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"Wie im Kongo"

Berliner Offensive in dem zentralafrikanischen Kriegs- und Ressourcengebiet Darfur (Sudan) - Konkurrenz aus China und Russland

KHARTUM/KAMPALA/BERLIN (Eigener Bericht*) - In Vorbereitung auf einen UN-Einsatz in Darfur ist der Staatsminister im Auswärtigen Amt Gernot Erler gestern in Khartum eingetroffen. Die sudanesische Regierung ist bislang nicht bereit, den Westen des Landes für europäische oder US-amerikanische Militärs zu öffnen. Von Brüssel und Washington protegierte Rebellenmilizen boykottieren den kürzlich abgeschlossenen Friedensvertrag für das Bürgerkriegsgebiet und verschaffen damit der Forderung nach einem dortigen UN-Einsatz neue Legitimation. Gleichzeitig bereitet der Bundestag eine Resolution vor, die seit Jahren andauernde Kampfhandlungen im Norden Ugandas auf die Tagesordnung setzt und zu Spekulationen führt, auch dort könne ein "UN-Einsatz(...) wie im Kongo" bevorstehen. Mit ihrer Offensive in dem zentralafrikanischen Kriegs- und Ressourcengebiet von Darfur (Sudan) bis Katanga (Kongo) reagieren Berlin und andere westliche Staaten auf den wachsenden Einfluss der Volksrepublik China, der inzwischen auch von vereinzelten russischen Avancen begleitet wird.

Einsatzpläne

Staatsminister Erler (SPD) ist bereits am gestrigen Montag zu Gesprächen in Khartum eingetroffen, am heutigen Dienstag wird der UN-Gesandte Lakhdar Brahimi in der sudanesischen Hauptstadt erwartet. Gegenstand der Verhandlungen ist der anhaltende Widerstand Khartums gegen die westlichen Pläne, die in Darfur stationierten Truppen der Afrikanischen Union durch UN-Einheiten zu ersetzen. Berlin hat bereits im vergangenen Jahr das Mandat für die Entsendung von Bundeswehrsoldaten in den Südsudan so gefasst, dass auch ein Einsatz im westsudanesischen Darfur ohne weiteres möglich ist.[1] Der UN-Sicherheitsrat hat die Afrikanische Union vor wenigen Tagen aufgefordert, konkrete Schritte einzuleiten, um die Kontrolle über Darfur an die Vereinten Nationen zu übergeben. Lediglich Beijing besteht darauf, einen dortigen UN-Einsatz nur in Zusammenarbeit mit Khartum durchzuführen.

Stichwortgeber

Den Anlass für weitere Pressionen liefern jetzt mehrere Rebellenmilizen, die sich dem am 5. Mai vereinbarten Friedensvertrag für das Bürgerkriegsgebiet verweigern. Illegale Verbände der Sudanese Liberation Army (SLA) und des Justice and Equality Movement (JEM) hatten im Februar 2003 staatliche Einrichtungen überfallen, zahlreiche Sicherheitskräfte getötet und damit den Darfur-Konflikt zu einem Krieg ausgeweitet, in dessen Verlauf inzwischen Hunderttausende ums Leben gekommen sind. Während der Westen die Rebellen protegierte, um Khartum zu schwächen und den eigenen Zugriff auf die Ressourcengebiete des Landes zu befördern, kamen kritische Warnungen vor "vorhersehbaren Folgen" der Aufstandsunterstützung nicht zu Gehör. "Niemand kann mehr bezweifeln, dass die Unruhen dort von den Rebellen fortgesetzt werden", schrieb der Afrika-Experte Dr. Helmut Strizek bereits Ende 2004 in Übereinstimmung mit Berichten vor Ort tätiger UN-Mitarbeiter [2]; Berlin schob unterdessen der sudanesischen Regierung die alleinige Schuld am Darfur-Krieg zu [3]. JEM sowie SLA-Abspaltungen setzen die Kampfhandlungen auch nach Abschluss des Friedensvertrages fort und erhöhen damit erneut den Druck auf Khartum, einem UN-Einsatz zuzustimmen.

Gewinne

Vor diesem Hintergrund verhandelt Staatsminister Erler in diesen Tagen in Khartum Presseberichten zufolge auch über Investitionen deutscher Unternehmen im Sudan. Im rohstoffreichen Süden des Landes, dessen Regionalregierung für das Jahr 2011 die Sezession anstrebt, verfügen deutsche Firmen ohnehin über exklusiven Einfluss, seit ein deutsch geführtes Konsortium den Bau einer Eisenbahnverbindung von Juba an die kenianische Meeresküste betreibt.[4] Das Vorhaben eröffnet den Sezessionisten die Möglichkeit, Khartum von den Ressourcen des Gebietes abzukoppeln und die finanziellen Grundlagen für die Eigenstaatlichkeit zu schaffen. Wirtschaftsprojekte in anderen Teilen des Sudan sind Gegenstand der Gespräche des deutschen Staatsministers sowie eines "Deutsch-Sudanesischen Wirtschaftsforums", das Ende Juni unter Federführung der Lahmeyer International GmbH in der Nähe von Frankfurt am Main stattfinden wird. Deutsche Firmen konkurrieren dabei vor allem mit chinesischen Unternehmen, zunehmend aber auch mit russischen Betrieben. Der russische Außenminister hat erst vor wenigen Tagen mit seinem sudanesischen Amtskollegen über die Zusammenarbeit in der Energiewirtschaft und in der Luftfahrt gesprochen sowie eine russische Beteiligung am Ausbau des sudanesischen Eisenbahnnetzes in Aussicht gestellt.[5]

"Neue Probleme"

Ergänzend zu den deutschen Einflussmaßnahmen im Sudan ist eine sämtliche Fraktionen übergreifende Bundestags-Resolution in Vorbereitung, die sich gegen Terrorakte aufständischer Milizen im Norden Ugandas wenden soll. Dort verübt eine christlich inspirierte Miliz ("Lord's Resistance Army") seit mehr als zehn Jahren brutale Massaker an der Zivilbevölkerung und bezieht angrenzende Gebiete des Sudan und des Kongo in ihr Operationsgebiet ein. Wie es im Bundestag heißt, müsse man angesichts des "Berges neuer Probleme" in Nord-Uganda "fast die Möglichkeit eines erneuten UN-Einsatzes wie im Kongo" in Betracht ziehen.[6]

Grenzüberschreitend

Die vorgeblich humanitär motivierte, scheinbar nicht mit den übrigen deutschen Afrika-Aktivitäten in Beziehung stehende Intervention offenbart ihren politischen Zweck erst vor dem Hintergrund des westlichen Eingreifens im Sudan und in der Demokratischen Republik Kongo. Die beiden an Uganda angrenzenden Staaten markieren das nördliche und das südliche Endstück eines grenzüberschreitenden Kriegs- und Ressourcengebietes, das die wesentlichen Rohstoffvorkommen Zentralafrikas umfasst. Es reicht von Darfur (Sudan) im Norden über umfangreiche Erdölgebiete (Südsudan) und mehrere metall- und mineralienreiche Regionen (die kongolesischen Provinzen Ituri sowie Nord- und Südkivu) [7] bis zu den Kupfer- und Kobaltminen Katangas (Kongo) [8]. Zugleich ist es Ort der beiden umfangreicheren Bundeswehreinsätze auf dem afrikanischen Kontinent. Für die Kontrolle des Gebietes ist eine Kontrolle Nord-Ugandas nützlich, da die dortigen Auseinandersetzungen nicht nur auf die benachbarten Ressourcengebiete übergreifen, sondern auch als Quelle für umfangreichen Waffenschmuggel gelten. Wurde der Waffenschmuggel kommentarlos toleriert, solange er der Schwächung nicht hinreichend willfähriger Regierungen im Kongo diente, so droht er nun gefährlich zu werden - für die in Afrika eingesetzten deutschen Soldaten ebenso wie für in die Rohstoffgebiete drängende deutsche Unternehmer.

Fußnoten
  1. s. dazu Nation building
  2. Helmut Strizek: Der größte Feind der Tutsi; www.kongo-kinshasa.de/kommentar/kom_097.php 07.12.2004
  3. s. dazu Die Aufgaben der Schutzmacht, Die Bahn zur Unabhängigkeit und Keimzelle
  4. s. dazu Deutsche Geschäfte, Die Kongo-Bahn, Großer Befürworter und New Sudan
  5. Russland baut Beziehungen mit Sudan aus; RIA Novosti 17.05.2006
  6. Erzbischof von Norduganda appelliert an internationale Staatengemeinschaft; heute im bundestag 17.05.2006
  7. s. dazu Kriegsressourcen (I), Kriegsressourcen (II) und Kriegsressourcen (III)
  8. s. dazu Begrüßt und fortgeschrieben
23.05.2006

* Quelle: german-foreign-policy.com


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