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Sudan: Zündeln am Nullpunkt

Nach zwanzig Jahren Krieg kommt der Wiederaufbau im Süden des Landes kaum vom Fleck. Und schon gibt es wieder bewaffnete Kämpfe: Wer kontrolliert die grossen Ölfelder?

Von Marc Engelhardt, Rumbek *

Die Sonne sticht vom weiten Himmel über Rumbek. Doch schon schiebt sich eine Wolkenfront heran. Im Südsudan ist Regenzeit. Heftig fallen die schweren Tropfen auf die ausgetrocknete Erde. Die Strassen von Rumbek, ehemals das Hauptquartier der südsudanesischen Rebellen, verwandeln sich binnen Minuten in eine Tümpellandschaft. Die Bombenkrater, die die Angriffe sudanesischer Kampfjets hinterlassen haben, füllen sich mit Wasser.

Mehr als drei Jahre ist es her, dass die südsudanesische Volksbefreiungsbewegung SPLM und ihre ehemaligen Todfeinde aus dem islamischen Norden in einem Friedensvertrag den über zwanzigjährigen Bürgerkrieg beendet haben. Doch Rumbek mit seinen 200 000 EinwohnerInnen hat noch immer keine asphaltierte Strasse.

In einem schmucklosen Flachbau treffen sich die MitarbeiterInnen der internationalen Hilfsorganisationen einmal die Woche, um sich mit Vertretern der örtlichen Verwaltung zu beraten. Die Probleme sind vielfältig: Wasser gibt es nur an den weit verstreuten Handpumpen, Latrinen sind rar, an eine zentrale Stromversorgung ist nicht zu denken. Trotz der reichlich fliessenden internationalen Hilfsgelder hat sich die Stadt im Zentrum des Siedlungsgebietes der Dinka - Südsudans grösster Bevölkerungsgruppe - kaum entwickelt. Nicht nur ausländische HelferInnen machen dafür eine Mischung aus Korruption und Unfähigkeit innerhalb der SPLM verantwortlich. «Wenn wir etwa über Probleme im Gesundheitssektor diskutieren, ist von den zuständigen Behörden nie jemand dabei», sagt ein Arzt, der seit drei Jahren für eine Hilfsorganisation in Rumbek arbeitet. «Die glauben, nicht sie, sondern wir wären dazu da, das Land aufzubauen.»

Uniformierte zahlen nichts

Die Unterredungen mit den Behördenvertretern muten an wie Sitzungen von Politbüros vergangener Zeiten: Die HelferInnen harren auf Plastikstühlen aus und lassen sich von ehemaligen Soldaten, die mittlerweile zu Abteilungsleitern aufgestiegen sind, erklären, was sie zu tun haben. Als ein Unicef-Mann zu fragen wagt, warum das einzige Gymnasium der Stadt seit Wochen geschlossen ist, wird der SPLM-Vertreter aus dem örtlichen Schulamt sauer: «Das ist doch ihre Aufgabe. Die humanitären Organisationen haben sich um solche Angelegenheiten zu kümmern.» Oft schaffen es die Behörden monatelang nicht, ihren LehrerInnen oder Soldaten Gehälter zu zahlen. Dass sich die Hilfsorganisationen über Diebstähle von Bewaffneten in Uniform beschweren, überrascht kaum. Die wenigen südsudanesischen Geschäftsleute haben sich längst daran gewöhnt, dass jeder mit einer Waffe umsonst bedient werden muss. Die ehemaligen Soldaten wollen fürs Nichtstun bezahlt werden. «Die denken, sie haben das Land befreit, und wir müssen sie jetzt dafür belohnen - der Staat macht es ja nicht», sagt der Arzt.

Der Südsudan soll laut Friedenvertrag im Jahr 2011 über seine Unabhängigkeit abstimmen können. In der vorgesehenen Hauptstadt Juba rasen immer mehr Geländewagen und Mercedes-Limousinen durch die Strassen. Das künftige Regierungsviertel nimmt bereits Formen an. Neue, vierstöckige Häuser mit voll klimatisierten Räumen werden hochgezogen.

Bauen für die Minister

Dagegen sieht im übrigen Land fast alles noch so aus wie während des Krieges. Auf der Geschäftsstrasse von Rumbek sitzen die VerkäuferInnen vor fensterlosen Räumen aus unverputztem Beton, in denen Holzkohle oder Zementsäcke gestapelt sind. Bis vor einer Woche haben Hassan und John, beides Kenianer von der Küste, hier noch eingekauft. Sie haben die Waren auf ihren Truck geladen und sie für eine der vielen Hilfsorganisationen über die armseligen Strassen bis nach Abyei gebracht, der Stadt, die in dem faktisch geteilten Land die Grenze nach Norden markiert. «Aber letzte Woche haben uns Soldaten an einer Strassensperre aus dem Lastwagen gezwungen», berichtet John. «Sie haben uns mit ihren Kalaschnikows bedroht, sind auf den leeren Wagen gestiegen und in Richtung Kaserne abgehauen.» Ihren Truck haben die beiden seitdem nicht mehr gesehen.

Der Wagen, so erfuhren sie später von angetrunkenen Soldaten in einer Kneipe, war nur wenige Stunden nach dem Überfall schon auf dem Weg nach Abyei - mit Soldaten auf der Ladefläche. Auch andere Trucks soll die ehemalige Rebellentruppe gekapert haben. In Abyei, dem Zentrum der gleichnamigen, zwischen Nord und Süd umstrittenen Provinz, lieferte sie sich bis Anfang Juni heftige Gefechte mit der 31. Brigade der sudanesischen Armee. Die Stadt liegt seitdem in Schutt und Asche. Obwohl beide Seiten sich auf einen Waffenstillstand geeinigt haben, ist bisher kaum jemand aus der Bevölkerung zurückgekehrt. Die Regierungstruppen halten in der Stadt die Stellung, während die südsudanesischen Soldaten sich im Umland von Abyei versteckt haben.

Ein erprobtes System

Unter Abyei liegt der Reichtum des Südsudans. Öl, das derzeit von chinesischen Firmen im Auftrag der sudanesischen Regierung gefördert wird. Würde der Südsudan unabhängig, wären die Ölquellen für Khartum verloren. Um sie zu behalten, so glauben viele, würde der sudanesische Staatspräsident Omar Hassan el Baschir auch eine zweite Krise wie jene im westsudanesischen Darfur in Kauf nehmen.

Als die Kämpfe in Abyei begannen, warnte SPLM-Generalsekretär Pagan Amum vor einem neuen Krieg. «Die Soldaten aus dem Norden haben mehr als 100 000 Angehörige der Dinka-Ngok-Ethnie vertrieben und ganze Dörfer niedergebrannt, das sind ganz klar ethnische Säuberungen.» Eine Volkszählung vom April, die als Grundlage für die Volksabstimmung in drei Jahren dienen sollte, torpedierte die sudanesische Regierung, indem sie arabischstämmige Reitermilizen mit Waffen ausrüstete und die Dinka-Bevölkerung angreifen liess. Das System ist erprobt: Die Bewaffnung der Dschandschawid-Milizen in Darfur, die dort für viele Massaker verantwortlich gemacht werden, läuft nach dem gleichen Schema ab.

Anders als im Friedensvertrag von 2005 vereinbart, weigert sich Staatspräsident Baschir zudem, einen Schiedsspruch zu akzeptieren, der die Ölfelder von Abyei dem Süden zuordnet. Dass im Juni zusammen mit dem Waffenstillstand für Abyei ein neuer Schiedsspruch in Auftrag gegeben wurde, wird das Problem nicht lösen, glaubt Luka Biong, der südsudanesische Präsidialminister. «Hier geht es um den Knackpunkt für einen Frieden.»

Flucht in den Busch

Am meisten unter dem Streit ums Öl leidet die Bevölkerung von Abyei. Sie flüchtete bis ins als sicher geltende dichte Buschland südlich des Flusses Kiir, das mehrere Tage Fussmarsch entfernt ist. «Die Kämpfe haben so plötzlich begonnen, dass die Bewohner Hals über Kopf geflohen sind», berichtet der Österreicher Andreas Papp. Der Mediziner betreut für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen die Flüchtlinge. Rund 60 000 Menschen mussten wochenlang ohne Kleidung, Nahrung oder Zelte mitten im Busch ausharren. «Wir haben gut 140 Verwundete mit Gefechtsverletzungen behandelt», so Papp. Am häufigsten aber diagnostiziert der Arzt Unterernährung sowie Augen- und ­Atemwegserkrankungen, die sich im feuchten Unterholz schnell ausbreiten. Papp hat schon in Darfur gearbeitet. Dort sei es in gewisser Weise besser gewesen. «In Darfur gibt es Lager, die gut organisiert sind, hier ist alles noch im Fluss: Die Hilfe läuft erst an, uns fehlt der Überblick und oft auch das Material.»

Dass die Waffen im Moment schweigen, ist für viele nur eine Ruhe vor dem Sturm. Zu viel steht für beide Seiten auf dem Spiel: Staatspräsident Baschir muss nach dem Vorstoss der Darfur-Rebellen bis nach Khartum im Mai Stärke zeigen. Schon lacht sich die islamistische Opposition ins Fäustchen. «Der Vorstoss der Rebellen bis nach Khartum hat gezeigt, dass die Regierungspartei unter Schock steht und ihre Autorität untergraben ist», so ihr Anführer Hassan el Turabi. «Jeder mit einem Gewehr kann offenbar überall hingehen und Städte erobern, selbst die Hauptstadt.»

Die USA mischen mit

Die SPLM andererseits ist heillos zerstritten. Im Juni hielt sie einen Parteitag mit über tausend Delegierten ab. Dabei wurde hinter den Kulissen vor allem darüber diskutiert, ob man einen autonomen Südsudan anstreben oder in einer losen Allianz mit dem Norden verbleiben will. Gegen die Autonomie spricht die Tatsache, dass zwei Millionen SüdsudanesInnen im Norden - in und um die Hauptstadt Khartum - leben. «Parteichef Salva Kiir hat sich beim Parteitag öffentlich für die Einheit ausgesprochen, aber das wird er nicht durchhalten können», schätzt ein SPLM-Delegierter aus Rumbek die Lage ein. Das Zünglein an der Waage, so glaubt er, werden die USA sein. Dort stossen die Autonomiebestrebungen auf grosses Wohlwollen. Washington hat die SPLM während des Kriegs unterstützt. «Es gibt eine amerikanische Holding, die nach der Unabhängigkeit nicht weit von ­Abyei nach Öl bohren will. Unser Armeechef hilft ihnen dabei», sagt der Delegierte.

Für den wahrscheinlichen Fall, dass Khartum die Selbstständigkeit militärisch verhindern will, scheint die SPLM gewappnet zu sein. Dass private Firmen im Auftrag der US-Armee die ehemaligen Rebellen aufrüsten, weiss in Rumbek jeder. Hier sitzt die zum weltweit grössten Rüstungskonzern Lockheed Martin gehörende PAE Group. Ein weiteres Unternehmen, das der US-Armee nahesteht, ist die Sicherheitsfirma DynCorp, deren Vizepräsident vor zwei Jahren öffentlich bekannt gab, man werde aus den Guerillakämpfern eine professionelle Armee machen. Die Kämpfe in Abyei, so glaubt ein Uno-Mann in Rumbek, seien erst der Anfang. «Egal wie schwach die SPLM sein mag: Die USA werden nicht zulassen, dass Khartum einen neuen Krieg für sich entscheidet.

Kein Ende in Sicht: Die Krise in Darfur

Während im Südsudan eine neue Krise droht, ist für die Bevölkerung im westsudanesischen Darfur keine Besserung in Sicht. Seit 2003 sind dort 300 000 Menschen ums Leben gekommen, Millionen sind noch immer auf der Flucht. Der Bürgerkrieg zwischen Rebellengruppen einerseits und Armee und Dschandschawid-Milizen anderseits ist zu einem Stellvertreterkrieg zwischen dem Sudan und dem Tschad geworden. Beide Länder beherbergen und finanzieren Rebellengruppen, die auf der jeweils anderen Seite der Grenze gegen die dort Herrschenden kämpfen. Zwischen den beiden Ländern droht ein offener Krieg (siehe WOZ Nr. 25/08).

Der grösste und teuerste Friedens­einsatz der Uno, in dessen Rahmen 26 000 BlauhelmsoldatInnen entsandt werden sollen, kommt unterdessen nicht von der Stelle. Ein halbes Jahr nach dem offiziellen Beginn ist gerade einmal ein Drittel der versprochenen Truppen entsandt, bei den PolizistInnen ist es sogar nur ein Viertel. Auch von der erhofften Ausrüstung ist noch nichts zu sehen. Zwischen den afrikanischen Soldaten und den zivilen Uno-Angestellten herrscht dem Vernehmen nach eine unterkühlte Stimmung. Gemeinsame Planungen finden nicht statt. Die afrikanischen Soldaten, die bis vor einem halben Jahr noch der Afrikanischen Union unterstanden, haben nicht mal neue Helme erhalten. Sie mussten ihren grünen Kopfschutz blau umstreichen. Martin Luther Agwai, der leitende General, erklärte einer britischen Zeitung, er habe frustriert den Dienst quittieren wollen, «weil sich die Welt nicht um uns schert». Erst nachdem er ein Selbst­hilfebuch mit dem Titel «Schluss mit den Sorgen, fang mit dem Leben an» gelesen habe, entschied er sich um.

Verantwortlich für das langsame Scheitern der Mission ist teilweise auch der Sudan, der Personalentsendungen und Lieferungen von Material mit seiner Bürokratie zu einer monatelangen Prozedur ausweitet. Khartum hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass es die Blauhelmmission in Darfur ablehnt. Der Westen, allen voran Frankreich, Britannien und die USA, hat zudem seine vollmundigen Versprechungen nicht gehalten und trägt die Schuld für die Engpässe bei der Ausstattung der Truppe. Selbst nach offizieller Lesart werden die Uno-Blauhelme erst in einem Jahr komplett einsatzfähig sein. In Darfur glauben viele, dass es gar nie so weit kommt.

Marc Engelhardt



* Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 3. Juli 2008


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