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Zumas Schweigen

Südafrika: Nach der Erschießung 34 streikender Bergleute durch die Polizei fällt der Regierung nichts als Trauer ein

Von Christian Selz, Kapstadt *

»Afrikanische Leben so billig wie immer« – die vor allem bei Schwarzen populäre Tageszeitung Sowetan versuchte am Freitag mit einem provokanten Aufmacher den Schock des Vortages zu verarbeiten. Anlaß war der seit Ende der Apartheid 1994 blutigste Streik in Südafrika, bei dem am Donnerstag an der Marikana Platinmine, rund 80 Kilometer westlich der Hauptstadt Pretoria 34 Bergleute im Kugelhagel der Polizei starben. Wäre Südafrika ein normales Land, kommentierte das Blatt weiter, »hätte eine Katastrophe des Ausmaßes von Marikana zu drastischen Maßnahmen der Regierung geführt«.

Seit mehr als einer Woche befinden sich die Bergleute an der wichtigsten Mine des weltweit drittgrößten Platinproduzenten Lonmin im wilden Streik. Sie fordern eine Anhebung ihrer Gehälter von derzeit umgerechnet 400 bis 600 auf 1250 Euro, doch der Arbeitskonflikt ist kein reiner Lohnstreik, sondern Ausdruck viel tiefer sitzender Wut. Die Kumpel werfen der alteingesessenen Bergbaugewerkschaft NUM vor, von der Geschäftsführung des Unternehmens korrumpiert zu sein. Und sie machen Lonmin dafür verantwortlich, daß sich ihre Lebensbedingungen in den vergangenen Jahren kaum verbessert haben. Noch immer bestehen die staubigen Siedlungen rund um die Minen aus einfachen winzigen Häusern oder Wellblechhütten, es fehlt an Perspektiven für die Jugend und damit auch am Vertrauen in die »bessere Zukunft für alle«, die der regierende ANC in den Wahlkämpfen der vergangenen Jahre immer wieder versprochen hatte.

Nach wochenlangen Auseinandersetzungen rund um die Mine, bei denen bereits vor Donnerstag zehn Menschen, darunter auch zwei Polizisten und zwei private Sicherheitskräfte, ihr Leben ließen, explodierte die soziale Bombe an jenem schicksalhaften Nachmittag. Schwerbewaffnete Polizeieinheiten hatten zunächst versucht, die mit Speeren und Macheten bewaffneten Bergleute zu entwaffnen und sie schließlich mit Gummigeschossen und Tränengas attackiert. Als die wütenden Arbeiter dann auf die Polizeikräfte zuliefen und nach widersprüchlichen Presse- und Polizeiangaben wohl auch mindestens ein Kumpel eine Pistole oder Flinte zog, eröffneten Dutzende Polizisten aus halbautomatischen Gewehren mit scharfer Munition das Feuer. Reporter berichteten anschließend von durchlöcherten Körpern und regelrecht zerfetzten Köpfen.

Während die kleine, sozialistische Oppositionspartei AZAPO die Vorfälle mit den Apartheid-Massakern von Sharpville 1960 und Soweto 1976 verglich, attestierte NUM-Generalsekretär Frans Baleni der Polizei, sie habe alles in ihrer Macht Stehende getan. »Nur verteidigt« hätten sich ihre Polizisten, behauptete auch die oberste südafrikanische Polizeichefin Riah Phiyega – obwohl nur ein Polizist überhaupt in ein Krankenhaus eingeliefert und zwischenzeitlich wieder entlassen worden war.

Präsident Jacob Zuma brach seine Reise zum Regionalgipfel der südafrikanischen Staatengemeinschaft SADC ab und kündigte rund um medienwirksame Krankenbettbesuche bei einigen der 78 verwundeten Kumpel eine Untersuchungskommission an. Er zeigte sich »schockiert und bestürzt über diese sinnlose Gewalt«, erweckte ansonsten allerdings eher den Eindruck, als besuche er den Ort eines Busunglücks. Vorschläge für eine Lösung des Konfliktes an der Marikana-Mine unterbreitete Zuma nicht. Die hat allerdings sein korruptionsumwitterter Gegenspieler, der aus der Partei ausgeschlossene Expräsident der ANC-Jugendliga, Julius Malema. Der bestens vernetzte Jungunternehmer forderte am Samstag unter dem Applaus der Kumpel erneut die Verstaatlichung der Minen.

* Aus: junge Welt, Montag, 20. August 2012


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