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Sonderkommission zu Kriegsverbrechen

Sri Lanka will Menschenrechtsverletzungen im Bürgerkrieg untersuchen. Einreise von UN-Gesandten verweigert

Von Thomas Berger *

In Sri Lanka soll künftig eine Sonderkommission Vorwürfen von Kriegsverbrechen und anderen schwerwiegenden Vergehen während der letzten Jahre des beinahe drei Jahrzehnte langen Bürgerkriegs nachgehen. Dies erklärte Ende vergangener Woche Maxwell Paranagama, Leiter der »Präsidialen Kommission zur Untersuchung der Fälle verschwundener Personen«. Zudem soll das neue Gremium mögliche Fälle von Menschenrechtsverletzungen untersuchen, Näheres ist dazu bisher nicht bekannt. Sri Lankas Regierung unter Präsident Mahinda Rajapakse weigert sich allerdings weiterhin, für die Untersuchung eine internationale Kommission des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte ins Land zu lassen.

Im Mai 2009 hatte Sri Lankas Armee in einer finalen Offensive die separatistische Rebellengruppe Befreiungs­tiger von Tamil Eelam (LTTE) militärisch besiegt, die seit ihrer Gründung 1983 für einen eigenen Tamilenstaat im Norden der Inselrepublik gekämpft hatte. Die Opferzahlen waren hoch, die komplette LTTE-Spitze kam ums Leben – einschließlich ihres Anführers Velupillai Prabhakaran. Tausende weitere ehemalige Kader der Truppe und Männer und Frauen, denen eine Verbindung zu den Rebellen unterstellt wurde, gelten nach wie vor als vermißt.

Paranagama und seine Kollegen haben seit der Ernennung der Präsidialen Kommission im August 2013 schon 19471 Beschwerden wegen verschwundener Personen aufgenommen. Darunter sind auch etwa 5000 Fälle, die Angehörige des Militärs betreffen, wie jetzt aus den Reihen der Kommission bekannt wurde. Allein als die Kommission vom 18. bis 21. Januar in der Stadt Kilinochchi weilte, dem ehemaligen Hauptquartier der Rebellenbewegung, sind 380 Vermißtenmeldungen aufgenommen und 150 Zeugen gehört worden. Noch im September sei dort ein weiterer Vororttermin geplant, gab der Kommissionsvorsitzende vergangene Woche bekannt.

Während die einheimischen Vermittler sich darauf berufen, regelmäßig in Kontakt mit dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes und dem Entwicklungshilfeprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) zu stehen, ist Sri Lankas Verhältnis zum UN-Hochkommissariat für Menschenrechte extrem angespannt. Präsident Rajapakse und seine Minister verweigern einer von diesem entsandten Untersuchungskommission die Einreise und kritisieren eine angebliche »Einmischung in die inneren Angelegenheiten Sri Lankas«. Die UN wiederum halten an dem Verdacht fest, daß es spätestens im Zuge der letzten Militäroffensive zu massiven Kriegsverbrechen gekommen sein könnte.

Ein Bündnis aus sechs internationalen Menschenrechtsvereinigungen hat die Regierung nachdrücklich aufgefordert, für effektiven Schutz von Zeugen zu sorgen, die vor den Ermittlungskommissionen aussagen wollen. Jegliche Einschüchterungsversuche müßten unterbunden werden, heißt es in der Anfang vergangener Woche veröffentlichten Erklärung von Amnesty International, Asian Forum for Human Rights and Development (FORUM-ASIA), CIVICUS World Alliance for Citizen Participation, International Commission of Jurists (ICJ), International Movement Against Discrimination and All Form of Racism (IMADR) sowie International Service for Human Rights (ISHR).

Offiziell herrscht schon seit mehr als fünf Jahren Frieden. Das Parteienbündnis Tamilische Nationalallianz (TNA) allerdings, die wichtigste Interessenvertretung der indischstämmigen Minderheit, verdeutlichte erst im August wieder beim Besuch einer TNA-Delegation in Delhi gegenüber indischen Spitzenpolitikern, daß von der seitens der sri-lankischen Regierung versprochenen Dezentralisierung der Macht bisher nichts zu spüren sei. Demonstrativ hatte die TNA auch im Mai das Angebot Rajapakses ausgeschlagen, ihn zur Amtseinführung des neuen indischen Premierministers Narendra Modi zu begleiten. Modi habe beim Treffen mit der TNA-Delegation jetzt einen neuen Dialog zwischen der Tamilenallianz und der Regierung in Colombo angemahnt, berichtete Delegationsleiter M.A. Sumanthiran im Interview mit der Tageszeitung Daily Mirror.

* Aus: junge Welt, Mittwoch 3. September 2014


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