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Rebellen fehlen

Darfur-Friedensverhandlungen in Libyen von Aufständischen boykottiert. Khartum verkündet einseitige Waffenruhe

Von Gerd Schumann *

Vergeblich warteten am Samstag die Bevollmächtigten von Vereinten Nationen (UN) und Afrikanischer Union (AU): Die Vertreter der Darfur-Rebellengruppe »Sudan Liberation Army« (SLA/Sudanesische Befreiungsarmee) erschienen ebensowenig in der libyschen Hafenstadt Sirte wie die des »Justice and Equality Movement« (JEM/Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit). Damit fehlten zum Auftakt der Friedensverhandlungen ausgerechnet jene Kriegsparteien, die in der Vergangenheit ein Eingreifen von internationalen »Schutztruppen« in der westsudanesischen Provinz Dafur verlangt hatten. Und das, obwohl die Gespräche vorab als »unverzichtbar« für ein stärkeres UN-Engagement im Darfur-Konflikt angesehenen worden waren.

Sirte chancenlos

Die sudanesische Regierung als Widersacher dagegen erschien und eröffnete die Veranstaltung mit der Verkündung einer einseitigen Waffenruhe für Sudans von Gewalt und Massenfluchten erschütterte westliche Krisenprovinz. »Wir werden nicht die ersten sein, die mit Schußwaffen feuern«, erklärte Khartums Vizepräsident Nafie Ali Nafie am Samstag. Einen Erfolg der Konferenz dürfte dieser Schritt kaum befördern, zeigen sich doch die Bewaffneten von Darfur derzeit weniger interessiert an einer Beendigung der Kämpfe, denn an der Fortsetzung des Pokers um Macht und Einfluß. So begründete SLA-Führer Abdelwahid Al-Nur, der sich seit Monaten in Paris aufhält, seine Abstinenz wie schon bei vergangenen Friedensinitiativen erneut damit, daß er erst dann verhandeln werde, wenn UN-Truppen stationiert sind. Und JEM-Sprecher Mohammed Bahr Hamdeen präsentierte sich unversöhnlich. UN und AU seien in eine von der Regierung Sudans gestellte »Falle« gelaufen und hätten die Verhandlungen zu »einer Arena für jeden Hans und Franz« gemacht.

Hamdeen spielte damit auf die mittlerweile völlig zerstrittene und zersplitterte Darfur-Opposition mit diversen bewaffneten Gruppierungen an. Diese hatte sich bis Mitte der vergangenen Woche nach neuntägigen Verhandlungen in Südsudans Regionalhauptstadt Juba nicht auf eine Delegation für ­Sirte verständigen können. Der UN-Sonderbevollmächtigte für Darfur, Jan Eliasson, weiß von inzwischen 28 Gruppen, die als Rebellen gegen Khartum und damit als »verhandlungsberechtigt« anerkannt werden wollen – 2004 waren es noch zwei gewesen (SLA und JEM). Die zersplitterte Szenerie bekriegt sich inzwischen in Erwartung zukünftiger Pfründe gegenseitig, es entstehen kriminelle Organisationen.

Umso erstaunlicher mutete – zumindest auf den ersten Blick – das Interesse der südsudanesischen Regionalregierung an, die Rebellengruppen zu sponsern und gegen Khartum zusammenzuführen. Die von den USA geförderten früheren Südrebellen der SPLM (Sudanesische Volksbefreiungsarmee), regieren seit dem Friedensabkommen mit der Zentralregierung Anfang 2005 im Südsudan und waren bisher auch in Khartum vertreten. Inzwischen aber haben sie das »Kabinett der nationalen Einheit« mit Sudans Präsident Omar Al-Baschirs Nationaler Kongreßpartei (NCP) verlassen. Sie stellten mit ihrem spektakulären Schritt vor zwei Wochen den gesamten Friedensprozeß in Frage. Offensichtlich setzen sie auf eine Kontroverse mit der Zentralgewalt. Bereits Anfang 2003 war die SPLM – damals noch unter ihrem 2005 tödlich verunglückten Führer John Garang - maßgeblich an der Gründung der Rebellenbewegung in Darfur beteiligt. Diesen Unterstützungskurs setzen die Garang-Nachfolger umso entschiedener fort, je realistischer ihnen eine Zerschlagung des Sudans in zwei oder drei Teile erscheint.

Das Referendum über eine Abspaltung des ölreichen Südsudan steht zwar – laut Friedensvertrag von 2005 – erst 2011 auf der Agenda, doch setzt die anhaltende Darfur-Krise die Zentralregierung weiter unter Druck, – vor allem auf internationaler Ebene. Inzwischen richten sich die Forderungen der Darfur-Rebellen nicht nur auf eine Regierungsbeteiligung in Khartum, sondern auch auf die Durchsetzung eines Referendums für die ressourcenreiche Provinz an der Grenze zu Tschad und der Zentralafrikanischen Republik.

Poker um die Macht

Während in den beiden Nachbarländern des Sudan ab November EU-Truppen unter französischer Führung – angeblich zum »Schutz der Lager« von Darfur-Flüchtlingen – stationiert werden sollen, bleibt die Auseinandersetzung um die »hybride« UN-Truppe für Darfur offen. Der ursprünglich vom UN-Sicherheitsrat ab Januar 2008 vorgesehene Einsatz des überwiegend aus afrikanischen, aber auch außerafrikanischen Soldaten und Polizisten zusammengesetzten 26000köpfigen Blauhelmkontingents hängt entscheidend von Sirte ab. Insbesondere der Westen mit den USA an der Spitze setzt bisher darauf, über eben jene Truppe militärisch wie auch politisch stärker auf das flächenmäßig größte Land Afrikas Einfluß zu nehmen.

Nicht nur der Boykott von Sirte durch dem Westen zugeneigte Rebellengruppen aber deutet auf einen anderen Kurs. Anfang Oktober griffen die JEM und eine Fraktion der SLA erstmals zwei Lager der AU-Truppe (AMIS) in Darfur an – einen vermeintlichen »Partner der sudanesischen Regierung«. Am vergangenen Donnerstag überfiel ein JEM-Kommando zum ersten Mal Ölanlagen im Süddarfur. Diese werden von einem chinesisch geführten Konsortium betrieben. ­Und Peking steht, im Gegensatz zu Washington, Khartum nahe.

* Aus: junge Welt, 29. Oktober 2007


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