Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Republik Sudan am Ende

Laut Wahlkommission votierten fast 99 Prozent für eine Abspaltung des Südens

Von Gerd Schumann *

Die nordostafrikanische »Republik Sudan« spaltet sich in zwei Staaten. Am Sonntag teilte die für das Referendum über die Abtrennung des Südsudan zuständige Kommission (SSRC) in Dschuba mit, daß sich 98,83 Prozent der Abstimmenden für die »Unabhängigkeit« ausgesprochen hätten. Die Zahlen basierten auf der Auszählung aller im Nord- und im Südsudan abgegebenen Stimmen, wurde erklärt. Noch am Sonntag wurde eine Feier in der südsudanesischen Hauptstadt zelebriert. Mit dabei: Salva Kiir, der Präsident der Region und Chef der aus der ehemaligen Rebellenarmee SPLA hervorgegangenen Regierungspartei SPLM (Sudan People’s Liberation Movement).

Zweifel an dem Resultat des Referendums sind berechtigt. Zwar stellten internationale Wahlbeobachter in der Woche vom 9. bis 15. Januar, als knapp vier Millionen abstimmungsberechtigte Südsudanesen ihr Votum abgeben durften, keine größeren Unregelmäßigkeiten und Gewalttätigkeiten fest. Allerdings kam es zu mancher Merkwürdigkeit: So gab die SSRC vor kurzem zu, daß in zehn von 79 Provinzen des Südens die Beteiligung bei über hundert Prozent lag. Dieses wurde allerdings erst eingestanden, als die Agentur AP die veröffentlichten Zahlen genauer unter die Lupe genommen hatte.

Trotzdem dürfte das Referendum als rechtsverbindlich anerkannt werden. Die laut des umfassenden Friedensabkommmens zwischen SPLA und Zentralregierung in Khartum aus dem Januar 2005 vorgeschriebene Beteiligung von mindestens 60 Prozent der Wahlberechtigten wurde erreicht. Eine Zustimmung von über 50 Prozent ebenfalls. Folglich würde am 1. Juli, so die Planung, der Südsudan zum – unter Berücksichtigung der westsaharauische Republik DARS, die immer noch weitgehend von Marokko besetzt ist – 55. Staat Afrikas.

Das heikle Unterfangen könnte unabsehbare Folgen für den ganzen Kontinent nach sich ziehen, da es mit einem Prinzip der Afrikanischen Union bricht. Demnach sind die einst unter kolonialer Herrschaft gezogenen Grenzen unabänderbar – und das nicht, weil sie etwa gerecht gewesen wären, sondern weil eine Abspaltung beispielgebend wirken könnte. »Daß die Sezession Südsudans weitere Sezessionsbewegungen in Afrika ermutigt, ist nicht auszuschließen«, kommentierte Professor Rüdiger Wolfrum vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Die akzeptierte Lösung Eritreas von Äthiopien 1993 sei ein »Sonderfall« gewesen.

Als Kandidat gilt unter anderem Nigeria, wo im April gewählt wird: Nicht wenige prophezeiten, daß das westafrikanische Land »langfristig zerbrechen oder implodieren wird«, spekuliert die namibische Allgemeine Zeitung (28.1.) über das »tief gespaltene« bevölkerungsreichste afrikanische Land. Es ist wichtiger Öllieferant für die USA. Aber auch der Kongo dürfte ohne Abtrennung des Ostteils nicht »zur Ruhe kommen, zumal seine rohstoffreichen Regionen keine Verbindung zur Hauptstadt Kinshasa haben«. Genannt werden zudem Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) und Kenia. Die von westlicher Dominanz und Ausbeutung betroffenen Gesellschaften, in denen die Massenverelendung und die sozialen Gegensätze tatsächlich den Humus für ein ethnisches Gegeneinander bilden könnten, befinden sich in einer Dauerkrise. Deren Lösung ist nicht absehbar. Durchgesetzt werden müßte sie gegen die Politik der Herrschenden im Aus- und Inland.

Daß eine bessere Zukunft nicht ohne tiefe soziale Veränderungen möglich ist, wird die Entwicklung des Südsudans als eigenständiger und zugleich von ausländischen Interessen abhängiger Staat zeigen. Ebenso eindringlich wie erschreckend demonstrierten die zurückliegenden sechs Jahre SPLM-Regierung in Dschuba deren Unfähigkeit, Fortschritte für die Masse der Bevölkerung zumindest einzuleiten. Nach dem langen Bürgerkrieg gelang es nicht, Infrastrukturen im Bildungs- und Gesundheitsbereich wieder aufzubauen oder neu zu entwickeln. Die SPLM investierte statt dessen in ihre eigene Klientel und in die Aufrüstung von Armee und Polizei. Von den Milliardenbeträgen aus dem Ölgeschäft, die Khartum nach Dschuba überwies, blieb kaum etwas für Soziales. 40 Prozent der Menschen sind von Nahrungsmittelhilfen abhängig, 85 Prozent sind Analphabeten, nirgendwo weltweit ist die Müttersterblichkeit höher.

Weitgehend kontraproduktiv wirkten diesbezüglich auch die UN-Truppen im Land. So steht die Chefin des Südsudan-Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP), Betsy Lippman, laut Spiegel online (27.1.) vor ihrer Ablösung. Das von ihr verantwortete Demobilisierungsprogramm für ehemalige SPLA-Kämpfer werde »schlampig und teuer gemanagt«. 2010 seien an 50 von 328 Mitarbeiter 280000 Dollar gezahlt worden – pro Kopf und steuerfrei. Schädlich war der UN-Einsatz vor allem deswegen, weil die Blauhelme – entgegen dem Vertrag von 2005 – politisch auf die Spaltung des Landes hinwirkten.

Auch was die Etablierung von Freiheitsrechten betrifft, steht dem »Land des Mangels« ein »heikler Start« (Spiegel online) bevor. »Im Süden wird eine Einparteiendemokratie entstehen«, so der ehemalige UN-Verantwortliche für Südsudan, Peter Schumann auf Zeit online (24.1.). Bislang habe die SPLM keine Bereitschaft gezeigt, »Opposition und öffentlichen Dissens zu dulden«. Offen blieb zwischen Khartum und Dschuba bis heute die genaue Grenzziehung, bei der es um Öl- und Weidegebiete geht, sowie die Verteilung der Öleinnahmen. Nach Meinung der namibischen Allgemeine Zeitung ist der Südsudan nunmehr »ein ernsthafter Anwärter auf den Platz des am wenigsten entwickelten Staates der Welt«.

* Aus: junge Welt, 31. Januar 2011


Zu weiteren Beiträgen über Sudan

Zurück zur Homepage