Jetzt begegneten wir uns als Menschen. Mit dem Gang zur Wahrheitskommission integrierte er sich - so sehe ich das - als Bürger dieses Landes. Und ich konnte seine Hand schütteln. Er war sehr bewegt, er soll zwei Wochen lang geweint haben. Das war Teil meiner »weichen Rache«. Harte Rache ist, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Weiche Rache ist, wenn Werte, für die ich gestritten habe, jetzt als gemeinsame Werte akzeptiert werden - Demokratie, Gesetzlichkeit, Freiheit, Respekt für alle. Ich fühlte mich sehr bestärkt und auch befreit.

Inwieweit stellen die jüngsten Wahlen und die Präsidentschaft Jacob Zumas eine Zäsur in der Entwicklung Südafrikas dar?

Als Richter kann ich politische Entwicklungen nicht kommentieren. Ich möchte aber auf zwei Verfassungsprinzipien hinweisen. Der Staatspräsident hat zwei Amtszeiten, es gibt keine Hinweise darauf, dass sich das ändert. Präsident Zuma sprach sogar von nur einer Amtszeit. Zum anderen hat sich bewiesen, dass der Führer der Regierungspartei demokratisch abgelöst werden kann. Es bedarf weder eines Militärputsches noch Ähnlichem, um einen Wechsel herbeizuführen. Demokratie hat triumphiert.

Die Südafrikaner befinden darüber, was sie von der Präsidentschaft von Jacob Zuma und der Politik des ANC halten. Ich kannte Zuma sehr gut im Exil in Mosambik. Ich glaube, dass wir einander persönlich schätzen. Ich denke, dass sich zwischen der Exekutive einerseits und anderen Strukturen des Staates andererseits eine Atmosphäre der Partnerschaft entwickelt. Sie ist nicht zu eng, weil jeder seine Rolle zu spielen hat, aber sie ist weder destruktiv noch kompetitiv. Ich bin sehr hoffnungsvoll, dass sich ein Gefühl des gegenseitigen Respekts entwickelt zwischen Parlament, Exekutive und Justiz. Ein institutioneller Respekt. Unser Land wird davon profitieren.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Juli 2009


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