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Sri Lanka vor den Wahlen

Kaum Hoffnung auf ein Ende des Bürgerkriegs

Für den 10. Oktober 2000 wurden Parlamentswahlen in Sri Lanka angesetzt. Der Ausgang der Wahl ist unsicher; sicher scheint jedoch, dass der blutige Bürgerkrieg im Land weitergehen wird. Den folgenden Hintergrundbericht zur Lage in Sri Lanka haben wir der jungen welt entnommen:

Wahlen ohne Hoffnung

Sri Lankas Präsidentin löste Parlament auf und gibt sich siegessicher

Sri Lankas Bevölkerung, seit 17 Jahren vom Krieg erschüttert und geplagt, geht am 10. Oktober zur Wahl - ohne große Hoffnung, daß das Votum dem schrecklichen Blutvergießen ein Ende setzen könnte. Präsidentin Chandrika Kumaratunga löste am vergangenen Freitag das Parlament sechs Tage vor Ablauf der Legislaturperiode vorzeitig auf. Offenbar in der Absicht, der Opposition so wenig wie möglich Zeit zur Vorbereitung auf die Wahlen zu lassen.

42 politische Parteien versuchen, ihre Kandidaten ins Parlament zu bringen. Zwei Hauptthemen werden den Wahlkampf prägen: die Verfassungsreform, mit der ein Friedensprozeß in Gang gesetzt werden sollte, sowie die in den letzten Monaten gestiegenen Lebenshaltungskosten. Die Abwertung der Rupie, erhöhte Steuern und teurer gewordene Waren des täglichen Bedarfs sorgen für kritischen Gesprächsstoff in der Wählerschaft.

Das andere Thema ist der Gesetzentwurf zu einer bedeutsamen Verfassungsreform. Er wurde Anfang August von der regierenden Volksallianz auf unbefristete Zeit »aus dem Verkehr gezogen«, weil er keine parlamentarische Zweidrittelmehrheit fand. Für Präsidentin Chandrika Kumaratunga eine schwere Niederlage. Damit scheiterte das Vorhaben, den ethnisch-sozialen Konflikt, in dem bislang mehr als 60 000 Menschen ums Leben gekommen sind und der Colombo allein in diesem Jahr rund eine Milliarde Dollar kostet, einer Lösung näher zu bringen. Von allen Seiten, aus nahezu allen politischen Lagern hatte es heftigen Widerstand gegen die Initiative gegeben. Tausende Demonstranten, darunter Hunderte buddhistische Mönche, hatten in Colombo mit Schweigemärschen und Sitzstreiks die Zufahrtswege zum Parlament blockiert. Die Oberpriester der vier buddhistischen Sekten warnten, die Reformen wären »dem Land, der Rasse und dem Buddhismus schädlich.« Die Kritik richtete sich gezielt auf das »Friedenspaket«, das Kernstück der Reformen.

Mit veränderten Verwaltungsstrukturen sollten die Provinzen mehr Selbständigkeit erhalten. In diesem Rahmen wäre der tamilischen Bevölkerungsminderheit in ihren hauptsächlichen Siedlungsgebieten im Norden und Osten eine Art Selbstverwaltung gewährt worden. Das hätte nach Auffassung der Regierung wesentlich zur Normalisierung der Lage und zur Beendigung des Krieges beigetragen.

Freilich kam der Protest nicht allein vom buddhistischen Klerus und von den extremen Nationalisten in der singhalesischen Mehrheit, die mit der Reform die Existenz des Einheitsstaates bedroht sahen. Selbst Anhänger der linken Volksbefreiungsfront drohten bei einer Demonstration mit einem Blutbad, wenn der neue Verfassungsentwurf nicht verworfen wird, da er die Teilung des Landes fördert. Obendrein bestand kein Zweifel über die Position der militanten Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE). Sie kämpfen seit 1983 mit Terror, Mord und Totschlag für einen tamilischen Separatstaat und wiesen das »Friedenspaket« nicht überraschend als Ausverkauf tamilischer Interessen zurück.

Die meisten der moderaten tamilischen Parteien zeigten dem Friedenspaket ebenfalls die kalte Schulter. Entscheidend war schließlich, daß die oppositionelle Vereinte Nationalpartei, die lange mit Frau Kumaratunga über die Reformen verhandelt hatte, schließlich auch ablehnte. Selbst innerhalb der Volksallianz gab es Widerstand. Die Präsidentin mußte schließlich akzeptieren, daß sie ihren Reformentwurf nicht durchpeitschen konnte. Am Ende fehlten ihr angeblich 13 Stimmen zur Zweidrittelmehrheit.

Die Sri Lanka Freiheitspartei (SLFP), die die Volksallianz dominiert, orientiert sich inzwischen auf eine möglichst erfolgreiche Wahl. Als erstes veranlaßte Chandrika Kumaratunga ihre Mutter, die Ministerpräsidentin Sirimavo Bandaranaike, ihr Amt aufzugeben. Unter dem noch bestehenden Präsidialsystem, in dem das Staatsoberhaupt die Politik bestimmt und nahezu alle Vollmachten besitzt, hatte die 84jährige, einst charismatische Regierungschefin ohnehin nur zeremoniellen Status. Außerdem litt Südasiens »große alte Dame« an schwerer Arthritis und sitzt deshalb seit Jahren im Rollstuhl. Dreimal, 1960-65, 1970-77 und 1994-2000, war sie Premierministerin Sri Lankas. 1960 zum ersten Mal - und als erste Frau in der Welt - zum Premier gekürt, setzte sie die Politik der SLFP und ihres im September 1959 ermordeten Gatten Solomon Bandaranaike fort: eine Mischung aus singhalesisch-buddhistischem Nationalismus mit sozialdemokratischem Gedankengut. Als engagierte Buddhistin förderte sie diese Religion von staatlicher Seite. Sie erklärte Singhalesisch zur offiziellen Sprache, was für die tamilische Bevölkerungsminderheit eine Diskriminierung bedeutete. Sie ließ Banken, Versicherungen und Plantagen verstaatlichen und eine Landreform durchführen. Außenpolitisch verschaffte sie dem kleinen Land in der Bewegung der paktfreien Staaten Gehör. Einen radikalen Kurswechsel gab es erst, als 1977 Junius Jayawardene von der UNP Regierungschef wurde und einen rigorosen marktwirtschaftlichen Kurs einschlug.

Chandrika Kumaratunga bestimmte nun einen ihrer treuesten Gefolgsleute, den Minister für Inneres und Öffentliche Verwaltung, Ratnagiri Wickremanayake, einen agilen buddhistischen Führer, zum Nachfolger von Sirimavo Bandaranaike. Damit will sie die singhalesischen Wähler beeindrucken und zu einem Votum für die SLFP oder andere Parteien der Volksallianz bewegen. Um den Parteiapparat anzukurbeln und für die Wahlen auf Hochtouren zu bringen, wurde kurz darauf der Minister für Jugend und Sport, S.B. Dissanayake, als neuer Generalsekretär der SLFP eingesetzt. Auch er ist natürlich ein Gefolgsmann von Frau Kumaratunga und verkündete umgehend deren Absicht, nach den Wahlen das neue Parlament in eine Gesetzgebende Versammlung umzuwandeln. Der einzige Grund dafür wäre, die Verfassungsreform brauchte dann nur noch eine einfache parlamentarische Mehrheit. Das letzte Wort würde dann das Volk in einem Referendum sprechen.

Die SLFP gibt sich siegessicher. Woher sie diese Gewißheit nimmt, bleibt unerfindlich. Sollte die UNP, die den buddhistischen Klerus, die ländliche Bevölkerung und große Teile der Singhalesen hinter sich glaubt, gewinnen, dann wäre das Reformpaket endgültig Makulatur. Niemand vermag gegenwärtig zu sagen, ob das Wahlvolk - die nördlichen Gebiete mit über einer Million Tamilen sind wegen des Krieges sowieso von dieser demokratischen Übung ausgeschlossen - die Verfassungsreform überhaupt will. Für Frieden sind die meisten Srilankesen, doch welcher Weg dorthin führt, wissen sie nicht. Die Volksallianz hatte vor sechs Jahren zu Beginn ihrer Amtsperiode Frieden versprochen. Alle Ansätze dazu scheiterten aber. So scheint nicht ausgeschlossen, daß man im Oktober der UNP eine Chance gibt.

Hilmar König, Neu-Delhi

Aus: junge welt, 22. August 2000

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