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Zumas Vize als Präsident

Südafrika: Kgalema Motlanthe folgt für eine Übergangszeit Thabo Mbeki im Amt. Linksruck oder nicht - Spekulationen um zukünftigen Regierungskurs des ANC

Von Eric Singh *

In einer »Rede an die Nation« am Sonntag abend (21. Sept.) gab Südafrikas Präsident, Thabo Mbeki, bekannt, daß er sein Rücktrittsgesuch eingereicht hat. Damit entsprach er der Entscheidung des Nationalen Exekutivkomitees (NEC) des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) vom Wochenende in Johannesburg. Dieses hatte ihn noch in der Nacht zum Sonntag nach einer turbulenten Sitzung zu diesem Schritt aufgefordert – ein Einschnitt in die Politik des Landes. Er wurde zwar allgemein als »Linksruck« gewertet, doch muß sich dieser Eindruck erst noch bestätigen. Tatsache ist lediglich, daß die Kritik an Mbekis Politik in den vergangenen Monaten immer stärker geworden war.

Am Montag (22. Sept.) wurde bekannt, daß Kgalema Motlanthe bis zur nächsten regulären Wahl, die für April 2009 vorgesehen ist, übergangsmäßig die Präsidentschaft übernimmt. Der ANC habe ihren stellvertretenden Vorsitzenden für die kommenden sieben Monate bis zu den Parlamentswahlen nominiert, sagte ein Fraktionssprecher. »In wenigen Tagen« – vielleicht sogar bereits am heutigen Dienstag – werde das Parlament über den zukünftigen ersten Mann der Republik abstimmen. Der 1949 geborene Motlanthe gilt als »Vertrauter« des ANC-Vorsitzenden Jacob Zuma, des designierten Präsidentschaftsbewerbers bei den Wahlen im kommenden Jahr. Derzeit kann Zuma nicht Präsident werden, weil er dem Parlament nicht angehört.

Zudem wird Motlanthe als »links orientierter Intellektueller« (Reuters) verortet – ein Eindruck, der noch nicht viel über die Person sagt. So erregte der ANC-Vize erst kürzlich in der südafrikanischen Weißen-Hochburg Stellenbosch Aufsehen, als er unter anderem erklärte, daß die gegenwärtige Art der »Landreform« so nicht weitergehen könne. Zu häufig erhielten »unerfahrene Schwarze« Land zugeteilt, was dann Schäden nach sich ziehe – eine Position, die eher auf einen pragmatischen Kurs denn auf einen Wandel, zumindest in diesem Bereich der Wirtschaftspolitik, deutet.

Indes kam der Rücktritt von Mbeki, entgegen mancher Medienberichte, nicht überraschend. Seit Monaten war der Präsident in der Kritik und hatte die Zeichen der Zeit nicht verstanden –oder wollte sie nicht verstehen. Also wurde im Dezember vergangenen Jahres auf der 52. ANC-Konferenz in Polokwane sein ehemaliger Vizepräsident Zuma, der 2005 wegen Korruptionsvorwürfen von Mbeki abgesetzt worden war, zum neuen ANC-Vorsitzenden gewählt. Zudem war die bisherige Regierungspolitik scharf kritisiert und auch personell bei der Vergabe von Vorstandsfunktionen abgewählt worden.

Aktuell war Mbeki unter verstärkten Druck geraten, nachdem ein Gericht vor anderthalb Wochen den Korruptionsprozeß gegen Zuma eingestellt und zudem von einer »politisch motivierten« Anklageerhebung gesprochen hatte. Ein Richter des Obersten Gerichts in der Provinz KwaZulu Natal deutete an, daß Mbeki selbst und einige seiner Kabinettsmitglieder die Staatsanwaltschaft NPA (National Prosecuting Authority) beeinflußt hätten.

Auf den Rücktritt Mbekis erfolgten am Montag unterschiedliche Reaktionen. So gab sich die internationale Wirtschaft vor allem deswegen beruhigt, weil der nicht nur von ihr hochgeschätzte Finanzminister Trevor Manuel – wie andere Minister auch – im Amt bleiben wollen. Die Kapitalkreise bewerteten Mbekis Wirtschaftspolitik als positiv, unter anderem auch deswegen, weil sie mit hohen Wachstumsraten verbunden war. Insgesamt war Mbeki als »wirtschaftsfreundlich« angesehen worden.

Davon hatte allerdings die Mehrheit der Bevölkerung Südafrikas bisher wenig. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell immer noch über 25 Prozent – inoffiziell wird sie auf bis zu 50 Prozent geschätzt. Zudem gab es Klagen über eine zu langsame Entwicklung der sozialen Infrastruktur – insbesondere bei der Versorgung der Armenviertel sowie in der Bildungs- und Gesundheitspolitik. So entstand der Eindruck, als profitierten von den jährlichen Zuwachsraten von etwa fünf Prozent, die Südafrika zum dynamischsten Land in Afrika machten, lediglich die Großindustriellen sowie die weiße und die neu entstandene schwarze Mittelschicht.

Thabo Mbeki geriet auch wegen seines autoritären Führungsstils wiederholt in die Kritik. Bereits Nelson Mandela hatte 1999 in seiner Rede bei der Übergabe der Amtsgeschäfte an ihn indirekt gewarnt: Ein Präsident dürfe sich niemals vom Volk isolieren, sondern müsse immer dessen Nähe suchen. Tatsächlich ließ Mbeki, bekannt für seine Unnahbarkeit, weder Kritik noch Meinungsverschiedenheiten im Kabinett – und anderswo – zu.

Seit dem Rücktritt Mbekis brodelt es nun in der Gerüchteküche. Es wird gar über eine »Spaltung« oder ein »Auseinanderbrechen« des ANC in verschiedene Fraktionen spekuliert. Ich gehe nicht davon aus, daß dieses geschehen wird: Trotz aller Fehler und Schwächen des ANC hat die Mehrheit der südafrikanischen Bevölkerung großes Vertrauen in die Organisation. Die kühlen Köpfe sind in der Mehrheit; das Land wird nach vorne schauen, um die Probleme zu bewältigen. Der ANC hatte immer eine kollektive Leitung, und es gibt keinen Grund, das zu ändern. Probleme müssen überwunden werden, und der ANC verfügt über eine Führung, die dieses schaffen kann.

* Eric Singh ist Journalist und Mitglied des ANC

Aus: junge Welt, 23. September 2008

Biografisches über Kgalema Motlanthe

Auszüge aus einem Beitrag im "Guardian" **

(...) Motlanthe, a left-leaning intellectual, is seen as a highly skilled political operator and the brains behind the Zuma faction.

He risked his political reputation by publicly defending Zuma in the face of corruption allegations after he was sacked by Thabo Mbeki as the country's deputy president in 2005.

During Zuma's numerous court appearances, Motlanthe repeatedly said that his job was to "accurately and as faithfully as possible" reflect the views of ANC members.

(...)

Motlanthe has never sought the limelight. An article last year in South Africa's Times newspaper described him as "calm, respected and trust-inspiring" with a "ponderous" political style that was highly regarded by most ANC members.

"His is a patient and considered decision-making style with high regard for process and consultation. He demonstrates a deep knowledge of the ANC way of doing things, coupled with a habit of constantly drawing on ANC historical knowledge and theoretical foundations," says the paper's website.

Motlanthe is the youngest of 13 children. His exact date of birth is unknown, but he is believed to be about 58.

Initially influenced by the revolutionary ideologies of the Black Consciousness Movement of Steve Biko, he became a student activist, trade unionist and a soldier in the ANC's now-disbanded military wing, UmKhonto we Sizwe.

Motlanthe was detained in 1976 for 11 months for pursuing the aims of the ANC liberation movement. In 1977, a year after the 1976 Soweto uprising, he was sentenced to 10 years' imprisonment. He was jailed on Robben Island with Nelson Mandela.

In 1992 he was elected as secretary general of the National Union of Mineworkers, where he honed his political skills.

He was elected as secretary general of the ANC in 1997, when Cyril Ramaphosa left politics for business after losing to Mbeki in the bitter battle to succeed Mandela.

Motlanthe was elected as the ANC's deputy president in December 2007, beating the Mbeki camp's choice of Nkosazana Dlamini-Zuma, the former wife of Jacob Zuma. Mbeki later appointed him as a minister without portfolio in a step towards a smooth transition to a future Zuma government.

** Jenny Percival: Kgalema Motlanthe: left-leaning intellectual force behind Zuma. In: The Guardian, 22. September 2008




Stabilisator ***

Als jüngstes von 13 Kindern stammt Kgalema Motlanthe aus einer Arbeiterfamilie im Norden Südafrika. Zunächst politisch beeinflusst durch die Black Consciousness Bewegung der 1970er Jahre, trat er jedoch früh dem Afrikanischen National Kongress (ANC) bei, wurde verhaftet und kam 1977 für zehn Jahre nach Robben Island. Dort inhaftierte ANC-Führer, insbesondere Walter Sisulu, den auch Nelson Mandela als seinen Mentor bezeichnete, prägten seine politische Entwicklung. Nach seiner Haft engagierte Motlanthe sich in der Bergarbeitergewerkschaft NUM, organisierte einen der größten Streiks und wurde 1992 NUM-Generalsekretär.

1997 überraschte die Wahl des bis dahin politisch wenig bekannten Motlanthe zum Generalsekretär des ANC. Motlanthe wirkte entscheidend mit am Ausbau der politisch dominanten Position des ANC, der im Parlament eine Zwei-Drittel-Mehrheit errang. Er führte Regie aus dem Hintergrund, ein effizienter Organisator, kühl und überlegt. Politische Korrektheit und Prinzipien verbindet er mit Esprit und trockenem Humor. »Mkhuluwa«, der Ältere, wie er von Freunden genannt wird, gilt als linker Intellektueller, der traditionelle Werte des ANC betont, aber auch im Wirtschaftsflügel des ANC respektiert wird.

Im Machtkampf zwischen Thabo Mbeki und Jacob Zuma betonte Motlanthe die Führungsrolle des ANC gegen Versuche, um das Amt des Staatspräsidenten herum ein Gegengewicht zu schaffen. Beim dramatischen Führungswechsel auf dem Parteitag im Dezember 2007 verblieb er als einziger Spitzenfunktionär in der neuen ANC-Führung und stieg sogar zum Stellvertreter Zumas auf. Auf dem Parteitag war er es, der die emotionsgeladenen innerparteilichen Auseinandersetzungen unter Kontrolle hielt.

In der Diskussion um Südafrikas künftigen Präsidenten tauchte sein Name zwar auf. Als die ANC-Exekutive am Wochenende Mbeki zum Rücktritt aufforderte, galt Motlanthe jedoch nicht unbedingt als prädestinierter Nachfolger für die Übergangszeit bis zur nächsten Wahl. Mit seiner Nominierung sichert sich der ANC die Kontrolle über die Entwicklung der nächsten Monate, sie soll aber auch ein Signal für Stabilität und Kontinuität setzen. Hans-Georg Schleicher

*** Aus: Neues Deutschland, 24. September 2008


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