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Kein Frieden in Sicht

Südafrika: Minenkonzern und Gewerkschaft beschließen Ende des Ausstands. Streikende Kumpel unterzeichnen Abkommen nicht

Von Christian Selz *

Zumindest die Börse hat der Friedensvertrag von Marikana Ende vergangener Woche überzeugt. Um sechs Prozent stiegen die Aktien des Minenbetreibers Lonmin, des drittgrößten Platinproduzenten der Welt, noch am gleichen Tag. Nach mehr als einer Woche Verhandlungen hatten sich die NUM, Südafrikas größte Bergarbeitergewerkschaft, und die kleinere Solidarity, zu Apartheidzeiten Gewerkschaft der Weißen, am Donnerstag mit dem Bergwerkbetreiber auf eine Wiederaufnahme der Arbeit und völligen Gewaltverzicht geeinigt. »Dies ist der erste Schritt in die richtige Richtung«, sagte Lonmin-Sprecherin Sue Vey und fügte an: »Wir hoffen, daß die Arbeiter auch bald unterzeichnen.«

Denn genau hier liegt die Crux des falschen Friedens von Marikana: Die militante, jüngere Bergarbeitergewerkschaft AMCU und die Vertreter der nicht gewerkschaftlich organisierten Kumpel weigerten sich, das Abkommen zu unterschreiben. Die NUM wiederum hat den Kontakt zu den seit vier Wochen streikenden Arbeitern, von denen vor drei Wochen 34 bei der brutalsten Polizeiaktion seit Ende der Apartheid erschossen worden waren, längst verloren. Die Kumpel werfen der Gewerkschaftsführung vor, gemeinsame Sache mit der Konzernleitung zu machen – das bedingungslose Friedensabkommen ohne jegliche Zusagen an die Angestellten dürfte diese Sichtweise nur weiter stärken.

Am Donnerstag waren lediglich 1,6 Prozent der Bergarbeiter zur Arbeit erschienen. Zwar erkannte NUM-Sprecher Lesiba Seshoka in dem »Friedensabkommen« das Signal zum »Ende der Drohungen und Einschüchterungen«, doch die Beschäftigten, die eine Erhöhung ihres Basisgehalts von umgerechnet 540 auf 1250 Euro fordern, scheinen weiter kampfbereit. Erst am Mittwoch hatten fünf ihrer Repräsentanten ein Gespräch mit Lonmin-Vertretern gefordert. Als der Bergwerksmanager schließlich mit zwei Bodyguards am Zaun erschien und nur durch das verschlossene Tor mit den wütenden, verzweifelten Arbeitern sprach, drohten die den Managern mit dem Tod und dem Niederbrennen des Bergwerks, sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Der vermittelnde Bischoff Paul Verryn bezeichnete die »Gespräche« durch die Absperrung anschließend als »obszön«. Sein Fazit, auch im Hinblick auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bergleute, ist eindeutig: »Solange sich die Situation nicht ändert, wird es keinen Frieden geben.«

Das Management des Bergbaukonzerns hatte in den zu »Friedensverhandlungen« aufgebauschten Gesprächen von vornherein klargestellt, über Löhne erst dann zu verhandeln, wenn Normalität einkehrt. Doch die gibt es rund um die Minen im südafrikanischen Platingürtel knapp hundert Kilometer nordwestlich von Johannesburg schon lange nicht mehr – und Frieden auch nicht, zumindest keinen sozialen. Die Böden hier sind verseucht von den Abwässern der Minen, die Luft verpestet vom aufgewirbelten Staub der Halden, die Menschen oft krank und verarmt. Sie leben in Wellblechhütten, häufig ohne legalen Stromanschluß und fließendes Wasser. Es hapert bei der Gesundheitsversorgung und bei der Schulbildung für die Kinder – alles Probleme, die die Minenbetreiber eigentlich mit großangelegten Programmen lindern wollten. So versprechen es die Hochglanzbroschüren, so beteten es die Pressesprecher noch runter, als die Welt längst auf die Realität rund um die Minen schaute. Daß die sich seit dem Ende der Apartheid vor 18 Jahren kaum verändert hat, belegen unabhängige Studien. Die jüngste erschien erst vor drei Wochen und ist ebenfalls nicht Werk der tatenlosen NUM, sondern einer kirchennahen Nichtregierungsorganisation. Die Position der Kumpel ist daher klar: Vor dem Ende des Streiks muß die Lohnerhöhung stehen. »Ein Friedensvertrag wird uns Arbeitern überhaupt nicht helfen«, stellte Zolisa Bodlwana, einer der Repräsentanten der nichtorganisierten Arbeiter, klar.

* Aus: junge Welt, Montag, 10. September 2012


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