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Nackte Gewalt gegen Sudans Studenten

Jugend demonstriert für Regimewechsel

Von Marc Engelhardt, Khartum *

In Sudan versuchen vor allem Jugendliche, das ihnen verhasste Regime von Präsident Omar al-Baschir zu stürzen. Doch Militär und Geheimpolizei schlagen mit brachialer Gewalt jede Regung von Opposition nieder.

Wenn die Demokratiebewegung in Ägypten am heutigen Freitag (4. Feb.) wieder auf die Straße geht, wollen auch Studenten in Sudan für Demokratie in ihrem Heimatland demonstrieren. »Wir fordern Präsident Baschir auf, sofort zurückzutreten«, sagt Ismail, ein junger Aktivist der Girifna-Bewegung.

Girifna ist Gossen-Arabisch und bedeutet so viel wie: Wir haben die Schnauze voll. »Es muss eine Übergangsregierung eingerichtet werden, und spätestens in zwei Jahren soll es demokratische Wahlen geben.« Ismail, der seinen vollen Namen nicht nennen will, glaubt, dass der Moment günstig ist – nicht nur wegen des Regimesturzes in Tunesien. »Seit Sonntag ist klar, dass Südsudan unabhängig wird – und auch wir im Norden müssen endlich wieder unsere wahre Unabhängigkeit zurückbekommen.«

Noch sind die Proteste vergleichsweise klein. Am Sonntag gingen (30. Jan.) in Omdurman, Sudans zweitgrößter Stadt, gut 2000 Studenten auf die Straße. Doch wie ernst das Regime des vom Strafgerichtshof in Den Haag auf die Fahndungsliste gesetzten Baschir die Proteste nimmt, zeigt die Reaktion der Sicherheitskräfte. Videos belegen, wie sie mit Tränengas und Knüppeln gegen Demonstranten vorgehen. Der Student Mohammed Abdelrahman gehört zu ihren Opfern. Wenige Stunden später stirbt er in einem Hospital.

Mit nackter Gewalt versucht Sudans Regierung, jeden Hauch von Widerstand zu ersticken. Universitäten im ganzen Land wurden vorläufig geschlossen. Nicht nur in Omdurman und der Hauptstadt Khartum, auch in al-Obeid im Westen und Kassala im Osten treiben Sicherheitskräfte Demonstranten mit Gewalt auseinander. Der gefürchtete Sicherheitsminister Salah Gosh droht offen damit, dass das Militär – anders als in Ägypten – keine Sympathien für die Demonstranten zeigen werde. Doch auf ihrer Facebook-Seite, der inzwischen mehr als 120 000 Menschen folgen, rufen die Initiatoren der Proteste dazu auf, nicht aufzugeben.

Der Unmut über das Regime ist vor allem im Alltag verwurzelt. Junge Leute auch aus besseren Verhältnissen fürchten um ihre kleinen Freiheiten, die Rap-Konzerte etwa, die in Khartum eine stetig wachsende Zahl von Besuchern anziehen. Musik, zumal moderne, gilt radikalen Imamen als Teufelswerk. »Viele glauben, dass Sudan auf dem Weg zurück in die Steinzeit ist, wir könnten ein afrikanisches Afghanistan werden«, sagt der Sänger der Rapband Rezolution, Ahmed Mahmud. »Aber ich werde immer sagen, was ich denke – zur Not gehe ich zurück in den Untergrund.«

Dieses Schicksal könnte auch Oppositionspolitiker treffen. Die Geheimpolizei geht derzeit gegen prominente Politiker vor. Mariam al-Sadiq al-Mahdi, Tochter des Chefs der oppositionellen Umma-Partei, wurde so schwer verletzt, dass ihr linker Arm 14 Brüche aufwies. Andere Oppositionelle, unter ihnen der landesweit bekannte Hassan al-Turabi, wurden inhaftiert.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Februar 2011


Vorwurf gegen Sudan: Unangemessene Gewalt

Menschenrechtsorganisation verweist auf nach Protesten vermisste Demonstranten **

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hat den sudanesischen Sicherheitsbehörden am Donnerstag (3. Feb.) unangemessene Gewalt gegen Demonstranten vorgeworfen.

Mehr als 20 der bei den Protesten am vergangenen Sonntag (30. Jan.) festgenommenen Demonstranten würden noch vermisst, teilte Human Rights Watch mit. Bei den Demonstrationen gegen die sudanesische Regierung, zu denen Studenten über soziale Netzwerke aufgerufen hatten, war ein Student ums Leben gekommen. »Misshandlungen und Folter von politischen Gegnern in Sudan durch die Sicherheitsbehörden in der Vergangenheit wecken große Sorge um das Schicksal der Festgehaltenen«, sagte HRW-Afrikadirektor Daniel Bekele. Die Behörden sollten die Festgenommenen entweder anklagen oder freilassen. Auch die verschärfte Zensur gegen unabhängige Medien müsse zurückgenommen werden.

Derweil könnte Sudans Präsident Omar al-Baschir nach Einschätzung des Sicherheitsexperten Emmanuel Kisiangani unter Druck geraten, sollte sein ägyptischer Amtskollege Husni Mubarak zurücktreten. »Auch Baschir könnte von den Protesten aus dem Amt gezwungen werden«, sagte der Mitarbeiter des Instituts für Sicherheitsstudien im südafrikanischen Pretoria im epd-Gespräch. Die Lage in Sudan sei durchaus brenzlig. Seit Tagen gibt es in der Hauptstadt Khartum heftige Unruhen. Die Anzahl ungelöster Konflikte sei so groß, dass es »wahrscheinlich erneut zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen wird«, sagte Kisiangani. Am Donnerstag wurden nach lokalen Medienberichten zehn Journalisten festgenommen. Wie zuvor Mubarak hatte Baschir die Sicherheitsvorkehrungen verschärft, um weiteren über soziale Netzwerke angekündigte Proteste zu verhindern.

»Die Entwicklungen in Ägypten haben unweigerlich auch Auswirkungen auf Sudan«, betonte Kisiangani. Die Präsidenten Sudans und Ägyptens seien Alliierte.

** Aus: Neues Deutschland, 4. Februar 2011

Sudan: Violent Response to Peaceful Protests

Im Folgenden dokumentieren wir einen Auszug aus dem Artikel von Human Rights Watch über die harte Reaktion des sudanesischen Regimes auf die Studentenproteste.

(...) "The Sudanese government should not use violence to cut off peaceful demonstrations and political expression," said Daniel Bekele, Africa director at Human Rights Watch. "The people of Sudan, like people everywhere, have a right to protest repression."

The government responded to the demonstrations by dispatching armed riot police and national security forces to the protest sites, including university premises. The security personnel used force to disperse the demonstrators and arrested more than 100 people, including nine journalists, during the first two days of protests. Many of the protesters, including two arrested journalists, were subjected to beatings and ill-treatment.

One student, Mohammed Abderahman, reportedly died from injuries inflicted by security forces on January 30, activists said. Human Rights Watch could not independently confirm the death, but called on the Sudanese government to investigate the allegations immediately.

The protesters on January 30 and 31, organized by youth and student movements using Facebook and other electronic media, rallied in public places and at university campuses in Khartoum, Omdurman, El Obeid, and other towns. Witnesses in Khartoum and Omdurman reported that armed riot police and national security personnel dispersed groups of protesters using pipes, sticks, and teargas, injuring several people and preventing some people from joining the protests. Some protesters threw rocks at riot police, but most were peaceful, witnesses said.

The majority of those arrested were released within hours, but more than 20 are still missing and believed to be held by national security forces. Among them is a southern student at the University of Khartoum, Louis Awil Weriak, who bore signs of ill-treatment, a fellow detainee who was released said. Human Rights Watch also received information that on February 2, national security staff arrested two staff members of the communist party newspaper, Al-Maidan. Sudanese authorities have long used national security powers to arrest and detain political activists, often mistreating or torturing them in detention, based on cases documented by Human Rights Watch, Amnesty International, and many other groups over the years.

"Sudan's track record of using national security officials to target activists and political opponents and subject them to ill-treatment and torture raises serious concerns for the safety of detainees," Bekele said. "Authorities should charge or release all the protesters immediately."

International standards require authorities to bring charges promptly after an arrest. However Sudan's repressive National Security Act gives the National Intelligence and Security Service (NISS) broad powers of search, seizure, arrest, and prolonged detention of up to four and a half months without judicial review, in violation of international standards. Human Rights Watch urged the government to ensure that any detention is properly recorded and that anyone detained has all due process protections, including access to counsel and medical care.

Human Rights Watch also urged the government to lift restrictions on the media immediately. Government security forces blocked international and Sudanese journalists who tried to cover the demonstrations. Authorities also went to the offices of two newspapers, Ajrass al Huriya and Al Sahafa, on January 31, and to Al-Maidan on February 1 to order them not to distribute the editions on those days.

"With the southern secession vote over, Sudan is entering a new chapter in its history," Bekele said. "Rather than violently repressing basic freedoms, the Khartoum government should uphold the rights enshrined in its own constitution, allow freedom of political expression, and let journalists freely report on events." (...)

Source: "Sudan: Violent Response to Peaceful Protests. Government Responds Harshly to Khartoum Demonstrations", February 3, 2011; Website of Human Rights Watch; www.hrw.org




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