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Das Ende des Friedens

Gelähmt vom Machtkampf in der Regierungsallianz. Die südafrikanische Bergarbeitergewerkschaft NUM verliert den Kontakt zur eigenen Basis

Von Christian Selz *

Guten Abend, Südafrika, stellen Sie Ihre Uhren um 30 Jahre zurück«: Der Karikaturist Jonathan Shapiro traf die Stimmung erneut punktgenau mit seiner Zeichnung einer Nachrichtensprecherin, die eine Träne über ihre Wange kullernd vor einem schwarzen Bildschirm steht. Die brutalen Szenen, die sich am 16. August nahe der Marikana-Platin-Mine abspielten, als Dutzende Polizisten gleichzeitig aus halbautomatischen Gewehren auf streikende Bergleute feuerten, konnte eigentlich nur an die menschenverachtenden Einsätze der Apartheid-Truppen erinnern. In weniger als drei Minuten erschossen eigentlich auf Massenproteste spezialisierte Polizisten mit mehr als 300 Schuß Munition 34 Arbeiter und verletzten weitere 78, weil sie mit Speeren und Macheten auf die Einsatzkräfte zumarschiert seien und einer eine Flinte gezogen habe. So zumindest besagen es die offiziellen Polizeiangaben. Die sozialistische Oppositionspartei AZAPO zog sogar den Vergleich zum Schüleraufstand von Soweto 1976, als das rassistische Regime die Erschießung Hunderter Kinder und Jugendlicher mit vorangegangenen Steinwürfen rechtfertigte. Doch in Wirklichkeit hat die Situation der Kumpel von Marikana nur wenig mit der der Widerständler gegen die Apartheid zu tun. Sie ist schlimmer, weil den verzweifelten Kumpeln nicht nur würdige Lebensumstände fehlen, sondern auch klare Feinde und Unterstützer. Das Blutbad von Marikana ist die Konsequenz aus jahrzehntelanger Frustration über ein perspektivloses Sklavendasein in theoretischer Freiheit, der die verkrustete und korruptionsumwitterte Bergbaugewerkschaft NUM nichts mehr entgegenzusetzen hat.

Sozialer Wandel blieb aus

300000 Mitglieder zählt die National Union of Mineworkers (NUM). Sie ist die historische Keimzelle des 1980 gegründeten Gewerkschaftsbundes COSATU und noch immer dessen stärkste Einzelgewerkschaft. NUM war die treibende Kraft der Gewerkschaftsbewegung, die das Apartheidregime mit ihren Streiks hart traf, und NUM hat auch heute noch die Kraft, gegen internationale Bergbaukonzerne fast zweistellige Gehaltserhöhungen durchzubringen. Doch das reicht den Kumpel nicht mehr. »Die Gewinne des Bergbaus erreichen die Arbeiter und die umliegenden Gemeinden nicht«, stellte die unabhängige, südafrikanische Nichtregierungsorganisation Bench Marks Foundation in einer Stellungnahme vom Freitag deutlich klar. Die NGO, die vor allem die sozialen Aktivitäten von Konzernen untersucht und seit Jahren in dem Platingürtel rund 80 Kilometer östlich der Hauptstadt Pretoria aktiv ist, machte den Mangel an Arbeitsplätzen für Jugendliche, schlechte Lebensbedingungen und wachsende Ungleichheit für den Konflikt verantwortlich. Die Bergarbeitersiedlungen bestehen aus kleinsten Steinhäuschen und Blechhütten, vielfach ohne fließendes Wasser und in aller Regel ohne Kanalisation. »Ich denke, die Menschen in Marikana, insbesondere die Bergleute, sehen sich als die Manifestation der Lücke zwischen dem Reichtum an Bodenschätzen und den sozioökonomischen Bedingungen«, schlußfolgert auch Aubrey Matshiqi, Sozialforscher der renommierten, liberalen Helen-Suzman-Stiftung.

Es war aber auch eine Erwartungshaltung an die südafrikanische Regierung, die in Marikana zerbrach. Mit der Wahl des heutigen Staatspräsidenten Jacob Zuma an die Spitze des seit dem Ende der Apartheid regierenden African National Congress (ANC) hofften vor fast genau fünf Jahren nicht wenige in der südafrikanischen Arbeiterklasse auf einen sozialen Wandel, wenn nicht auf einen radikalen Umschwung. Zuma galt als Kandidat der beiden großen, linken Allianz-Partner – der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP) und COSATUs – und entfachte bei ausländischen wie inländischen Investoren regelrechte Furcht. Es war die Angst vor genau dem Linksruck, den sich die Kumpel nun noch immer wünschen, wenn sie dem Populisten Julius Malema zujubeln, der in Marikana am Samstag erneut eine Verstaatlichung der Minen forderte. NUM-Generalsekretär Frans Baleni ist einer der stärksten Gegner solcher Forderungen, weil der inzwischen aus dem ANC ausgeschlossene, ehemalige Jugendliga-Präsident Malema keine wirklichen Konzepte vorweisen kann, und selbst linke Gewerkschafter befürchten, der wirtschaftlich bestens vernetzte Jungpolitiker wolle nur bankrotte Unternehmen seiner Clique auslösen.

Auf Lonmin, den drittgrößten Platinproduzenten der Welt, trifft das sicherlich nicht zu. Und auch die gewerkschaftlichen Aufrufe zu Trauer und Besonnenheit stoßen bei den Familien, Freunden und Kollegen der Opfer auf wenig Verständnis. Die Hoffnung auf sozialen Frieden in Südafrika starb im Kugelhagel der Sturmgewehre, und die traditionellen südafrikanischen Gewerkschaften wirken dagegen schlicht machtlos – während sie immer mehr an Einfluß verlieren. Bereits beim ersten gewalttätigen Streik in der Branche, im Januar in der unweit gelegenen weltgrößten Platinmine des Weltmarktzweiten Impala Platinum, tauchte mit der von heraus gedrängten und desillusionierten NUM-Mitgliedern gegründeten Association of Mineworkers and Construction Union (AMCU) eine radikalere, neue Gewerkschaft an den Schächten auf, die auch mit heftigen Lohnforderungen – statt der jetzigen umgerechnet 400 bis 600 verlangen die Bergleute 1250 Euro – schnell Zulauf fand. »Das Management unterstützt NUM, die schlafen in einem Bett mit NUM«, warf AMCU-Präsident Joseph Mathunjwa der Konkurrenz sogar vor. Auf der Pressekonferenz nach dem Massaker brach er in Tränen zusammen, NUM-Boß Baleni dagegen attestierte der Polizei, nicht anders gehandelt haben zu können.

Arrivierte Bürokraten

Es sind nicht nur solche Momente, in denen sich die alteingesessene Gewerkschaftsspitze sichtlich von ihrer einstigen Basis entfernt haben. Es sind Geschichten, wie die von Cyril Ramaphosa, dem ersten NUM-Führer, der inzwischen als Mitglied des Nationalen Exekutiv Komitees des ANC und erfolgreicher Geschäftsmann mit einer seiner Firmen Mehrheitseigner des Lonmin-Arms Incwala Resources ist. Um zu seinen Anteilen zu gelangen, hatte sich Ramaphosa ausgerechnet gegen das Kollektiv der auf dem Land der Mine lebenden Gemeinschaft durchgesetzt. Nun versprach er, umgerechnet 200000 Euro für die Beerdigungen der toten Kumpel zu spenden.

Der Zuma-Gegner und charismatische COSATU-Generalsekretär Zwelinzima Vavi wies in seinem für den COSATU-Kongreß in vier Wochen bereits vor dem Massaker vorbereiteten Politischen Report darauf hin, daß die Gewerkschaftsführung aufgrund der »unterschiedlichen Lebensumstände und materiellen Realitäten nicht auf einer Wellenlänge mit der Situation der Mitglieder« sei. Krisen wie in den heruntergekommenen staatlichen Krankhäusern, bei der Auslieferung von Schulbüchern, winterlichen Stromausfällen und Wasserabstellungen in armen Haushalten seien nicht ausreichend aufgegriffen worden, warnte er. Von NUM-Chef Baleni, der sich erst vor kurzem eine vierzigprozentige Gehaltserhöhung geleistet haben soll, sind solche Töne noch nie zu hören gewesen. Auch am Montag, als sämtlichen der 260 festgenommenen Kumpel die sonst übliche Freilassung auf Kaution verweigert wurde, weil ihre ärmlichen Behausungen nicht als feste Adressen zählen, blieb er stumm. Baleni gilt als treuer Unterstützer von Staatspräsident Zuma und der hofft auf seine Wiederwahl an der ANC-Spitze im Dezember. Der Machtkampf um die Posten im Gefolge ist derweil in vollem Gange und lähmt auch die Gewerkschaften. Die Konsequenz sind Zustände wie in Marikana – vor, während und nach dem Massaker.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 28. August 2012


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