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Offener Flügelkampf

Südafrika: ANC droht Gewerkschaftschef mit Disziplinarverfahren

Von Christian Selz, Port Elizabeth *

Von einem historisch einmaligen Vorgang innerhalb der südafrikanischen Freiheitsbewegung berichteten am Dienstag (1. Juni) verschiedene Medien, darunter die Johannesburger Tageszeitung The Star. Demnach beschloß das Nationale Arbeitskomitee des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) am Montag ein Disziplinarverfahren gegen den Generalsekretär des Gewerkschaftsverbands (COSATU), Zwelinzima Vavi. COSATU und ANC sind mit der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP) seit dem gemeinsamen Kampf gegen die Apartheid in einer Dreier-Allianz verbündet. Vavi ist daher auch einfaches ANC-Mitglied. Daß die ANC-Führung unverblümt einen Bündnispartner angreift, gab es bisher nicht. Offensichtlich ist die Attacke Ausdruck eines sich verschärfenden Flügelkampfes innerhalb der Allianz.

Vavi selbst zeigte sich zunächst geschockt. »Von derartigem habe ich in der gesamten Geschichte der Allianz noch nicht gehört. Es wird nicht durchgesetzt werden«, ließ der Gewerkschafter wissen. »COSATU ist eine unabhängige Organisation, nicht die Arbeiterliga des ANC.« Genau als solche würde mancher wirtschaftsnaher ANC-Vorständler den Gewerkschaftsbund aber gerne sehen.

In einer Pressemitteilung anläßlich der jüngsten Sitzung des Exekutivkomitees stellt COSATU-Sprecher Patrick Craven daher auch noch einmal unmißverständlich klar, daß man einen weiteren Pakt mit dem ANC nur unterzeichnen werde, wenn dieser »sicherstelle, daß COSATU nicht als Stimmvieh benutzt wird«. Die Gewerkschaften drohen dem ANC mit einer offenen Auseinandersetzung. Falls sie innerhalb der ehemaligen Befreiungsbewegung nicht gebührend repräsentiert seien, müßte im April 2011 ein außerordentlicher, landesweiter Kongreß durchgeführt werden, »um über den weiteren Weg zu entscheiden«.

Es geht um das politische Machtzentrum in der Regierungsallianz. Darin wollen die Gewerkschaften mehr Mitbestimmung, weil sie der Kurs des als Kandidat der Linken gewählten Präsidenten Jacob Zuma bei weitem nicht zufriedenstellt. Vor allem die Ziele, nämlich Arbeitsplätze zu schaffen und die Armut einzudämmen, seien so nicht umzusetzen. Und: Es geht auch - Stichwort Vetternwirtschaft - um Mißstände innerhalb des regierenden Lagers.

In bisher nicht bekannter Deutlichkeit hatte Vavi in der vergangenen Woche Zuma für sein zögerliches Vorgehen gegen Korruption und Selbstbereicherung in den eigenen Reihen kritisiert und forderte Ermittlungen gegen zwei namentlich genannte Minister. Einer der beiden, der für Kommunikation zuständige Siphiwe Nyanda ist Mitglied im Nationalen Arbeitskomitees des ANC, jenem einflußreichen Parteigremium, das jetzt das Verfahren gegen Vavi auf den Weg gebracht hat.

Da COSATU-Sprecher Craven bereits die volle Rückendeckung des Gewerkschaftsbundes für seinen Generalsekretär garantiert hat, dürfte die Regierungsallianz vor einem ernsthaften Machtkampf stehen. In verblüffender Offenheit schreibt Craven, daß im ANC eine Tendenz sichtbar wird, die die Konturen der Organisation verwischt. Vorangetrieben werde diese nicht von einer »normalen, konservativen Gruppierung«. Es handele sich vielmehr um eine »Fraktion ohne klare politische Ideologie« - und mit dieser könne man nicht »mit den Problemen Armut und Arbeitslosigkeit fertigwerden«. Craven wörtlich: »Das ist eine eher kleine Gruppe von Leuten, die sich in einer Kampagne mit dem Ziel vereint haben, die Kontrolle über die Bewegung zu übernehmen. Das geschieht zugunsten ihres Programms zur Anhäufung von persönlichem Reichtum.«

Daß die Gewerkschaften entschlossen sind, dem ANC die Stirn zu bieten, hat in den vergangenen Wochen bereits der Streik im Transportwesen gezeigt, der weite Teile des Landes und vor allem der Landwirtschaft lahmlegte. Dies geschah sehr zum Unmut von Zuma.

Ein Ende des Konflikts ist also nicht in Sicht, zumal der halbstaatliche Strommonopolist Eskom gerade begonnen hat, seine von der Regierung abgesegneten und von den Gewerkschaften entschieden bekämpften Preissteigerungen für Privathaushalte von jeweils 25 Prozent in den nächsten drei Jahren umzusetzen. Der ANC ist über eine Beteiligungsgesellschaft direkter Profiteur der so finanzierten Bauprojekte des Stromriesen. Der Interessenkonflikt ist offensichtlich. COSATU will sich nicht erpressen lassen und droht mit Streiks, wenn nötig - und das ist die große Sorge der Regierung Zuma - auch während der Fußball-Weltmeisterschaft.

* Aus: junge Welt, 2. Juni 2010


Streit zwischen ANC-Abtrünnigen

Offener Machtkampf in Südafrikas Partei COPE

Von Hans-Georg Schleicher **


Eine Konferenz des oppositionellen Volkskongresses (COPE) in Südafrika sprach Parteichef Mosiuoa Lekota das Misstrauen aus. Der stellvertretende COPE-Präsident Mbhazima Shilowa soll die Geschäfte übernehmen. Lekota erkennt das Votum jedoch nicht an.

Südafrikas drittstärkste Partei, der Volkskongress (COPE), ist im Begriff auseinanderzubrechen. Die seit der Parteigründung Ende 2008 anhaltenden Differenzen zwischen Parteichef Mosiuoa Lekota und seinem Vize Mbhazima Shilowa waren in jüngster Zeit in einen offenen Machtkampf ausgeartet. Lekota hatte per Gerichtsbeschluss einem Parteikongress am Wochenende untersagen lassen, eine neue Führung zu wählen. Daraufhin schloss der Kongress ihn und Parteisprecher Phillip Dexter aus der Führung aus. Die Polizei musste eingreifen, um die Anhänger der politischen Rivalen zu trennen. COPE-Generalsekretärin Charlotte Lobe bestätigte die Absetzung Lekotas. Der bekräftigte jedoch seinen Führungsanspruch, den er nun juristisch durchsetzen will.

COPE wurde 2008, auf dem Höhepunkt des Machtkampfes zwischen Thabo Mbeki und Jacob Zuma im regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC), von den beiden ehemaligen ANC-Spitzenfunktionären gegründet. Lekota war zuvor Verteidigungsminister gewesen, Shilowa, ehemaliger Premierminister von Gauteng, kam aus der Gewerkschaftsbewegung. Der Name der neuen Partei mit angeblich 400 000 Mitgliedern sollte an den Volkskongress 1955 erinnern, der die Freiheitscharta verabschiedet hatte. Damit knüpfte die neue Partei an Traditionen und Werte an, auf die der ANC als ehemalige Befreiungsbewegung alleinigen Anspruch erhob.

Im Bemühen, sich vom ANC abzugrenzen, äußerten sich die COPE-Führer widersprüchlich zur politischen Profilierung der Partei. Lekota distanzierte sich vom Erbe des Befreiungskampfes, bezeichnete COPE als »moderne sozialdemokratische Partei«, orientierte auf eine wirtschaftsliberale Politik und grenzte sich von der Gewerkschaft COSATU und der Kommunistischen Partei SACP ab – beide traditionelle Verbündete des ANC im Befreiungskampf. »Ideologische Bindungen und Belastungen« sollten abgeworfen werden. Die Heterogenität von COPE widerspiegelte sich in der sozialen und politischen Herkunft ihrer Führungskräfte, aber auch in unterschiedlichen inhaltlichen Konzeptionen, die von ihnen vertreten wurden.

Das sahen wohl auch die Wähler so, als sie dem als neue »schwarze« Partei und Alternative zum ANC angetretenen COPE bei den Wahlen 2009 nur 7,4 Prozent der Stimmen gaben. Das war ein Achtungserfolg, blieb aber deutlich unter den Erwartungen der Partei. COPE liegt mit 37 von insgesamt 400 Abgeordneten im Parlament weit hinter der anderen Oppositionspartei, der Demokratischen Allianz (DA), zurück. Weder Funktionäre noch Anhänger des ANC waren in bedeutender Zahl für COPE zu gewinnen. Durch die Medien geisterte das Wort von COPE als Sammelbecken der Verlierer.

Seither machte COPE vor allem durch innerparteiliche Auseinandersetzungen von sich reden. Im Vordergrund stehen nicht so sehr inhaltliche Vorstellungen, sondern der Machtkampf zwischen Lekota und Shilowa. Offenbar bestimmt vor allem persönliche Loyalität die Zugehörigkeit einzelner Funktionäre zum jeweiligen Lager. Schien Lekota zunächst das Übergewicht zu haben, so sind nun offenkundig die Anhänger Shilowas in die Offensive gegangen. Der Ausgang des Machtkampfes ist offen, ein Auseinanderbrechen der Partei nicht auszuschließen. Nun sollen Gerichte über einen Wahlparteitag von COPE entscheiden.

** Aus: Neues Deutschland, 3. Juni 2010


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