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Vorwürfe gegen Polizei und COSATU

Südafrika: Nach Massaker an Bergleuten wird Platinbergwerk Marikana zum politischen Schlachtfeld

Von Christian Selz *

Der Aufruf von Erzbischof Thabo Makgoba, die Trauer um die erschossenen Bergleute des südafrikanischen Platinbergwerks Marikana nicht für politische Zwecke zu mißbrauchen, hielt nicht lange. »Ein Schwein, das seine eigenen Leute frißt«, nannte der aus dem regierenden African National Congress (ANC) ausgeschlossene ehemalige Chef von dessen Jugendliga, Julius Malema, noch während der Trauerfeierlichkeiten am Donnerstag die Regierung von Staatspräsident Jacob Zuma. Knüppel schwingend zogen daraufhin etliche Bergleute singend vor die Bühne. Die so attackierten Minister, die zuvor noch neben Malema in der ersten Reihe gesessen hatten, verließen fluchtartig das Feld. Zuma selbst war der Beerdigungszeremonie gleich ganz ferngeblieben.

Der Eklat ist ein weiterer Punktsieg des Chefpopulisten Malema. Während ein auch emotional kühl und weit weg von der Tragödie wirkender Zuma fast zeitgleich rund 80 Kilometer entfernt am Regierungssitz in Pretoria die Zusammensetzung einer eilig einberufenen Ermittlungskommission bekanntgab, lieferte Malema schnellere Antworten. »Die demokratische gewählte Regierung hat sich gegen das Volk gewandt«, rief er unter donnerndem Applaus. »Ihr müßt weitermarschieren, hört nicht auf Feiglinge. Wir dürfen nicht aufhören, bis die Weißen uns einen Teil des Geldes aus diesen Minen geben.«

Malema, der selbst mit dubiosen Staatsaufträgen reich geworden und derzeit mit Ermittlungen einer Korruptionssondereinheit und der Steuerbehörde konfrontiert ist, machte sich in der vergangenen Woche zum Rächer der Armen, half den Kumpeln, Mord¬anklagen gegen die Polizei einzureichen und forderte sowohl Zuma als auch Polizeiminister Nathi Mthethwa zum Rücktritt auf. Es ist ein schauriges Spiel, bei dem es vor dem ANC-Wahlparteitag im Dezember vor allem um die Machtverteilung in der einstigen Befreiungsbewegung geht. Malema befindet sich auf einem Feldzug gegen Zuma, den er als Jugendliga-Präsident einst mit an die Parteispitze brachte, dann stürzen wollte und dafür aus der Partei flog. Nur die Delegierten beim Parteitag können ihn nun noch rehabilitieren.

Während der ANC zu den Vorfällen schwieg, ging der Generalsekretär des ebenfalls angegriffenen Gewerkschaftsbundes COSATU, Zwelinzima Vavi, am Sonnabend auf die Barrikaden. »Politische Hyänen benutzten die echte Trauer der Bergleute, um Emotionen gegen die zu schüren, die wirklich für sie gekämpft haben«, attackierte er Malema, den er als »reichen, eigentlich rechtsgerichteten Anführer« bezeichnete. Malema versuche, die Gewerkschaftsbewegung zu spalten.

Doch so viel man dem schamlosen Opportunisten auch vorwerfen kann: Für die Spaltung ihrer Mitgliedschaft ist die von der Basis entrückte Führung der Bergarbeitergewerkschaft NUM im Wesentlichen selbst verantwortlich. Die frustrierten Kumpel warfen den Funktionären ihrer Gewerkschaft während des Streiks beim drittgrößten Platinproduzenten der Welt, dem Konzern Lonmin, vor, »im Bett mit dem Management« zu schlafen. In großer Zahl liefen sie zur neuen, radikaleren Gewerkschaft AMCU über. Auch noch nach dem Massaker, bei dem die Polizei am 16. August 34 Menschen erschoß, präsentierte sich die COSATU viel zu zögerlich und obrigkeitshörig. Ihre Erklärungen enthielten kein Wort zu den 260 verhafteten Bergleuten, denen eine Freilassung auf Kaution verweigert wurde und die sogar mit Mordanklagen rechnen müssen. Kein Wort auch zum Bericht eines unabhängigen Teams von Sozialforschern, in dem Augenzeugen der Polizei vorwerfen, die meisten Opfer auf der Flucht erschossen zu haben. Der Gewerkschaftsbund kündigte statt dessen an, vor einer abschließenden Bewertung der Tragödie den Bericht der staatlichen Ermittlungskommission abwarten zu wollen. Deren Unabhängigkeit zweifelt allerdings schon jetzt nicht nur der über den Toten auferstandene Malema an.

* Aus: junge Welt, Montag, 27. August 2012


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