Sudan auf dem Weg
Historische Wahlen im größten Flächenstaat Afrikas um zwei Tage verlängert. Meilenstein bei der Herstellung von Frieden und Stabilität
Von Gerd Schumann *
Der Sudan wählt weiter. Um zwei Tage, bis Donnerstag, verlängert die
Wahlkommission die Möglichkeit der etwa 17 Millionen Stimmberechtigten,
an den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen teilzunehmen. Das war
erwartet worden: Sowohl der enorme logistische Aufwand und die gestellte
Aufgabe, über die gesamte politische Struktur des größten Flächenstaats
in Afrika zu entscheiden, als auch die hohe Analphabetenquote mit bis zu
80 Prozent legten bereits im Vorfeld Überlegungen dazu nahe.
Auch daß die Durchführung der Wahlen im komplizierten Süden und
insbesondere in den unruhigen Fluchtprovinzen des Darfur trotz der
jüngsten Verträge zwischen der Zentralregierung mit Aufständischen
Probleme bereiten würde, war vorhersehbar. Ebenso die beträchtlichen
materiellen und infrastrukturellen Vorteile der beiden
Regierungsparteien Nationalkongeß (NCP) und Volksbefreiungsbewegung
(SPLM). Doch letztlich bescheinigten Ex-US-Präsident James Carter und
dessen angesehene Stiftung der nationalen Wahlkommission, »gute Arbeit
geleistet« zu haben.
Entgegen aller Unkenrufe und Boykottaufrufe verläuft die ursprünglich
auf drei Tage ausgelegte Abstimmung weitgehend reibungslos. Zwar werden
westliche Beobachter, selbsternannte Menschenrechtler und jene
nationalen Kräfte, die sich anderthalb Wochen vor dem gewichtigen
Ereignis ausklinkten, weiter über Manipulationen und Unzulänglichkeiten
klagen. Das ist ihr Job. Er ändert grundsätzlich nichts an der Tatsache,
daß der Sudan zur Zeit einen Meilenstein auf dem Weg zu einer Umwandlung
des bürgerkriegsgeschüttelten Landes in einen friedlichen, stabilen
Zustand passiert.
Die Begründung einiger Parteien, sich der Abstimmung zu entziehen,
verdeckt deren tatsächliche Motive. Die Opposition mußte mit einer
schweren Niederlage rechnen. Diese hätte sie - paradoxerweise - den
aggressivsten Teilen des Imperialismus zu verdanken gehabt. Mit dem
Haftbefehl, ausgestellt vom Haager Internationalen Strafgerichtshof im
März 2009, gegen Omar Al-Baschir, den Präsidenten des »Schurkenstaats«,
erfuhr dieser einen Popularitätsaufschwung ohnegleichen - in der
Bevölkerung ebenso wie auf dem gesamten afrikanischen Kontinent. Das
machte ihn zum klaren Favoriten.
Die verunsicherte SPLM vollzog in letzter Sekunde einen
Strategiewechsel, als sie vor zwei Wochen ihren Gegenkandidaten zu
Al-Baschir zurückzog. Schwere Imageschäden befürchtend verzichtete die
US-freundliche Partei, die den teilautonomen Süden regiert, auf ihren
Einfluß in Khartum, der ihr 2005 im »von den USA durchgesetzten
umfassenden Friedensabkommen CPA« (Sudan Tribune, 11.4.) zugesprochen
worden war. Sie konzentrierte sich auf die ölreichen Südprovinzen, und
man darf gespannt sein auf ihr Abschneiden in dem krisengeschüttelten
Gebiet, das seit nunmehr fünf Friedensjahren unter SPLM-Dominanz zu
keiner Zeit zur Ruhe kam.
Zuletzt präsentierte sich die ehemalige Bürgerkriegspartei zerstritten.
Ihr starker Mann, »Commander« Salva Kiir Mayardit, sah sich gar drei
Tage vor den Wahlen gezwungen, einen Boykott der Abstimmungen in
nördlichen und zentralen Provinzen zu dementieren. Offensichtlich
fürchtete der Vizepäsident des Sudan, daß ihm sein Chef und Gegner
Vertragsbruch vorwerfen würde. Das CPA sieht als Ziel des
Übergangsstadiums ein Referendum über die Sezession des Südens vor. Im
Januar 2011 soll darüber abgestimmt werden. »Ein so wichtiges
geschichtliches Ereignis« könne »nur durch legitimierte Volksvertreter
entschieden werden«, so Al-Baschir.
* Aus: junge Welt, 14. April 2010
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