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Sudan weist Haftbefehl zurück

Die sudanesische Regierung hat den internationalen Haftbefehl gegen Präsident Omar al-Baschir als »politische Entscheidung« zurückgewiesen. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag will Baschir auch wegen Völkermords vor Gericht bringen. Menschenrechtler begrüßten die Entscheidung vom Montag (12. Juli). Jetzt müsse der Weltsicherheitsrat Druck auf Sudan ausüben, damit Baschir vor dem Strafgerichtshof in Den Haag erscheint, erklärte die Organisation Human Rights Watch (HRW).

Das internationale Gericht hatte seinen zweiten Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten mit dem Verdacht begründet, dass der 66-Jährige verantwortlich ist für Völkermordverbrechen an den ethnischen Gruppen der Fur, Masalit und Zagawa in der westsudanesischen Konfliktregion Darfur. Dies ist der erste vom Gericht ausgestellte Haftbefehl wegen Völkermordes. Zudem ist Baschir der erste amtierende Staatschef, dessen Festnahme und Auslieferung nach Den Haag verlangt wird.

Am 4. März 2009 hatte Chefankläger Luis Moreno Ocampo bereits einen Haftbefehl gegen Baschir wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durchgesetzt. Baschirs anhaltende Behinderung der internationalen Justiz sei empörend, sagte die HRW-Rechtsexpertin Elise Keppler. Nachforschungen in Darfur hätten klar gezeigt, dass die sudanesische Regierung einschließlich Baschir verantwortlich sei »für gezielte und systematische Angriffe auf Zivilisten unter Verletzung des internationalen Rechts«.

Auch weitere Organisationen, darunter die Ärzte für Menschenrechte, forderten die Durchsetzung des neuen Haftbefehls gegen den sudanesischen Präsidenten.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Juli 2010


Der Chefankläger

Haftbefehl gegen Sudans Präsidenten wegen "Völkermords". Welche Rolle spielt Luis Moreno-Ocampo?

Von Gerd Schumann **


Der neue Held des Westens heißt Luis Moreno-Ocampo, Chefankläger des Internationalen Gerichtshofs (IStGH) zu Den Haag. Der 60jährige Argentinier, der seine Funktion seit 2003 wahrnimmt, setzte sich nun schon zum zweiten Mal in Sachen Darfur durch: Am Montag (12. Juli) verkündete der aus 18 Richtern bestehende Hof, er sei Moreno-Ocampos Antrag gefolgt und habe nunmehr gegen den sudanesischen Präsidenten Omar Al-Baschir auch Anklage wegen »Völkermords« erhoben – ein Vorwurf, den dasselbe Gremium vor anderthalb Jahren noch als nicht tragfähig zurückgewiesen hatte. Bislang lag gegen Al-Baschir seit März 2009 lediglich ein Internationaler Haftbefehl wegen »Kriegsverbrechen« sowie »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« vor.

Mit dem Präsidenten Sudans wurde erstmals in der IStGH-Geschichte ein amtierender Staatschef zur Fahndung ausgeschrieben – ein Schritt, der in vielen Ländern der Welt, insbesondere aber auf dem afrikanischen Kontinent, für Unbehagen und auch für Proteste gesorgt hatte. Betroffen war schließlich ein Mann aus dem Süden, Präsident eines Drittweltlandes, einer der insgesamt 118 Underdogs aus der Bewegung der Blockfreien. Warum ermittelte der Chefankläger ausschließlich gegen afrikanische Akteure – und das, obwohl er bereits während der Bush-Kriege in Afghanistan und Irak im Amt und Würden war? wurde gefragt. Die Afrikanische Union erklärte, daß ihre Mitgliedsstaaten nicht mit dem IStGH kooperieren. Das Gericht war bereits wegen des ersten Al-Baschir-Haftbefehls ins Zwielicht geraten – mit dem zweiten nimmt es einen weiteren Imageverlust in Kauf.

Am Dienstag (13. Juli) wiesen natürlich die Regierung in Khartum, aber auch die Arabische Liga den neuerlichen Haftbefehl gegen Al-Baschir zurück. Es handele sich um einen »politischen Entscheid«, wurde erklärt. Tatsächlich wirft das Vorgehen des IStGH als einer von inzwischen 110 Staaten gestützten internationalen Einrichtung zur Verfolgung von Delikten des Völkerstrafrechts manche Fragen auf. Diese stehen auch im Zusammenhang mit der Sache – also dem Bürgerkrieg in der sudanesischen Westprovinz –, aber nicht nur. Es fragt sich zudem, wessen Spiel der Chefankläger betreibt. Auf wen stützt sich »einer der einflußreichsten Juristen der Welt« (FAZ, 18.10.2008), wenn er sich von juristischem Terrain auf ein aktuell-politisch äußerst brisantes Feld begibt?

Moreno-Ocampo, der bis 2003 unter anderem an den US-Universitäten von Yale und Harvard lehrte, argumentierte am Montag erstaunlich unbedacht, unfundiert und gefährlich ahistorisch. Al-Baschir halte zweieinhalb Millionen Flüchtlinge bestimmter ethnischer Gruppen in der westsudanesischen Provinz Darfur in Camps »unter Völkermordzuständen, wie in einem gigantischen Auschwitz« gefangen, so der Chefankläger. Einen ähnlichen Vergleich mit faschistischen Massenvernichtungslagern hatte der Argentinier bereits 2008 bei seinem ersten Versuch gezogen, Al-Baschir »Völkermord« vorzuwerfen. Schon damals stellte er so »implizit die 80 Nichtregierungsorganisationen und 14 UN-Vertretungen, die dort arbeiten (im Darfur), als Komplizen einer planmäßigen Vernichtung« dar, kommentierte jüngst der Autor Jérome Tubiana in le monde diplomatique (7/2010).

Tubiana zeigte zudem auf, daß sich manche Führer der in Darfur agierenden Rebellengruppen auf die Bewertung Moreno-Ocampos beriefen, um Verhandlungen und einen Friedensschluß mit dem »völkermörderischen« Regime in Khartum abzulehnen. Die häufig vom Westen ausgerüsteten oder doch zumindest mit Wohlwollen geduldeten und – bei Verhandlungen beispielweise – gestützten aufständischen Gruppen befanden sich offensichtlich auf einer gedanklichen Ebene mit Chefankläger. »Wenn Al-Baschir angeklagt ist, ist er niemand mehr, mit dem es irgend etwas zu verhandeln gäbe«, hatte Moreno-Ocampos schon vor Monaten gedroht. Damals im Vorfeld der Sudan-Wahlen hatte es lebhafte Versuche gegeben, auch durch internationale Vermittlungen zu einem Friedensschluß zwischen Regierung und Rebellen zu kommen.

Der Vorwurf, daß der Chefankläger –und mit ihm auch der IStGH – als Stichwortgeber für eine Fortsetzung des Bürgerkriegs fungierten, läßt sich auch heute nicht einfach vom Tisch wischen. Daß es seinerzeit trotzdem zu Gesprächen kam, ist zumindest nicht den Juristen in Den Haag zu verdanken. Al-Baschir wurde schließlich – trotz oder gerade wegen des Haftbefehls? – in international zwar im Detail beanstandeten, aber nicht grundsätzlich verworfenen Wahlen in seiner Präsidentschaft bestätigt.

Der neue Haftbefehl erschwert eine Lösung der Konflikte im Sudan erneut. Offensichtlich gibt es Interesse, die Labilität der sudanesischen Verhältnisse zu erhalten. Das geschieht inmitten der Kontroverse um die Zukunft des ostafrikanischen Landes, des größten Flächenstaats auf dem Kontinent. In sechs Monaten, am 9. Januar 2011, soll das historische Referendum durchgeführt werden, bei dem es um die Abspaltung des ölreichen Südens geht – ein Unternehmen, das von allen westlichen Staaten mit Sympathie, Geld und Truppen im Südsudan selbst gefördert wird. Zur Disposition gestellt werden erstmals in der nachkolonialen Geschichte Afrikas bestehende Grenzen. Festgelegt im umfassenden Friedensabkommen von 2005 soll der Frieden auf diesem Weg konsolidiert werden. Er eröffnet dem Westen den Zugriff auf die Rohstoffe des Südens.

** Aus: junge Welt, 15. Juli 2010


Vor Gericht

Von Olaf Standke ***

Es ist schon der zweite Haftbefehl des internationalen Strafgerichtshofes gegen Omar al-Baschir. Dem Verdacht von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit folgte nun der Vorwurf, der sudanesische Präsident sei verantwortlich für Genozid-Verbrechen an den Ethnien der Fur, Masalit und Zagawa in der Konfliktregion Darfur im Westen des Landes. Baschir ist in der siebenjährigen Geschichte des Gerichts der erste amtierende Staatschef, der strafrechtlich verfolgt wird, und zum ersten Mal auch lautet die Anklage Völkermord.

Ob er aber jemals in Den Haag vor seine Richter treten muss, bleibt abzuwarten. Zwar fordern Menschenrechtler, der UN-Sicherheitsrat müsse den Druck auf Khartum jetzt erhöhen. Schließlich lägen ausreichende Beweise »für gezielte und systematische Angriffe auf Zivilisten unter Verletzung des internationalen Rechts« vor. Doch die sudanesische Regierung lehnt eine Auslieferung ab. Sie erkennt den Strafgerichtshof nicht an und nennt den Haftbefehl eine »politische Entscheidung«. Damit steht sie nicht allein. Nicht nur von der Arabischen Liga gab es Kritik, weil so die internationale Hilfe, der Friedensprozess in Darfur und die Volksabstimmung über einen unabhängigen Südsudan erschwert werden könnten. Ohnehin wird das Haager Gericht gerade in der Dritten Welt misstrauisch beäugt, lehnen doch ausgerechnet ständige Mitglieder des Weltsicherheitsratens wie die USA, China und Russland die Ratifizierung seines Gründungsstatuts ab. Wenn am 17. Juli erstmals der Welttag der Internationalen Strafjustiz begangen wird, geht es deshalb auch um die Legitimität und Glaubwürdigkeit ihres wichtigsten Instruments.

*** Aus: Neues Deutschland, 15. Juli 2010 (Kommentar)


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