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Tamilen-Tiger kündigen Waffenruhe

Friedensforscher: Ohne internationale Vermittlung kein Ende des Konflikts in Sri Lanka

Von Stefan Mentschel, Delhi *

Im Schatten des Nahost-Krieges ufert die Gewalt im südasiatischen Sri Lanka aus. Bei Kämpfen und Anschlägen starben in den letzten Tagen Dutzende Rebellen und Regierungssoldaten. Zudem wollen Dänemark und Finnland ihre Vertreter aus der Beobachtermission zurückziehen, die die Einhaltung der nun faktisch außer Kraft gesetzten Waffenruhe überwacht.

Es war einer der schwersten Zwischenfälle seit Jahren. In der Nacht zum Dienstag wurden 18 Soldaten der srilankischen Armee getötet, als ihr Bus im Distrikt Trincomalee auf eine Mine fuhr. Hinter dem Anschlag sollen die Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) stehen, die seit mehr als 20 Jahren für einen unabhängigen Tamilen-Staat im Norden und Osten des Landes kämpfen. Bereits wenigen Stunden zuvor hatte ein Sprecher der Rebellenorganisation den Waffenstillstand mit der Regierung für »nichtig« erklärt. »Wir haben uns entschlossen zurückzuschlagen, wenn das Militär in unser Gebiet vordringt«, sagte der Sprecher gegenüber der Agentur Reuters. In den letzten Tagen hatten sich tamilische Rebellen und Armeeeinheiten heftige Auseinandersetzungen in der Region Trincomalee geliefert. Dabei sollen allein am Montag 67 Menschen, die meisten davon Rebellen, ums Leben gekommen sein.

Dramatisch verschärft haben sich die Spannungen seit Dezember. »Beide Seiten haben wiederholt und massiv gegen das vor vier Jahren in Oslo vereinbarte Waffenstillstandsabkommen verstoßen«, erklärt Jehan Perera, Direktor des Nationalen Friedensrats von Sri Lanka, gegenüber ND. Gefechte und Anschläge haben alleine in diesem Jahr 800 Todesopfer gefordert. Zudem haben nach UNO-Angaben rund 40 000 Menschen aus Angst vor neuen Kämpfen die Flucht ergriffen. Mehrere Anläufe zu Friedensgesprächen zwischen Rebellen und Regierung waren gescheitert – zuletzt Anfang Juni in Oslo. Die LTTE hatte die von norwegischen Vermittlern anberaumten Verhandlungen platzen lassen, nachdem sie kurz zuvor von der Europäischen Union auf die Liste der Terrororganisationen gesetzt worden war.

Dieser Schritt der EU hat nun auch Einfluss auf die Arbeit der Beobachtermission der fünf skandinavischen Staaten, deren Aufgabe die Überwachung der Waffenruhe zwischen den Konfliktparteien ist. Die Befreiungstiger hatten verlangt, dass die Vertreter der drei EU-Staaten – sie stellen 40 der insgesamt 57 Beobachter – ihre Arbeit bis zum 1. September einstellen. Danach könne nicht mehr für ihre Sicherheit im Krisengebiet garantiert werden. Zunächst beugten sich Dänemark und Finnland dem Druck, am Dienstag kündigte auch Schweden den Rückzug seiner Beobachter an. »Das ist nicht gut für die Mission, da es unseren Handlungsspielraum weiter einschränkt«, erklärte deren Sprecher Thorfinnur Omarsson. Norwegen und Island haben bereits erklärt, die entstehende Lücke nicht füllen zu können.

»Durch den Abzug wird die ohnehin schwache Position der Beobachtermission weiter geschwächt«, glaubt auch Friedensforscher Perera. Das eigentliche Problem sei jedoch, dass sowohl LTTE als auch Regierung die im Jahr 2002 getroffenen Vereinbarungen des Waffenstillstandsabkommens nicht mehr anerkennen. Das mache die Arbeit der Beobachter nahezu unmöglich. Vor allem die mangelnde Kompromissbereitschaft der Konfliktparteien ist nach Ansicht Pereras Ursache für die Verschärfung der Situation. »Die schlechte Nachricht ist, dass keine Seite bereit ist, auf die andere zuzugehen. Die gute Nachricht allerdings ist, dass weder LTTE-Chef Prabhakaran noch Präsident Mahinda Rajapakse einen neuen Krieg wollen.« Konkrete Friedenspläne hätten beide allerdings auch nicht. Zudem seien die Fronten derzeit so verhärtet, dass eine Mäßigung ohne die Einflussnahme Dritter aussichtslos scheint, erläutert Perera. »Wenn es keine neue Friedensinitiative der internationalen Gemeinschaft gibt, wird das tägliche Blutvergießen anhalten.«

Wer jedoch neben den unermüdlichen Norwegern eine Vermittlerrolle in Sri Lanka spielen kann, ist offen. Von Befreiungstigern wie Regierung wird Indien immer wieder als Wunschkandidat ins Spiel gebracht. Doch noch hält sich der mächtige Nachbar zurück, schließlich hat man sich Ende der 80er Jahre schon einmal die Finger in dem Konflikt verbrannt.

* Aus: Neues Deutschland, 2. August 2006


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