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Tiefe Widersprüche

Südafrika: COSATU-Kongreß diskutiert über prokapitalistische Politik der "befreundeten Regierung". Offizielles Ziel bleibt der Sozialismus

Von Raoul Rigault *

Auf den ersten Blick könnten sich Südafrikas Gewerkschaften glücklich schätzen. Während Arbeiterorganisationen anderswo über schwindenden Einfluß klagen, sind sie am Kap der Guten Hoffnung seit 15 Jahren an der Macht. Solange ist der größte Gewerkschaftsbund COSATU Teil der regierenden Dreierallianz mit ANC und KP. Wie wenig das bislang für die Lohnabhängigen gebracht hat, stand nun im Mittelpunkt des 10. Kongresses, der vom 21. bis 24. September in Midrand bei Johannesburg stattfand. 3000 Delegierte vertraten dort 1,9 Millionen Mitglieder. Damit ist die ANC-nahe Dachorganisation weit vor FEDUSA (560000), NACTU (400000) und CONSAWU (150000) die wichtigste Interessenvertretung der abhängig Beschäftigten. Insgesamt sind 3,2 der 17 Millionen Erwerbstätigen, das heißt 19 Prozent, gewerkschaftlich organisiert. Den eigenen Zahlen zufolge hätte COSATU damit seit dem letzten Gewerkschaftstag im Jahr 2006 seine Mitgliederzahl um 700000 erhöht. Dennoch befindet er sich ökonomisch, politisch und ideologisch in einer schwierigen Lage.

Streiks gegen Krise

Wie COSATU-Präsident Sidumo Dlamini in seiner Eröffnungsrede darlegte, hat die erste Rezession seit 17 Jahren bereits 475 000 Jobs gekostet, bis zum Jahresende könne die Zahl gar auf eine Million ansteigen. Die Erwerbslosenquote liegt mittlerweile bei 23,6 Prozent.

Trotz des wachsenden Arbeitslosenheers kam es in den letzten Monaten zu einer massiven Streikwelle. Den Anfang machten Ärzte und Krankenhauspersonal in der Ostprovinz Kwazulu-Natal. Anschließend traten nacheinander die Bauarbeiter auf den Baustellen der Fußballweltmeisterschaft 2010, die öffentlich Bediensteten in den Kommunen, Chemiearbeiter, Telekom-Beschäftigte und Bergleute in den Platinminen in den Ausstand. Auslöser war in allen Fällen der Kampf um einen Inflationsausgleich. Zwar können sich die Lohnerhöhungen zwischen zehn und 13 Prozent sehen lassen, wenn man sie an der offiziellen Teuerungsrate von 6,9 Prozent mißt. Allerdings sind allein die Lebensmittelpreise um 14,9 Prozent gestiegen.

U. a. als Reaktion auf die Niederschlagung von Protesten gewerkschaftlich organisierter Soldaten Ende August in Pretoria forderten die Kongreßdelegierten eine umfassende Überarbeitung des Labour Relations Acts. »In den letzten 15 Jahren ist es uns nicht gelungen, das Gesetz so zu überarbeiten, daß es die Arbeiter wirklich schützt. Wir wollen das jetzt bis nächstes Jahr nachholen. Bislang haben die Arbeiter gar nichts gewonnen und die Kapitalisten alles«, sagte der Delegierte der Metallergewerkschaft NUMSA, Vuyo Bikisha, in seiner Rede. »Das Streikrecht wird formal geschützt, aber nicht in der Substanz. Zum Beispiel ist den Arbeitgebern der Einsatz von Streikbrechern erlaubt.«

Eine große Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist auch bei Staatspräsident Jacob Zuma unübersehbar. Seine Grußadresse an die »Freunde und Genossen« stand unter dem Motto »Die Macht der Arbeiterklasse in Verteidigung anständiger Arbeit und für den Sozialismus konsolidieren«. Im weiteren Verlauf ging es dann neben Nettigkeiten freilich über weite Strecken um die »Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern«, die Verurteilung angeblicher »Gesetzlosigkeit« von Gewerkschaftern und die Verteidigung der neoliberalen Haushalts- und Finanzpolitik. Bereits im Juni hatte Zuma, der seine Wahl zu einem erheblichen Teil den Gewerkschaften verdankt, die ihm Geld und Tausende Helfer zur Verfügung stellten, einen »Linksruck« in der Wirtschaft kategorisch abgelehnt und mit Adresse an die Gewerkschaften erklärt: »Ich schulde niemandem etwas.«

Verstrickt ins System

Dennoch bleibt Zuma weiterhin die große Hoffnung vieler Gewerkschafter. Ihre Zielscheibe sind Exfinanzminister Travor Manuel und Zentralbankgouverneur Tito Mboweni. Der vermeintliche Erfolg, den man mit dem Rücktritt Manuels nach den Wahlen im April auf der institutionellen Ebene erzielt zu haben glaubte, erwies sich indes als trügerisch. Als neuer Minister für wirtschaftliche Planung wird er nun faktisch die Nummer Zwei im Kabinett. Der am Mittwoch in der Kongreßdebatte über den Weg zum Sozialismus beschworene »Aufbau der Arbeitermacht in allen Machtbastionen« sieht sicherlich anders aus. Eher scheint die Integration ins System fortzuschreiten, wie nicht nur der Betrieb von COSATU-eigenen Investmentgesellschaften, die von den Metallern geplante Gründung einer eigenen Bank und der jüngste Korruptionsskandal in der NEHAWU zeigte, wo 20 Millionen Rand (1,84 Millionen Euro), die dem Vorstand der Dienstleistungsgewerkschaft von ihrem Investmentfond NIC ausgehändigt wurden, spurlos verschwanden. Auch die Tatsache, daß die Südafrikas zweitreichstem Mann Patrice Motsepe gehörende Minengesellschaft ARM zweitwichtigster Spender für die Durchführung des Kongresses war, sorgte für kritische Stimmen.

Es wird sich zeigen, wie sich die »befreundete Regierung« zu den weiteren Forderungen des COSATU verhält. Neben der Reform des Labour Relations Acts sind das die Verstaatlichung der im Privatbesitz befindlichen Notenbank sowie das gesetzliche Verbot von Leiharbeitsfirmen. Für letzteres ist für den 7.Oktober eine eintägige Massenaktion geplant.

* Aus: junge Welt, 29. September 2009


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