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Gestalten der Versöhnung

Robert von Lucius' liebevolle und differenzierte Annäherung an Südafrika

Von Matthias Reichelt *

Im nächsten Jahr wird Südafrika als Ort der Fußballweltmeisterschaft im internationalen Fokus stehen. Nachdem Anfang der neunziger Jahre das Apartheidregime erfolgreich beseitigt wurde, sind viele Hoffnungen auf schnelle Veränderungen für die Mehrheit der schwarzen Bevölkerung enttäuscht worden. Zwar konnten demokratische Strukturen entwickelt werden, aber die große Diskrepanz in der Bildung und der ungleich verteilte Reichtum haben auf der Basis eines globalisierten Kapitalismus die Chancenungleichheit weiter verfestigt. Um einen differenzierten Blick auf das Land des großen Umbruchs mit seiner harten Wirklichkeit zwischen Hoffnung und Stagnation zu werfen, kommt das Buch mit den gesammelten Artikeln und Reportagen von Robert von Lucius gerade rechtzeitig. Der langjährige Korrespondent der FAZ hat mit großer Kenntnis, historischem Wissen und einer spürbaren Empathie und Liebe aus dem Land berichtet, dem er von Kindheit an verbunden war. Den entscheidenden Personen und Wegbereitern des neuen Südafrikas widmete der Autor hintergründige Artikel. Neben der »Ikone« Nelson Mandela finden sich in dem als »Gestalten der Versöhnung« überschriebenen Kapitel auch Thabo Mbeki, Desmond Tutu und die kürzlich verstorbene weiße Grande Dame Helen Suzman, eine Apartheidgegnerin von Beginn an. Aber von Lucius läßt auch eine zweifelhafte Person wie Frederik Willem de Klerk nicht aus, der als Apartheidbefürworter bekannt war und dennoch den Weg zum Ende des Regimes ebnen half. Mit kleinen Porträts sind legendäre Musiker wie Hugh Masekela und Miriam Makeba ebenso berücksichtigt wie die Schriftsteller Nadine Gordimer, Breyten Breytenbach und John M. Coetzee sowie der großartige Dramatiker Athol Fugard. Bei den Bildenden Künstlern nimmt die international renommierte in den Niederlanden lebende Malerin Marlene Dumas eine prominente Rolle ein. Von ihr nämlich stammt das titelgebende Motto des Buches »Nicht von hier und nicht von dort«, mit dem sie ihr entwurzeltes Dasein beschreibt.

Von Lucius' Berichte und Reportagen sind in einer angenehmen Sprache verfaßt und von dem richtigen Gespür für historisch notwendige Erläuterungen und kontextuelle Informationen getragen. Das gesellschaftliche Erbe, das die ersten schwarzen Regierungen unter dem ANC antraten, wiegt schwer und wird noch lange Nachwirkungen haben. Das koloniale und postkoloniale Gift des Rassismus hat einen tiefen Riß in der Gesellschaft hinterlassen und ist unter anderem für den hohen Grad an Gewaltakzeptanz verantwortlich, die vielerorts die Gegenwart beherrscht. Der Autor erinnert die Leser in seinen Artikeln über die jüdische Diaspora und das einzige Holocaust-Museum auf afrikanischem Boden daran, daß die Apartheidpolitik nicht zuletzt von der NS-Rassenlehre geprägt wurde. Von Lucius versteht es vortrefflich, das Interesse an einem multiethnischen Land zu wecken, das sowohl ein schweres Erbe trägt als auch gleichzeitig eine große Zukunft haben wird.

Das Buch ist mit zwei Fotostrecken des ebenfalls porträtierten deutschen Fotografen Jürgen Schadeberg ausgestattet. Mit Fotos in Schwarz-Weiß und Farbe aus sechs Jahrzehnten gibt es visuelle Eindrücke sowohl von der ländlichen Armut als auch von der reichhaltigen Kultur und dem langen Kampf gegen die Apartheid wieder. Jürgen Schadeberg war der einzige weiße Fotograf, der eine hohe Akzeptanz bei der schwarzen Bevölkerung hatte. In den fünfziger Jahren aus Berlin eingewandert, avancierte er bereits zum Cheffotografen des avantgardistischen Magazins Drum. Schadeberg wurde zum Impresario einer selbstbewußten südafrikanischen und schwarzen Fotografie. Sehr früh gewann er das Vertrauen von Nelson Mandela und setzte sich journalistisch mit seinen Bildern und Reportagen für das Ende der Apartheidpolitik ein. Als das Apartheidregime die Militanz und Repressalien gegen den ANC forcierte, ging er nach Europa, kehrte aber immer wieder zurück.

Robert von Lucius: Nicht von hier und nicht von dort - Umbruch und Brüche in Südafrika. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2009, 240 Seiten, 19,90 Euro; ISBN: 978-3-89812-644-1

* Aus: junge Welt, 24. November 2009


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