Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Sudan ohne Geldquelle

Protestwelle und Straßenschlachten: Streit mit Südsudan bringt Ölproduktion fast zum Erliegen. Etatkürzungen und hohe Inflation entfachen Widerstand

Von Thomas Berger *

Etatprobleme sind kein europäisches oder US-amerikanisches Phänomen. Das zeigt sich gegenwärtig am Beispiel Sudan. Umgerechnet 2,4 Milliarden US-Dollar fehlen dem afrikanischen Staat in seinem aktuellen Haushalt, weshalb die Regierung in Khartum nun die große Keule schwingt und »sparen« will. Am Dienstag vergangener Woche traf sich das Kabinett zu einer Sondersitzung, um unter dem Vorsitz von Präsident Omar al-Baschir die massiven Einschnitte abzusegnen, die seit Tagen im Land kontrovers diskutiert werden. Die einen befürchten, daß durch extreme Kürzungen der Ausgaben in verschiedenen Bereichen der finanzielle Handlungsspielraum des Staates gänzlich verlorengeht. Die anderen verweisen darauf, daß die »Spar«-Maßnahmen vor allem jene Menschen treffen, die schon jetzt besonders zu leiden haben.

Weniger umstritten ist der Versuch, mit einer Ausdünnung des Staatsapparates die Ausgaben zu reduzieren. So soll die nationale Menschenrechtskommission künftig nur noch elf statt 15 Mitglieder haben, der Oberste Gerichtshof nur noch mit sieben statt mit neun Richtern bestückt werden. Die Wahlkommission wird mit einer Reduzierung von neun auf fünf Mitglieder fast halbiert. Inwieweit solche Maßnahmen andere neue Probleme nach sich ziehen, läßt sich noch nicht überblicken. Fakt ist, daß auf diesem Wege keine nennenswerte Kostenreduktion zustande kommt. Auch mit einer geplanten Eindämmung der Auslandsreisen von Behördenvertretern der regionalen Ebene dürften keine haushaltstechnischen Wunder zu bewirken sein. Im Zentrum der Ausgabenkürzungen steht statt dessen eine Verringerung der Treibstoffsubventionen.

Genau dies mobilisiert den Widerstand im Lande. Anhaltende Proteste erschüttern seit knapp zwei Wochen die größten urbanen Zentren des Landes. Die sudanesische Bevölkerung leidet ohnehin schon unter einer enormen Inflation von zuletzt (Mai 2012) 30,4 Prozent. Waren des täglichen Bedarfs haben sich in den zurückliegenden Monaten massiv verteuert. Viele Familien wissen nicht mehr, wo sie sich noch einschränken sollen, um die steigenden Lebenshaltungskosten auszugleichen. Da bringen die aktuellen Pläne der Regierung das Faß zum Überlaufen, denn ein Abbau der Stützung bedeutet Benzinpreiserhöhung. Zudem sind die Tarife im öffentlichen Nahverkehr der Hauptstadt in diesem Jahr schon um 35 Prozent gestiegen.

Vor allem Studenten gehen auf die Straße – und treffen dort auf schwerbewaffnete Polizeieinheiten. Diese gehen massiv mit Schlagstöcken und Tränengas gegen Demonstranten vor. Seit dem vorletzten Wochenende kommen die großen Städte wie Khartum und Omdurman nicht mehr zur Ruhe. Konnten Khartums Polizisten damals in der Hauptstadt noch rund 200 Studenten auf dem Campusgelände stoppen, kam es zu Beginn vergangener Woche auf den Straßen der Schwesterstadt Omdurman zu Zusammenstößen. Diese eskalierten zudem in Auseinandersetzungen zwischen Parteigängern von Präsident Baschir und dessen Gegnern. Medienberichten zufolge soll es zu zahlreichen Verhaftungen gekommen sein.

Öffentliche Protestaktionen dieser Art sind für Sudan eher untypisch. Erstmals hatte es im vergangenen Dezember so etwas wie eine Demonstrationswelle gegeben. Aus den jetzigen Protesten versuchen auch die Oppositionsparteien, politischen Profit zu ziehen, hoffen insgesamt auf eine Destabilisierung des Regimes. Davon kann bislang jedoch keine Rede sein. Die Regierung hat derweil mehrere ausländische Reporter, darunter einen Vertreter der französischen Nachrichtenagentur AFP und einen britischen Journalisten, vorübergehend festgenommen. Vor allem aber kritische einheimische Medien geraten ins Visier der Staatsmacht. Vergangenen Sonntag zogen Regierungsmitarbeiter die kompletten Ausgaben der unabhängigen Zeitungen Al-Ahdath, Al-Watan und Al-Jarida ein. »Das ist ein massiver Schlag gegen die Pressefreiheit«, sagte Osman Shinger, Chefredakteur von Al-Jarida. »Ich glaube, man versucht, uns auch mit den finanziellen Verlusten durch Druck und Werbungsausfälle zu treffen.« Im Fall seiner Zeitung war es schon das dritte Mal in diesem Monat, daß eine Ausgabe konfisziert wurde. Zwei weitere Blätter waren am Dienstag betroffen. Al-Midan, die Zeitung der Kommunistischen Partei, wurde im Mai gleich 13mal quasi umsonst gedruckt, wogegen Redaktionsmitglieder und Parteivertreter mit einem Sitzstreik protestierten.

Hintergrund der Angriffe auf die Medien sind nicht nur die aktuellen Pro­testaktionen, sondern auch die anhaltenden Spannungen mit dem Südsudan. Diese sind zugleich der Auslöser für das milliardenschwere Haushaltsloch: Beide Länder, die bis vor einem Jahr noch einen Staat gebildet hatten, leben wirtschaftlich vor allem vom Erdöl. Dabei hat der noch junge Südsudan die meisten Lagerstätten und Förderstellen, während die Transportwege an die Abnehmer aus aller Welt über den Norden laufen. Anhaltende Konflikte, unter anderem um den genauen Grenzverlauf, haben den Fluß des schwarzen Goldes durch die Pipelines indes weitgehend zum Versiegen gebracht. Der Südsudan finanziert sich von diesem Rohstoff zu 98 Prozent, Khartum führt etwa zwei Drittel seiner Staatseinnahmen auf Erdölförderung und -transport zurück. Noch ist nicht abzusehen, ob der immer stärkere wirtschaftliche Druck beide Seiten zu einer Einigung zwingt.

* Aus: junge Welt, Freitag, 29. Juni 2012


Zurück zur Sudan-Seite

Zur Suedsudan-Seite

Zurück zur Homepage