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Angst unter Sri Lankas Tamilen

Tausende Binnenvertriebene sind spurlos aus den Notlagern verschwunden

Von Hilmar König, Delhi *

Drei Monate nach Ende des Bürgerkriegs in Sri Lanka wird die Liste von Kriegsverbrechen und anderen Menschenrechtsverletzungen immer länger. Jüngste alarmierende Berichte beziehen sich auf das »Verschwinden« von 10 000 tamilischen Inlandsvertriebenen, die in Notlagern untergebracht waren.

Quelle dieser beunruhigenden Information über Tausende »Verschwundene« ist der Regierungsagent des Distrikts Vavuniya, in dem sich auch das größte Flüchtlingslager Menik-Farm befindet. Insgesamt hausen seit dem militärischen Sieg der Armee über die LTTE (Befreiungstiger von Tamil Eelam) im Mai in den als »Wohlfahrtsdörfer« deklarierten, streng bewachten Lagern über 250 000 Angehörige der tamilischen Minderheit. 10 000 von ihnen sollen in den letzten drei Monaten spurlos verschwunden sein. Das schürt unter den Tamilen Angst und Sorge, denn während der fast 25 Jahre dauernden Kriegswirren wurden viele Verschwundene später erschossen aufgefunden.

Die Regierung in Colombo hat auf die jüngsten Berichte aus dem Norden bislang nicht offiziell reagiert. Beamte äußerten vage Vermutungen, die Inlandsvertriebenen wären vielleicht zur medizinischen Behandlung in Krankenhäusern gewesen und von dort nicht zurückgekehrt. Eine andere Version besagt, eventuell hätten sie die Lager nach Bestechung der Wärter verlassen. Kenner zweifeln an solchen Erklärungen, da die Lager nicht nur von Militär und Polizei streng bewacht werden, sondern auch genau registriert wird, wer wann wohin ein Lager verlässt und das ohnehin nicht individuell, sondern nur in von Sicherheitspersonal eskortierten Gruppen.

Menschenrechtsaktivisten befürchten, das massenhafte »Verschwinden« sei Teil der heimlichen Strategie Colombos, unliebsame Angehörige der Minderheit zu eliminieren beziehungsweise mundtot zu machen. Beispiele dafür dringen fast täglich an die Öffentlichkeit.

Mitte August kamen zwei festgenommene Jugendliche auf der Polizeistation von Angulana auf bisher ungeklärte Weise zu Tode. »Es ist die Zeit der Raubmörder«, stellte Dr. Paikiasothy Saravanamuttu, der Direktor des Colomboer Zentrums für Politikalternativen, Stellungnahme fest. Zwei Wochen lang hatte er wegen seiner »dissidentischen Äußerungen« anonyme Todesdrohungen erhalten und war kürzlich auf dem Flughafen der Hauptstadt ohne Begründung von der Terror- Untersuchungsbehörde mehrere Stunden in Gewahrsam genommen worden.

Fünf Ärzte, die in der Kriegszone tätig waren und über ihre Erlebnisse berichtet hatten, wurden wegen »Landesverrats« angeklagt, widerriefen nach wochenlangen Verhören ihre Aussagen und sind jetzt gegen Kaution auf freiem Fuß. Selbst der Parlamentsabgeordnete Sathavisam Kanagaretnam, der der Tamilischen Nationalallianz angehört, sitzt in Untersuchungshaft, weil er im umkämpften Mullaithivu Augenzeuge des Geschehens war. Internationalen Protest löste Anfang September die Verurteilung des tamilischen Journalisten J. S. Tissainayagam zu 20 Jahren verschärftem Freiheitsentzug aus. Tissainayagam habe zur Gewalt aufgerufen, rassistischen Zwist geschürt und damit den Terrorismus unterstützt, lautete die absurde Begründung des Schandurteils.

Die Asiatische Menschenrechtskommission (AHRC) zeigte sich schockiert, aber nicht überrascht von dem Urteil gegen den Pressevertreter, weil der Fall von Anfang an ein politischer war, der der Gesellschaft eine einzige Botschaft übermitteln sollte: dass nämlich unter den gegenwärtigen Verhältnissen »Meinungsfreiheit überhaupt nichts mehr gilt. Das war das wirkliche Ziel des Prozesses.« Die Justiz in Sri Lanka sei tot und die Exekutive könne so manipulieren, dass sie jedes gewünschte Urteil erhält.

In dieses politische Klima passt, dass die Regierung am Sonntag den UNICEF-Sprecher James Elder ohne Begründung aufforderte, bis zum 21. September Sri Lanka zu verlassen. Elder hatte wiederholt die schrecklichen Auswirkungen des Krieges auf Kinder und Jugendliche öffentlich debattiert.

* Aus: Neues Deutschland, 8. September 2009


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