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Verflogener Jubel

Rückblick 2010. Heute: Südafrika. Ernüchterung nach der Fußball-WM und angesichts der Politik von Präsident Zuma

Von Christian Selz, Port Elizabeth *

Im Soccer-City-Stadion von Soweto lief die 55. Minute. Siphiwe Tshabalala hatte gerade einen klugen Paß seines Mittelfeldkollegen Kagisho Dikgacoi aufgenommen und den Ball mit dem linken Fuß in den rechten Torwinkel gehämmert: Da war kurz vor 17 Uhr Ortszeit die erste Fußballweltmeisterschaft auf dem afrikanischen Kontinent eröffnet. Ausgerechnet ­Tshabalala, der 26jährige Spielmacher seines in der einstigen Megatownship ansässigen Heimatvereins Kaizer Chiefs, hatte sein Land endgültig in einen kollektiven Jubelrausch versetzt. Für einen Moment war der harsche südafrikanische Winter in den Blechhütten nicht mehr so kalt und die krassen sozialen Unterschiede am Kap längst nicht mehr so präsent.

Als die Mexikaner dann den späten Ausgleich schafften, war die gute Stimmung schon herb gedämpft. Ein halbes Jahr nach der WM schließlich ist jegliche Euphorie verflogen, sind die geschaffenen Arbeitsplätze abgebaut, ist noch für keines der WM-Stadien eine nachhaltige Nutzungsstrategie vorhanden. Und die Südafrikaner fragen sich, was ihnen das Weltturnier gebracht hat. Die sozialen Unterschiede jedenfalls, die in jenem afrikanischen Glücksmoment wie weggefegt schienen, bestehen wie eh und je. Es scheint nicht so, als hätte Präsident Jacob Zuma vom regierenden Afrikanischen Nationalkongreß (ANC) die passenden Antworten auf die Fragen seiner Landsleute parat.

Kandidat der Linken

2009 als Kandidat der Gewerkschaften, der ANC-Jugendliga und der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP) – kurzum derer, die sich als links begreifen – ins höchste Amt des Staates gewählt, war Zuma der konservativen Opposition und vor allem den Weißen im Land ein Graus, korruptionsverdächtig und skandalumwittert, ein Grund zum Auswandern. Die meisten sind dann freilich doch geblieben und mußten ihre Befürchtungen alsbald revidieren. Zuma gab sich als diplomatischer und versöhnlicher Präsident des gesamten südafrikanischen Volkes. Für seine Verbündeten erhöhte er derweil die staatlichen Infrastrukturinvestitionen und schuf so im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft Arbeitsplätze. Doch die Maßnahmen waren ob des anstehenden WM-Turniers sowieso unausweichlich. An vielen anderen entscheidenden Stellen warten die Südafrikaner noch immer auf Entscheidungen.

Die Notenbank ist auch unter Zuma auf neoliberalem Kurs geblieben – beliebt beim Internationalen Währungsgemeinschaft und nicht bei den heimischen Gewerkschaften. Die Reformen im apartheidgeprägten Schulwesen begnügen sich zumeist mit ein paar Namensänderungen, während die Bildungsqualität gerade in den staatlichen Schulen der armen Stadtteile und auf dem Land auf niedrigem Niveau verharrt. Die längst überfällige Überwindung des Zweiklassen-Gesundheitswesens ist noch immer in der Diskussionsphase. Die aktuellsten Pläne sehen ein Private-Public-Partnership-Modell nach britischem Vorbild vor. Der private Klinikriese Netcare jedenfalls baut – sicherlich auch als Testlauf für sein Stammland Südafrika – gerade ein staatliches Krankenhaus in Lesotho.

Streit um Verstaatlichung

Für die mit großen Versprechungen und nicht selten eindeutig revolutionärer Rhetorik gestartete Regierung Zuma wird die Luft derweil immer dünner – und auch die eigene Allianz aus ANC, SACP und Gewerkschaftskongreß COSATU bröckelt. Die ANC-Jugendliga um ihren Vorsitzenden Julius Malema liefert sich mit der SACP eine Endlosfehde um die Verstaatlichung des Bergbaus. Südafrika ist reich an Bodenschätzen, viele Minen sind aber längst nicht mehr profitabel, und die Kommunisten wittern hinter Malemas Strategie neben purem Populismus auch den Plan, manchen seiner Bekannten auf Kosten des Steuerzahlers fürstlich auszubezahlen. Erst kürzlich war die Goldmine Aurora, im Besitz eines Enkels von Nelson Mandela und eines Neffens von Jacob Zuma, in die Schlagzeilen geraten, weil Sicherheitsleute mehrere illegale Goldschürfer in dem Labyrinth unter Tage erschossen hatten. Die Mine ist seit längerer Zeit geschlossen, die Arbeiter warten noch auf Lohn für mehrere Monate. Es ist ein offenes Geheimnis, daß auch von ihnen etliche inzwischen auf eigene Faust und Gefahr in die Schächte hinabsteigen.

Während die ANC-Führung selbst Verstaatlichungen generell ablehnt und die Forderungen der eigenen Jugendliga als bloße Einladung zur Diskussion über das Thema herunterspielt, gibt sich der COSATU immer häufiger kämpferisch – gegen beide Lager. „Wenn wir die Demagogen diese Debatte gewinnen lassen, die einzig auf die Minen fokussiert ist, anstatt den Staat und Verstaatlichungen ganzheitlich zu betrachten, dann können wir nur die Kritiker auf den Plan rufen, die sagen, daß diese Leute lediglich daran interessiert sind, ihren Einfluß zu sichern, um selbst an den Ressourcen zu verdienen“, kritisierte COSATU-Generalsekretär Zwelinzima Vavi - ein deutlicher Wink in Richtung Malema und ANC-Jugendliga.

Im Clinch

Auch mit dem ANC liegt der COSATU seit einem knappen Jahr im Dauerclinch. Zum einen wegen der – größtenteils erfolgreichen – Streiks der knapp zwei Millionen Gewerkschafter in verschiedenen Branchen, die das Land immer wieder lahmlegten. Sie waren der Regierung Zuma gerade in der Phase der Werbung um Investoren rund um die WM ein Dorn im Auge. Zum anderen geht es um politische Einflußnahme. Man wolle seine Mitglieder nicht länger als Stimmvieh des ANC mißbrauchen lassen, sondern endlich aktiv das Regierungsprogramm mitbestimmen, hatte Vavi gefordert.

Doch der ANC sträubt sich – sicherlich auch, weil er fürchtet, Einfluß und lukrative Posten zu verlieren. Von »politischen Hyänen« innerhalb der Regierungspartei hatte Zwelinzima Vavi gesprochen und in scharfen Kritiken an Vetternwirtschaft und Korruption in der einstiegen Befreiungsbewegung kritisiert. Die geforderte Entschuldigung verweigerte er zum Entsetzen des Allianzpartners. Statt dessen legte er nach, indem er von Raubtieren berichtete, die den einst gemeinsam so schwer erkämpften sozialen Wandel gefährden, um sich selbst zu bereichern.

Kein Bruch

Den offenen Bruch mit der Regierungspartei zu vollziehen traute sich der Gewerkschaftsbund dann letztendlich aber doch nicht zu. Bei den im kommenden Jahr anstehenden Kommunalwahlen werde man die ANC-Kandidaten erneut unterstützen – mit Ausnahme jener, die »inkompetent, faul oder korrupt« seien, wie es COSATU-Präsident Sidumo Dlamini ausdrückte. Namen und Hausnummern blieb er aber genauso schuldig wie einen Plan, den Bündnispartner von der Aufstellung derartiger Politiker abzubringen.

Die SACP ist derweil bei all diesen Themen seltsam wortkarg. In völliger Abhängigkeit des ANC, auf dessen Listen die kommunistischen Abgeordneten bei Wahlen kandidieren, taktieren die Strategen um linken Einfluß in der Regierung und verpassen es so, die berechtigte Kritik der Gewerkschafter ideologisch zu unterstützen. Aufgefallen sind die Kommunisten in jüngerer Vergangenheit nur einmal – als es beim 3. Nationalkongreß der eigenen Jugendliga (YCL) vor drei Wochen in Mafikeng zwischen zwei Fraktionen zu handfesten Auseinandersetzungen um die Wahl des Vorsitzenden kam. Der einstige Grundsatz der Allianz, daß die Bewegung wichtiger ist als es die Personen in ihr sind, rückte mit diesem Eigentor im WM-Jahr, genauso wie die Lösung der wirklichen Probleme Südafrikas in weite Ferne.

* Aus: junge Welt, 30. Dezember 2010


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