Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Noch ein Krieg?

USA versuchen mit "Menschrechtsbericht" zu Darfur, eine militärische Intervention im Sudan vorzubereiten

Von Gerd Schumann *

Das kann gefährlich werden: Die Vereinigten Staaten von Amerika gebärden sich wieder einmal als Vorhut im Kampf um Menschenrechte, und die Alte Welt inklusive aller vormaliger Kolonialmächte folgt. Dabei tut sich Großbritannien, bis 1956 Herrscher über den Sudan, besonders hervor. Der britische Botschafter bei der UNO in New York will noch diese Woche eine neue, verschärfte Resolution gegen Khartum im Sicherheitsrat einbringen. »Mehr Druck«, so Emyr Jones Parry, sei dringend vonnöten. Das Signal für die westliche Offensive gab Washington vor genau zwei Wochen – ein sorgsam gewählter Zeitpunkt, stand doch die Frühjahrstagung des UN-Menschenrechtsrats in Genf unmittelbar bevor und mit ihr die Debatte seiner 47 Mitgliedsstaaten über die Lage in der sudanesischen Westprovinz Darfur.

Am 5. März versuchte die US-Regierung, mit einem eigenen »Menschenrechtsbericht« die Linie für Genf vorzugeben: »Der Genozid tobt weiter in Darfur. Sudans Regierung und die von der Regierung gestützten Dschandschaweed-Milizen tragen für den Völkermord die Verantwortung.« Schon Jahre zuvor – im September 2004 auf dem Höhepunkt des Abu-Ghraib-Folterskandals – hatte George W. Bush die Lage in Darfur mit der Intention als »Völkermord« abgestempelt, seine Bewertung mit Blick auf die UN-Charta als weltweite Sprachregelung durchzusetzen und einen Blauhelmeinsatz zu erzwingen. Bis heute ging diese Rechnung, deren zentraler Posten ein Einsatz von über 20000 Soldaten und Polizisten unter NATO-Führung im Sudan ist, nicht ganz auf. Zwar beschloß der Sicherheitsrat in seiner Resolution 1706 am 31. August 2006 die »Entsendung« einer entsprechenden Truppe, machte eine Realisierung jedoch ausdrücklich von der Zustimmung Khartums abhängig. Zudem verweigerten mit China und Rußland – neben Katar – auch zwei ständige Mitglieder des Sicherheitsrats ihre Teilnahme an der Abstimmung.

Sudan sagt nein zur Stationierung von westlich mandatierten Soldaten, läßt aber weiter über die Mission der Afrikanischen Union (AU) in Darfur mit sich reden – auch über einen eventuellen Ausbau über die derzeit stationierten 8000 Mann hinaus. Doch bleibt dieses Thema eigenartigerweise ausgeklammert. Statt dessen zieren sich die westlichen Geldgeber, wenn es um die Finanzierung der »Friedenstruppe« der AU geht.

Schwer tat sich unterdessen der Sudan mit einer »Beobachterkommission« des Menschenrechtsrats, die im Dezember 2006 auf Druck der EU zustande kam. Rückendeckung erhielt Brüssel seinerzeit von Kanada und Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch. Ziel sollte sein, die Regierung des Sudan wegen »grober Verstöße gegen die Menschenrechte« in Darfur zu verurteilen. Und die Leiterin der Gruppe erfüllte diesen Auftrag trotz diverser Probleme. Jody Williams, eine US-Amerikanerin, die als Repräsentantin der Anti-Landminen-Kampagne 1997 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden war, beschuldigte am vergangenen Montag die sudanesische Regierung, an »Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Region« führend beteiligt zu sein. Zu dieser Einschätzung kam sie allerdings nicht vor Ort: Die Gruppe hatte Mitte Februar zunächst keine Visa für Darfur erhalten, zwei der sechs Mitglieder waren ausgestiegen, und der Sudan betrachtete die Legitimation der Mission als »nicht länger gültig«.

Williams und ihre Kollegen hatten daraufhin Interviews vor allem in Flüchtlingslagern des Tschad geführt und entschieden, die Aussagen zum »Bericht zur Lage in Darfur« zu verdichten und in Genf vorzulegen. Zudem gaben sie eine folgenschwere Empfehlung: »Die feierliche Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft, ihre Schutzverantwortung wahrzunehmen, ist deutlich und dringend geworden« – eine indirekte Aufforderung zur UN-Intervention trotz des Neins aus Khartum und entgegen der Resolution 1706, die die Friedensnobelpreisträgerin zur Stichwortgeberin für einen Krieg werden läßt. Schließlich wären die Folgen einer militärischen Intervention gegen den Willen Khartums fatal und würden das bereits existierende Elend in Darfur mit Massenfluchten, Gewalt und Tod absehbar weiter verschlimmern und die ganze Region destabilisieren. Dementsprechend zugespitzt verliefen die Auseinandersetzungen im UN-Menschenrechtsrat, in dem Vertreter afrikanischer sowie in der Organisation islamischer Staaten (OIC) zusammengeschlossene Länder eine Debatte über den Bericht ablehnten. Auch Rußland unterstützte diese Haltung. »Wir können den Report nicht akzeptieren«, sagte die Vertreterin Pakistans im Auftrag der OIC am Freitag und begründete ihre Position mit einer fehlenden »Legitimation« der Autoren. Die EU, vertreten durch Deutschlands UN-Botschafter Michael Steiner, beharrte derweil auf einer Diskussion. »Das ist wesentlich für die Glaubwürdigkeit des Rates«, so Steiner. Seine Intention liegt auf der Hand: Der Druck auf Khartum soll erhöht und der Einfluß des Westens im Sudan ausgeweitet werden.

Die Darfur-Krise wird politisch instrumentalisiert. Weitgehend ausgeblendet sind die Hintergründe, vor allem der Kampf um die umfangreichen Ölvorkommen des Südsudan. Zivile Auswege aus der Krise bleiben undiskutiert und können folglich nicht beschritten werden. Trotz des eigentlich relativ einfach zu durchschauenden Vorhabens der USA, über die Darfur-Menschenrechtsintervention weiteren ölträchtigen Boden zwischen Nigeria und dem Horn von Afrika zu erobern und den chinesischen Konkurrenten zurückzudrängen, bleibt die Schlüsselrolle Washingtons ebenso unbeachtet wie der Einfluß ehemaliger Kolonialmächte in der Region, vor allem Frankreichs und Großbritanniens. Dabei läuft derzeit nichts ohne sie: über den Tschad mit starker französischer Präsenz ebenso wie über westlich orientierte Rebellengruppen in Darfur und die von den USA ausgestattete Provinzregierung der südsudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA). Ebenso unberücksichtigt bleiben bisher sudanesische Initiativen, die Krisenlage im Darfur zu entschärfen.

Als Mitte Februar am Rande des Afrika-Gipfels in Cannes unter Federführung Frankreichs, aber auch unter direkter Beteiligung von Deutschland mit Bundeskanzlerin Angela Merkel als Hauptrednerin, die Präsidenten der nordostafrikanischen Nachbarn Sudan, Tschads und Zentralafrikanische Republik die Darfur-Lage berieten, kümmerte dieses Medien und Politik kaum. Für Diplomatie scheint wenig Raum vorhanden. Unter Führung der USA und der EU wird das Darfur-Elend nicht beendet werden. Die aktuelle Debatte von Genf demonstriert dies. Daß im UN-Menschenrechtsrat die Opponenten militärischer Lösungen Flagge zeigen, macht Hoffnung.

* Aus: junge Welt, 19. März 2007


Zurück zur Sudan-Seite

Zurück zur Homepage