Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Sudan am Scheideweg

Referendum im Süden entscheidet über die Abspaltung vom Zentralstaat. Al-Baschir will Ergebnis "vorbehaltlos" anerkennen. Streit um Ölvorkommen hält an

Von Gerd Schumann *

Der Sudan steht unmittelbar vor einer historischen Zäsur. Ab Sonntag sind etwa vier Millionen registrierte Südsudanesen dazu berechtigt, über die Abspaltung der südlichen Landesteile vom größten Flächenstaat des Kontinents zu entscheiden. Bis zum 15. Januar soll das Referendum abgeschlossen sein. Ein zustimmendes Votum vorausgesetzt, von dem alle Welt derzeit ausgeht, stände dann am 1. Juli die formelle Ausrufung einer neuen »Republik« an –des 55. Staates Afrikas, eines »fragilen« Gebildes (Spiegel, 52/2010).

Als völlig unabsehbar gelten die Folgen, die eine Separierung nach sich ziehen wird. Das betrifft in erster Linie die völlig instabile Lage in dieser derzeit »teilautonomen Region«, einem Gebiet größer als Frankreich, das nur in Ansätzen über staatliche, soziale oder verkehrsmäßige Infrastruktur verfügt und zu den ärmsten der Welt zählt. So weist es neben der höchsten Müttersterblichkeit eine Analphabetenquote von über 80 Prozent auf.

Andererseits existiert eine enorm hohe Waffendichte: In Jahrzehnten der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Rebellen der Sudan Peoples Liberation Army (SPLA) und der Zentralarmee Khartums bewaffneten sich auch zahlreiche, häufig in ethnischen Zusammenhängen organisierte Warlords. Sie agieren nach wie vor: Erst am Mittwoch schloß die Provinzregierung des Südsudan in Dschuba ein Waffenstillstandsabkommen mit einer von ihnen. Und bereits vor dem Referendum wird gefragt, was sein wird, wenn die erste Euphorie über die von hochgesteckten Erwartungen begleitete Staatsbildung verflogen ist.

Überhaupt gelang die Durchsetzung einer relativen Ruhe im Vorfeld der Abstimmung lediglich durch Versprechungen, die den rivalisierenden Gruppen – auch innerhalb der südsudanesischen Regierungspartei SPLM –gemacht wurden. Von Posten und materiellen Zuwendungen ist die Rede. Bereits in der Vergangenheit – im »Umfassenden Friedensvertrag« zwischen Dschuba und Khartum von 2005 war eine Teilung der Einnahmen aus dem Ölgeschäft von vier Milliarden Dollar jährlich vereinbart worden – versickerte der Großteil in nicht bekannten Quellen. Oder floß in die Aufrüstung des Südens. Der neue Staat steht in jedem Fall vor der Frage, was mit jenen Zehntausenden Soldaten geschehen soll, die nicht mehr benötigt werden.

Zwischen Khartum und Dschuba blieb bisher alles weitgehend ungeklärt, was mit dem Ölgeschäft in Verbindung steht. Das betrifft den zukünftigen Umgang mit den Einnahmen sowie die Frage nach dem Grenzverlauf. Während die Zentralregierung weiter halbe-halbe machen will und dabei auf die Bereitstellung von Infrastruktur verweist – vor allem auf Pipelines und den Exporthafen Port Sudan – argumentiert der Süden mit der Verfügungsgewalt über das schwarze Gold. Von diesem befänden sich etwa 80 Prozent unter seinem Boden. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, wer den Zugriff auf das Öl der Provinz Abyei erhält, die offiziell nicht zum Süden gehört, jedoch teilweise von dessen Truppen besetzt ist. In Abyei wird am Sonntag nicht abgestimmt, weil eine Einigung darüber nicht möglich war. »Es stehen also unruhige Zeiten bevor«, so die Süddeutsche Zeitung (4.1.).

Trotz allem spricht viel dafür, daß es zumindest aktuell nicht zu den in den vergangenen Monaten vielfach prophezeiten bewaffneten zwischensudanesischen Auseinandersetzungen kommen wird. Sudans Präsident Omar Al-Baschir wiederholte am Dienstag in einer »bemerkenswerten Rede« (Neue Zürcher Zeitung, 5.1.) zwar seine Position, daß »Einheit der beste Weg ist, um Fortschritt, Stabilität und Wohlstand für alle Menschen im Sudan zu gewährleisten«. Bei einem Besuch in Dschuba versicherte er zugleich, das Ergebnis des Referendums »vorbehaltlos« akzeptieren zu wollen.

Absehbar wird dann sein Vizepräsident Salva Kiir, der starke Mann des Südens, zum international anerkannten Präsidenten des neuen Staats werden. Also stehen Kiir wie Al-Baschir mit der Volksabstimmung auch an einem »Scheideweg« (AFP, 6.1.). Wen dabei der Westen favorisiert, steht außer Zweifel. Während die Beziehungen des Präsidenten »angespannt« sind – gegen ihn stellte der Internationale Gerichtshof in Den Haag auf Betreiben der USA gar einen Haftbefehl aus -, wird Kiir »hoch geschätzt« (AFP). Der 60jährige Politiker und ehemalige Rebellenführer verfügt - wie sein Vorgänger John Garang auch – über beste Beziehungen zu Washington. Garang, in den USA ausgebildet und 2005 bei einem Hubschrauberabsturz tödlich verunglückt, war von der damaligen Außenministerin Condo­leezza Rice noch persönlich instruiert worden. Nun wird Hillary Clinton im Sudan erwartet. Noch am Samstag soll sie zunächst Khartum und dann Dschuba besuchen. Als Protagonistin einer friedlichen Volksabstimmung.

* Aus: junge Welt, 7. Januar 2011


Zu weiteren Beiträgen über Sudan

Zurück zur Homepage