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Reparationen gefordert

Apartheidopfer wollen Entschädigung: Daimler und vier weitere Konzerne stehen wegen Geschäften mit rassistischem Südafrika vor Gericht

Von Christian Selz *

Ein Konzern hat kein moralisches Bewußtsein, Verantwortung von Konzernen existiert nicht, denn moralische Verurteilung kann nur auf natürliche Personen angewandt werden.« Wie leicht wäre das Leben für Rheinmetall, Daimler, IBM, Ford und General Motors, wenn die Opfer der Apartheid diese Sichtweise des früheren südafrikanischen Bildungsministers Kader Asmal teilen würden. Doch die klagen vor einem US-amerikanischen Gericht auf Reparationszahlungen für die Verbrechen, die das rassistische Apartheid-Regime ihnen zufügte. Die beklagten Konzerne hatten während der Apartheid trotz Embargo mit Südafrika gehandelt und in den Augen der Kläger damit das Regime unterstützt. Asmal, einst selbst Antiapartheidaktivist, vertritt die Position der früheren Regierung unter Thabo Mbeki, die sich offen gegen die Sammelklage ihrer Landsleute gestellt hatte. Ein Berufungsgericht in New York prüft nun, ob die Klage zugelassen wird.

Ein Daimler-Sprecher bezeichnete die Vorwürfe als haltlos. »Unsere Lieferungen wurden von der Bundesregierung genehmigt«, zitiert ihn die Financial Times Deutschland. Fakt ist: Seit 1977 gab es ein verpflichtendes Rüstungsembargo gegen Südafrika, trotzdem lieferte Daimler seit 1978 nach Angaben der deutschen Hilfsorganisation Medico International mindestens 2500 Unimogs nach Südafrika. Das Militär des Apartheidstaats baute die robusten Fahrzeuge zu Truppentransportern und Raketenwerfern um und setzte sie zur Niederschlagung von Protesten in den Townships des Landes ein. »Die Unimogs wurden sogar bei Militärparaden aufgefahren und in den Werkstätten von Mercedes-Benz in Johannesburg gewartet und repariert - Daimler hätte also sehr wohl wissen können, daß seine Fahrzeuge militärisch und nicht in der Landwirtschaft eingesetzt wurden«, sieht Medico-Pressereferent Bernd Eichner den Konzern in der Schuld. Noch klarer ist die Lage bei Rheinmetall: Der Konzern ließ gleich eine ganze Munitionsfüllanlage mit falsch deklarierten Papieren über Paraguay nach Südafrika verschiffen.

Während die beklagten Großkonzerne nun in dem seit 2002 andauernden Verfahren Revision gegen die Zulassung der Klage eingelegt haben, hält das Leid der Apartheid-Geschädigten an. 58000 direkte Opfer erfaßt die Datenbank, die die südafrikanische Opfergruppe Khulumani aufgebaut hat. Die tatsächliche Zahl der Opfer ist noch um ein Vielfaches höher einzuschätzen. Von denen, die in der Statistik auftauchen, sind laut Medico 74 Prozent arbeitslos, 20 Prozent leiden an HIV/AIDS - für die seelischen Folgen von Mordanschlägen auf Familienangehörige, wahllosen Erschießungen protestierender Kinder und Folterverhören gibt es keine Pro­zentzahlen.

In der gegenwärtigen öffentlichen Debatte spielen die Opfer aber - so scheint es - nur eine untergeordnete Rolle. Vornehmlich geht es um die möglichen Auswirkungen einer Klagezulassung in den USA. Die Anwälte von Khulumani stützen sich dort auf den »Alien Tort Claims Act«, jenes Gesetz aus dem 18. Jahrhundert, das bereits in den Prozessen um die Holocaust-Entschädigungszahlungen zur Anwendung kam und Ausländern erlaubt, Klagen vor US-Gerichte zu bringen, auch wenn die Beklagten selbst keine Amerikaner sind. Die Bundesregierung wähnt daher »die staatliche Souveränität Deutschlands« in »inakzeptabler Weise« verletzt und sieht die Gefahr einer Behinderung »der Rechtsprechung deutscher Gerichte ebenso wie des internationalen Handels«, wie das Onlineportal der Welt aus einem Brief der deutschen Botschaft an das Gericht zitiert.

Laut Medico-Pressereferent Eichner hat die Klage vor einem US-Gericht aber vorwiegend praktische und finanzielle Gründe. In der ursprünglichen Klageschrift waren insgesamt 23 Konzerne aus mehreren Staaten angeklagt, darunter auch etliche Banken. All diese Unternehmen in ihren Heimatländern zu verklagen wäre nicht nur schwierig, sondern auch aufwendig und teuer gewesen. Trotzdem eine Klageerhebung gegen die Banken, deren Kredite Südafrika noch heute abzahlt, nicht zugelassen wurde, läuft der Prozeß nun in den USA weiter.

Mit seiner Position gegen die Klage steht Deutschland zudem inzwischen allein da. Sowohl die neue US-Administration als auch die neue südafrikanische Regierung setzen sich nicht mehr gegen den Prozeß ein. Die Financial Times Deutschland berichtet gar vom hohen Einfluß des Klägeranwalts Michael Hausfeld in Washington, der ein Förderer von Barack Obamas Wahlkampf gewesen sein soll. Und auch in Südafrika hat sich der Wind grundlegend gedreht. Der neue Präsident Jacob Zuma unterstützt die Forderungen der Apartheidopfer, auch Justizminister Jeff Radebe spricht sich für den Prozeß aus.

* Aus: junge Welt, 25. Januar 2010

Der Apartheidprozeß im Zeitraffer

  • 1994. Ende der Apartheid in Südafrika.
  • 1998. Die Wahrheitskommission, die sich mit den Verbrechen der Apartheid auseinandergesetzt hat, empfiehlt Reparationszahlungen für 22000 Opfer.
  • 2002. Der Opfer-Verein Khulumani reicht in den USA Klage gegen 23 Unternehmen ein, die mit dem Apartheidregime Geschäfte gemacht hatten.
  • April 2003. Südafrikas Präsident Thabo Mbeki verspricht Entschädigungszahlungen. Justizminister Penuell Maduna bittet das US-Gericht in einem Brief, die Klage abzuweisen, da sie die Souveränität Südafrikas untergrabe.
  • Juli 2003. Südafrika beginnt mit einer einmaligen Entschädigungszahlung von umgerechnet 3000 Euro pro Kopf an 17000 Opfer.
  • 2004. Die Klage wird in den USA abgewiesen.
  • 2005. Khulumani legt Berufung ein.
  • 2006. Die Berufung hat Erfolg.
  • 2007. Die beklagten Konzerne legen vor dem obersten Gericht Berufung ein. Weil fünf Richter in der neunköpfigen Jury sich befangen erklären, senden sie den Fall zurück an das Ursprungsgericht. Dieses muß die abgeänderte Anklage, die sich nur noch gegen elf Konzerne richtet, nun zulassen.
  • Dezember 2008. Der das Verfahren ablehnende Richter stirbt.
  • Januar 2009. Die Obama-Regierung benennt die als liberal geltende Richterin Scheindlin als Nachfolgerin. Erstmals wird dem Fall inhaltliche Beachtung geschenkt.
  • April 2009. Scheindlin läßt die Anklage gegen fünf Konzerne zu und leitet die Beweisaufnahme ein. Die Konzerne legen Berufung ein, die von ihr sofort abgewiesen wird.
  • August 2009. Die Konzerne legen erneut Berufung ein.
  • September 2009. In das Berufungsverfahren, in dem die Konzernverteidiger ihre Strategie darauf auslegen, daß die südafrikanische Regierung das Verfahren ablehnt, platzt wie eine Bombe das Schreiben der Zuma-Administration, das den Prozeß gutheißt. Das Verfahren wird vertagt.
  • Januar 2010. Das Gericht hört die Parteien an. Die Entscheidung wird in drei bis sechs Monaten erwartet.
(cs; junge Welt, 25.01.10)




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