Abschied von Khartum
Südsudan stimmt über Unabhängigkeit ab – alles deutet auf ein Votum für die Abspaltung / Beim Referendum im Süden wird eine hohe Zustimmung zur Loslösung von Sudan erwartet
Von Sébastien Dutruel/InfoSud, Juba *
Am Sonntag (9. Jan.) entscheiden vier Millionen Südsudanesen über die Loslösung von Sudan. Damit würde ein halbes Jahrhundert Bürgerkrieg enden und der 54. Staat Afrikas entstehen. Doch im Innern Südsudans wachsen die Spannungen.
Der Flughafen von Juba erlebt geschäftige Tage. Er nimmt mehr Reisende auf als sonst an Feiertagen: Viele Sudsudanesen kehren nach Hause zurück, um am 9. Januar an der Abstimmung über die Unabhängigkeit ihres Landesteils vom Norden teilzunehmen. Sie sind voller Hoffnung. Umgekehrt verlassen viele Ausländer das Land, vor allem Ugander und Kenianer. Sie werden wohl erst dann zurückkehren, wenn sich die politische Situation geklärt hat.
Das Ergebnis der Volksabstimmung steht schon jetzt fest: Die Südsudanesen werden einer Loslösung vom Norden des Landes zustimmen. Das Wort »Frieden« ist in aller Munde, vom Taxifahrer bis zum Regierungsvertreter. Wenn die Unabhängigkeit Frieden brächte, dann würde damit ein halbes Jahrhundert Bürgerkrieg endgültig beendet sein. Doch schon vor der Abstimmung kommt es immer wieder zu Scharmützeln zwischen den Armeen beider Seiten an der künftigen Grenze.
Der 9. Januar wird schon heute als ein historischer Tag angesehen. »Wir sind zuversichtlich über die Zukunft«, sagt Betty, eine 29-jährige Büroangestellte in der südsudanesischen Hauptstadt Juba. »Die Unabhängigkeit wird unserem Land erlauben, sich wirtschaftlich zu entwickeln.«
Die Zählung der Einwohner und damit der Wähler, abgeschlossen Anfang Dezember, war eine der ersten Herausforderungen für die Selbstverwaltung. Sie sei ein totaler Erfolg gewesen, sagt Alfred Lokuji, verantwortlich für die Abstimmungskommission der Region Central Equatoria im äußersten Süden des Landes. Die Zahl der Wähler wird auf vier Millionen geschätzt. Aber nicht die absolute Zahl sei wichtig, sagt Lokuji. Entscheidend sei, dass 60 Prozent der Wähler an der Abstimmung teilnehmen. So will es das Abstimmungsgesetz von 2009, das der Süden gemeinsam mit der Regierung in Khartum verabschiedet hat.
Ein internationaler Beobachter rechnet damit, dass diese Bedingung erfüllt sein wird. »Die Leute sind sich der historischen Bedeutung dieser Abstimmung bewusst«, sagt er. »Ich rechne damit, dass die Loslösung von fast 90 Prozent der Stimmenden befürwortet wird.«
Salva Kiir freilich teilt diesen Optimismus nicht. Der Präsident Südsudans fürchtet, dass Khartum Stimmen kauft. Das wird wohl auch der Fall sein. Aber es ist unwahrscheinlich, dass die sudanesische Regierung ausreichend Stimmen kaufen kann, um die Zustimmung zu einer Unabhängigkeit zu verhindern. Bisher jedenfalls geht das einzige Problem von der britischen Firma aus, welche die Stimmzettel druckt. Die Druckmaschinen laufen rund um die Uhr, aber die Zeit drängt. Im schlimmsten Fall stimmen die Südsudanesen ein paar Tage verspätet ab.
Die ganz großen Herausforderungen kommen nach der Abstimmung. Die größte ist das Öl. Die großen Vorkommen liegen im Süden. Doch die Infrastruktur, sie auszubeuten, liegen im Norden: Ölleitungen, Raffinerien, Zugang zum Meer. Das Öl bringt dem Süden 95 Prozent seiner Einnahmen, dem Norden immerhin noch 60 Prozent. »Khartum und Juba haben keine andere Wahl, als sich zu einigen«, sagt Alfred Lokuji. Das Friedensabkommen von 2005, das bisher fünf Jahre Frieden brachte, hat es beiden Seiten ermöglicht, sich wirtschaftlich zu entwickeln. Es hat unter anderem eine Aufteilung der Einnahmen geregelt. Doch es endet am 9. Juli 2011. Nun laufen Verhandlungen, die Stabilität des Landes zu sichern. Sie sollten in einem Abkommen münden, dass es beiden Sudan künftig erlaubt, friedlich nebeneinander zu leben.
Ein Szenario scheint kaum noch möglich zu sein: der Krieg. Die Bevölkerung Südsudans würde ihrer Regierung nicht mehr folgen. Wenn es Konflikte gibt, dann vor allem zwischen der Hauptstadt Juba und den Randregionen. »Das föderale System in Südsudan versagt«, sagt Joe Vieira, Verantwortlicher einer Kette lokaler Radiosender. Die politische und wirtschaftliche Macht konzentriere sich auf Juba. Das schaffe Frustrationen, die in offene Konflikte umschlagen könnten. Das gleiche gilt auch für den Norden Sudans: Der Konflikt in Darfur im Westen ist bekannt. Aber auch der Osten des Landes und die Region der Nuba-Berge an der Grenze zum Süden fühlten sich benachteiligt. Die beiden Hauptstädte müssten daher eine Politik der Dezentralisation einleiten, sagt Vieira.
Die Mittel dafür sind vorhanden. Vor fünf Jahren war Juba ein Dorf. Heute ist es eine rasch wachsende Stadt. Überall werden Straßen, Regierungsgebäude und geschlossene Siedlungen für Ausländer und Regierungsvertreter gebaut. Hier entsteht die 54. Hauptstadt Afrikas. Es ist zu hoffen, dass nicht nur ein paar wenige Privilegierte davon profitieren.
Chronik: Streit zwischen Nord und Süd
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1946 Die britische Kolonialmacht vereint den Norden und Süden Sudans. Bis dahin wurden sie von Großbritannien und Ägypten getrennt verwaltet.
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18. 8. 1955 Beginn des ersten Krieges Südsudans gegen die Dominanz des arabisch-islamischen Nordens
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1. 1. 1956 Unabhängigkeit der Republik Sudan
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27. 3. 1972 Abkommen zur Beendigung des Krieges in Südsudan
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5. 6. 1983 Beginn des zweiten Krieges in Südsudan durch Sudan Peoples Liberation Movement/Army (SPLM/A)
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30. 6. 1989 Machtübernahme durch General Omar Al-Baschir
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18. 8. 1993 Sudan auf der US-Liste der Terrorismus unterstützenden Staaten
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20. 7. 2002 »Protokoll von Machakos« (Kenia): Abkommen zwischen Regierung und SPLM/A
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9. 1. 2005 »Comprehensive Peace Agreement« (CPA) zur Beendigung des Krieges in Südsudan
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24. 3. 2005 UN-Sicherheitsrat beschließt UN-Mission in Sudan (UNMIS); UN-Waffenembargo gegen Regierung und andere Konfliktbeteiligte wegen Darfur
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9. 7. 2005 Übergangsverfassung; Vereidigung Garangs als Vizepräsident; Beginn einer sechsjährigen Übergangsperiode
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11. - 15. 4. 2010 Präsidentenwahlen: Baschir wird mit offiziell 68,2 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt; in Südsudan siegt der regionale Amtsinhaber Salva Kiir (SPLM) mit 93,0 Prozent
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9. 1. 2011 Referendum über die Zukunft Südsudans
ND
* Aus: Neues Deutschland, 8. Januar 2011
»Öl ist eher ein stabilisierender Faktor«
Wolf-Christian Paes über ungelöste Fragen rund um die Abstimmung über Südsudan **
Wolf-Christian Paes arbeitet beim Internationalen Konversionszentrum in Bonn (BICC). Das BICC arbeitet in Südsudan am Aufbau von Institutionen, die Frieden und Sicherheit stärken sollen. Paes ist Berater der Südsudanesischen Kommission für Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration (Southern Sudan DDR Commission, SSDDRC) in der südsudanesischen Hauptstadt Juba. Über die Risiken einer Sezession Südsudans für die Stabiliät des gesamten Landes sprach mit ihm für das "Neue Deutschland" (ND) Martin Ling.
An einem Votum für eine Abspaltung Südsudans gibt es kaum Zweifel. Trotzdem ist von einem
dadurch drohenden neuen Krieg zwischen Nord und Süd in den Medien im Gegensatz zu vor ein
paar Monaten nicht mehr die Rede. Ist da der Wunsch der Vater des Gedankens, oder hat sich die
Lage faktisch entspannt?
Die Lage hat sich vor Ort nicht verändert. Ende 2010 war die Stimmung in vielen Medien sehr
alarmistisch, jetzt ist die öffentliche Wahrnehmung neutraler. Kurzfristig ist keine Kriegsgefahr in
Sicht. Allerdings gibt es einige ungeklärte Fragen, die Zündstoff in sich bergen, weshalb mittel- und
langfristig weiterhin ein Konfliktrisiko besteht. In Wahrscheinlichkeiten für einen neuen Krieg lässt
sich das jedoch nicht ausdrücken.
Zu den zu lösenden Fragen gehören die Aufteilung der Erdöleinnahmen zwischen Nord und Süd,
die Zukunft der Provinz Abyei, Grenzverläufe, Eigentums- und Staatsbürgerschaftsfragen. Jede
Menge Probleme. Ist das zu lösen?
Das ist zu lösen, wenn auch nicht konfliktfrei. Lange Zeit wurde die Frage des Zugriffs auf die
Öleinnahmen als das große Konfliktthema erachtet. Ein Rückblick auf die Zeit seit dem Abschluss
des Friedensabkommens 2005 zeigt, dass dieser Konflikt weitgehend beigelegt werden konnte. Die
Einnahmen wurden aufgeteilt. Ein Kompromiss, der bisher getragen hat. Sicher gab und gibt es
Diskussionen, ob der Süden, wo die meisten Ölquellen liegen, seinen fairen Anteil bekommt und wie
hoch ein fairer Anteil zu bemessen sei. Dennoch ist Öl in den letzten paar Jahren sogar eher ein
stabilisierender Faktor gewesen zwischen Nord und Süd. Das liegt an der Verflechtung der beiden
Volkswirtschaften. Bisher gibt es nur eine Pipeline vom Süden über Nordsudan ans Meer und beide
Seiten sind stark von den Öleinnahmen abhängig. Dieses beidseitige Interesse wirkte stabilisierend.
Die anderen offenen Fragen wirken aber eher nicht stabilisierend,
oder?
Es gibt tatsächlich eine große Anzahl von ungelösten Fragen. Von der Grenzziehung über die
Staatsbürgerschaft bis zu den Auslandsschulden. Dort ist es dringend erforderlich, dass schnell
Lösungen gefunden werden. Es gibt bedauerlicherweise in Sudan eine Neigung, Entscheidungen
herauszuzögern und dann kurz vor Toresschluss etwas übers Knie zu brechen. Sudans Präsident
Omar al-Baschir hat vor wenigen Tagen bei seinem Besuch in Juba im Süden gesagt, dass alle
ausstehenden Fragen bis Sonntag geklärt würden. Das klingt nach monatelangen ergebnislosen
Verhandlungen völlig aberwitzig, ist aber nicht ganz ausgeschlossen. Ob diese Entscheidungen
dann langfristig tragfähig sein werden, ist aber offen. Vor allem in der Frage, wozu die Region Abyei
künftig gehört, erwarte ich noch Bewegung bis Sonntag. Abyei könnte zum Beispiel ohne eigenes
Referendum an den Süden fallen und dafür müsste der Süden dann eine Gegenleistung bringen.
Ist bei einer Spaltung Sudans nicht mit riesigen Wanderungsbewegungen zu rechnen? Schließlich
leben Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Süden in Nordsudan.
Das ist eine spannende Frage, auf die es keine eindeutige Antwort gibt. Es gibt im Augenblick diese
Wanderungsbewegungen, weil Südsudanesen aus dem Norden in den Süden gegangen sind, um
am Referendum teilzunehmen. Vor allem, weil sie glauben, dass das Referendum im Norden
manipuliert werden könnte. Man kann als Südsudanese auch im Norden abstimmen, wenn man sich
dort hat registrieren lassen. Inwiefern sich diese Wanderungsbewegungen verfestigen, bleibt
abzuwarten. Viele Sudanesen scheinen sich beide Optionen offen halten zu wollen. Grundsätzlich ist
es so, dass die südsudanesische Volkswirtschaft, die Infrastruktur die Rückkehr von Millionen
Südsudanesen aus dem Norden gar nicht verkraften könnten – wo sollten sie wohnen, was sollten
sie tun? Das ist eine dieser ungelösten Fragen. Ebenso, ob alle Südsudanesen im Norden im Falle
der Sezession ihre Staatsbürgerschaft verlieren oder nicht. Entschieden ist in dieser Sache noch
nichts.
Sie sind Berater der südsudanesischen Kommission für Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration. Wie ist da der Stand?
Im Friedensabkommen von 2005 ist vorgesehen, dass jeweils 90 000 Soldaten im Norden und im
Süden demobilisiert werden sollen. Bis zum Auslaufen des Friedensabkommens im Juni 2011 wird
dieses Ziel sicher nicht erreicht werden. Das hängt damit zusammen, dass dieser Prozess erst 2009
mit vierjähriger Verspätung gestartet ist. In dieser Zeit ist es gelungen, in Nord und Süd zusammen
etwa 31 000 ehemalige Angehörige von SPLA und nordsudanesischer Armee und verschiedenen
Milizen zu demobilisieren, teilweise auch zu reintegrieren. Ob das nun ein Erfolg ist, ist schwer zu
sagen. Ist das Glas halb voll oder halb leer? Es ist für den relativ kurzen Zeitraum kein ganz so
schlechtes Ergebnis.
** Aus: Neues Deutschland, 8. Januar 2011
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