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Apokalyptische Szenen im Süden Sudans

Flucht und Vertreibung im Kampf um Zugang zum Öl (Südsudan)

Von Marc Engelhardt, Rumbek *

Vor den Kämpfen im ölreichen Grenzgebiet zwischen Nord- und Südsudan sind mehr als 60 000 Menschen auf der Flucht. Der UN-Sicherheitsrat, dessen Abordnung seit Sonntag durch Afrika reist, will eine neue Krise wie in Darfur verhindern – doch die Chancen stehen schlecht.

Die Vertriebenen von Abyei, die es nach Tagen im unwegsamen Busch bis in die Region südlich des Flusses Kiir (Bahr el Arab) geschafft haben, sind froh, mit dem Leben davongekommen zu sein. »Die Kämpfe haben so plötzlich begonnen, dass die Bewohner Hals über Kopf geflohen sind«, weiß der Österreicher Andreas Papp. Der Mediziner ist für »Ärzte ohne Grenzen« in der Region unterwegs. Überall sieht er das gleiche Bild: Wem die Flucht gelungen ist, der hat alles verloren.

Nach drei Jahren brüchigen Friedens zwischen dem islamisch-arabischen Norden und dem animistisch-afrikanischen Süden Su- dans wird in der ölreichen Grenzregion nördlich des Kiir gekämpft. Seit Mitte Mai liefern sich die 31. Brigade der sudanesischen Armee, unterstützt von arabischen Reitermilizen, und Einheiten der Südsudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA/M) heftige Kämpfe. Weite Teile der Stadt Abyei sind zerstört, der USA-Sonderbeauftragte für Sudan, Richard Williamson, spricht von Weltuntergangsstimmung. »Es sieht aus wie die Apokalypse, ich habe nirgendwo Menschen gesehen.« Fast alle Hütten in der einst lebendigen Marktstadt seien niedergebrannt. »Es gibt dort nichts als Zerstörung, ganze Wohnviertel sind verschwunden.«

Viele befürchten, dass in Abyei bereits eine mit dem Darfur-Krieg vergleichbare Krise begonnen hat. Die Zahl der Vertriebenen wird schon jetzt auf mindestens 60 000 geschätzt. Alleine 24 000 drängen sich in der nächsten nennenswerten Siedlung Agok, wo sonst 2000 leben und in der es nur zwei feste Gebäude gibt. Mit Geländewagen fahren Ärzte wie Andreas Papp von Agok in die umliegenden Dörfer. Wenn sich herumgesprochen hat, dass die Mediziner da sind, kommen auch die Ängstlichen nach und nach aus dem Busch. »Wir haben in den vergangenen Tagen gut 140 Verwundete mit Gefechtsverletzungen behandelt«, bilanziert Papp. Am häufigsten aber diagnostiziert der Arzt Unterernährung, Augen- und Atemwegserkrankungen, die sich im feuchten Unterholz schnell ausbreiten. Andreas Papp hat schon in Darfur gearbeitet, dort sei es in gewisser Weise besser gewesen: »In Darfur gibt es Lager, die gut organisiert sind. Hier läuft die Hilfe erst an, uns fehlt der Überblick und oft auch das Material.«

Politisch stehen die Zeichen auf Sturm. Das 2005 für Südsudan unterzeichnete Friedensabkommen ist längst Makulatur, wenn es SPLA/M-Generalsekretär Pagan Amum ernst meint: »Sudan steht am Rande eines neuen Bürgerkriegs, die Soldaten aus dem Norden haben gezielt Angehörige der Dinka- Ngok-Ethnie vertrieben, das sind ethnische Säuberungen.«

Ähnlich wie in Darfur rüstet die Regierung in Khartum auch in der Grenzregion von Abyei schon seit langem arabische Milizen aus, um gegen die afrikanische Bevölkerung vorzugehen. Doch in Abyei und Umgebung, wo sich fast alle Ölvorkommen Sudans befinden, steht für Präsident Omar el Baschir weit mehr auf dem Spiel als in Darfur: Die örtliche Bevölkerung könnte sich in einer für 2011 geplanten Volksabstimmung für die Unabhängigkeit des Südens entscheiden. Sudans Ölreichtum wäre dann für Khartum verloren.

Ein schnelles Ende des Konflikts ist auch deshalb unwahrscheinlich, weil beide Seiten unter Druck stehen. Präsident Baschir muss nach dem Überraschungsangriff von Darfur-Rebellen auf Khartum Anfang Mai Härte zeigen. Und die ehemaligen Rebellen der SPLA/M, die im Süden regieren, verlieren wegen Korruption und Misswirtschaft an Rückhalt. Drei Jahre nach dem Friedensschluss hat etwa die Stadt Rumbek mit ihren 200 000 Einwohnern noch immer keine asphaltierte Straße. Wasser gibt es nur an weit verstreuten Handpumpen, Latrinen sind rar, an eine zentrale Stromversorgung ist nicht zu denken. Bombenkrater, die Angriffe sudanesischer Kampfjets in den letzten Kriegsjahren überall im Wegenetz hinterließen, verwandeln sich bei jedem Regenguss in eine Seenlandschaft. Trotz kräftig fließender Hilfsgelder hat sich die Stadt im Herzland der Dinka, der größten Bevölkerungsgruppe Südsudans, kaum entwickelt. Nicht nur ausländische Helfer machen dafür die SPLA/M verantwortlich. »Wenn wir über Probleme diskutieren, ist von den zuständigen Behörden nie jemand dabei«, weiß ein Arzt, der für eine Hilfsorganisation in Rumbek arbeitet. »Da gibt es dieses Missverständnis, wir wären dazu da, das Land aufzubauen, und die Regierung schaut einfach zu.«

Zudem ist die SPLA/M heillos zerstritten. Hinter den Kulissen des Parteitags, der in einer eigens errichteten Versammlungshalle für mehr als tausend Delegierte stattfand, wurde vor allem über die mögliche Unabhängigkeit heftig diskutiert. Den Ausschlag zugunsten eines selbstständigen Südsudan, so glaubt ein SPLA/M-Delegierter aus Rumbek, werden letztlich die USA geben. »Es gibt eine amerikanische Holding, die vom Armeechef selbst darin unterstützt wird, nach der Unabhängigkeitserklärung nicht weit von Abyei nach Öl zu bohren.«

Für den wahrscheinlichen Fall, dass Khartum die Selbstständigkeit militärisch verhindern will, scheint die SPLA/M gewappnet zu sein. Dass private Firmen im Auftrag der US-Armee die ehemaligen Rebellen aufrüsten, weiß in Rumbek jeder. Auf einem umzäunten Gelände sitzt die zum weltweit größten Rüstungskonzern Lockheed Martin gehörende PAE Group. Ein weiteres Unternehmen, das der US-Armee nahe steht, ist DynCorp, dessen Vizepräsident vor zwei Jahren bekannt gab, man werde aus den Guerillakämpfern eine professionelle Armee machen. Die Kämpfe in Abyei, so glaubt ein UN-Mann in Rumbek, seien erst der Anfang. »Egal wie schwach die SPLA/M sein mag: Die USA werden nicht zulassen, dass Khartum einen neuen Krieg für sich entscheidet.«

* Aus: Neues Deutschland, 3. Juni 2008


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