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"Solange die Unterdrückung fortdauert, wird sich Widerstand regen"

Krieg gegen Tamilen auf Sri Lanka: Mit der Vernichtung der Befreiungstiger LTTE kann Colombo die Probleme nicht lösen. Ein Gespräch mit Professor John P. Neelsen *

John P. Neelsen ist Professor am Institut für Soziologie der Universität Tübingen mit dem Schwerpunkt Entwicklungssoziologie, speziell Südasien. Er forscht und publiziert seit Jahren zur Lage der tamilischen Bevölkerung Sri Lankas. Sein jüngster Beitrag dazu erschien in den Blättern für deutsche und internationale Politik (April 2009) unter dem Titel »Sri Lanka: Frieden oder Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln«

Auf Sri Lanka herrscht Krieg. Was muß getan werden, um ihn umgehend zu beenden?

Die Waffen müssen sofort schweigen. Notwendig sind zunächst eine international überwachte Waffenruhe, die umgehende medizinische Versorgung der Verwundeten und Nahrungsmittellieferungen. Dann sollten die Sanktionen des Waren- und Personenverkehrs aufgehoben werden, UN-Personal und Journalisten müssen in die Kampfgebiete einreisen können.

Wie stellt sich die Lage der Tamilen im Norden und Osten des Inselstaates dar?

Derzeit bombardiert srilankisches Militär den schmalen Küstenstreifen im Norden und gefährdet Zehntausende dort festsitzende Zivilisten. Zudem leben in militarisierten provisorischen Flüchtlingslagern etwa 100000 Tamilen. Sie sind von dauerhafter Internierung bedroht, werden verhört ob ihres Verhältnisses zur LTTE (Befreiungstiger von Tamil Eelam) und der »Kollaboration« verdächtigt. In den kürzlich von der Armee eroberten tamilischen Gebieten ist von »Umerziehung« die Rede. Das darf nicht geschehen!

Immer noch verweigert Colombo einen Waffenstillstand. Offensichtlich fühlt sich die Regierung weiterhin stark genug, ihren militärischen Weg fortzusetzen. Welche Möglichkeiten sehen Sie, diese Haltung zu ändern?

Wenige! Denn jenseits der Rhetorik haben international viele Regierungen inklusive potenter Finanzinstitutionen alles getan, um Colombo in seiner militärischen Strategie zu unterstützen. Gleichzeitig wurde versucht, der LTTE und der tamilischen Diaspora das Wasser abzugraben. Dabei hätten gerade die westlichen Staaten mit der EU ein breites Spektrum von Möglichkeiten gehabt, Colombo von seiner unnachgiebigen Haltung abzubringen. Beispiel EU: Mit ihr setzt sich eine der wichtigsten Geldgeberinnen und Handelspartnerinnen Colombos nicht nur über die WTO-Regeln durch die Einräumung eines privilegierten Zugangs für Waren aus Sri Lanka hinweg. Es wird sogar über eine Verlängerung der nach der der Tsunami-Katastrophe von 2004 gewährten erweiterten Präferenz – »GSP plus« – Generalized System of Preferences – verhandelt, die besondere Standards von »Good governance« und Menschenrechten voraussetzt.

Bisher war sowohl aus dem Westen – insbesondere von den USA, der EU und Japan – aber auch von seiten Chinas und Indiens kaum Kritik am Krieg Colombos zu hören. Worauf führen sie dieses Verhalten der sonst häufig nicht nur wortgewaltig Agierenden zurück?

Die gleichförmige Denunzierung sämtlicher Widerstandsbewegungen als »terroristisch« ist heute grundsätzlicher Bestandteil der Politik aller Regierungen. Viele Länder des Südens haben zudem mit Autonomiebewegungen in den eigenen Grenzen zu kämpfen und fürchten vor allem eine imperialistische Intervention im Namen der Menschenrechte. In diesem Zusammenhang ist auf die Ächtung der LTTE als »terroristische Vereinigung« durch die USA, UK, Australien, Kanada und die EU, gefolgt von der strafrechtlichen Bedrohung tamilischer Organisationen in der Diaspora, zu verweisen.

Wenn schon das Los der Palästinenser – die Bombardierung des Open-Air-Gefängnisses Gaza, die Dauerverletzung von Völkerrecht und elementarsten Menschenrechten durch Israel – international nicht nur schweigend hingenommen, sondern von westlichen Regierungen auch noch verteidigt werden, was können dann erst die armen Sri-Lanka-Tamilen hoffen?

Nun argumentieren nicht nur srilankische Regierungsstellen mit Menschenrechtsverletzungen seitens der LTTE: Rekrutierung von Kindersoldaten und Selbstmordattentate, neuerdings Geiselnahme von Zivilisten ...

Das betrifft auch die Berichte der skandinavischen Monitoring Mission, die den von Colombo 2008 ohne nennenswerte internationale Proteste gebrochenen Waffenstillstand von 2002 beobachtete. Aufgrund eines ambivalenten Mandats wurden neunzig Prozent der Waffenstillstandsverletzungen der LTTE angelastet, davon mehrheitlich wegen »Kindersoldaten«. Hier ist nicht der Ort, diese Vorwürfe im einzelnen zu diskutieren. Natürlich wünschte man jedem Jugendlichen wenigstens bis zum 18. Lebensjahr eine friedliche Umwelt und sorglose Zeit zum Lernen und für Zukunftsträume. Wie anders sieht dagegen die Situation in Gaza oder in den tamilischen Gebieten Sri Lankas aus. Nach UN-Berichten sind die Minderjährigen dort durch andauernden Krieg und täglichen Terror einer fremden Macht traumatisiert.

Was erwartet man von tamilischen Jugendlichen, die über Jahre mit angesehen haben, wie Eltern, Geschwister und Freunde durch eine Armee und Sicherheitskräfte, die eine fremde Sprache sprechen, völlig ungestraft »verschwinden«, gefoltert und ermordet werden? Dürfen sie sich nicht wehren, weil sie »Kinder« sind? In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß manchenorts das Wahlalter bei 16 Jahren liegt. Und nach einer Expertise des Humanitarian Law Project, USA, einer beim UN-Menschenrechtsrat akkreditierten Nichtregierungsorganisation, liegt das Mindestalter für Kombattanten nach der Genfer Konvention und dem Internationalen Strafgerichtshofs bei 15.

Zudem existiert ein unübersehbarer Mangel an authentischen Informationen aus den tamilischen Gebieten. Die Berichterstattung über den seit 26 Jahren dauernden Krieg wird schärfstens zensiert, so mancher unliebsame Journalist wurde ermordet. Mit der Zahl dieser Verbrechen steht Sri Lanka nach Irak und Somalia an dritter Stelle in der Welt. Welche Waffen haben die Opfer, um der übrigen Bevölkerung klarzumachen, daß der Krieg in deren Namen geführt wird, daß gerade deren Schweigen das Morden und die massiven Menschenrechtsverletzungen an ihren Mitbürgern im Nordosten erst ermöglicht?

Erklärtes Ziel Colombos ist es, die LTTE zu vernichten und ihren Chef Velupillai Prabhakaran gefangenzunehmen. Für wie realistisch halten Sie dies?

Mag sein, daß die LTTE als schlagkräftige militärische Organisation niedergerungen und Prabhakaran gefangengenommen wird – man erinnere sich an die Spaltung der LTTE im Gefolge des Überlaufens Karunas sowie die gezielte Tötung Thamilselvans, des außenpolitischen Sprechers und Verhandlungsführers der LTTE. Kann sein, daß die LTTE zum Status und zur Strategie einer Guerilla im Dschungel zurückkehrt.

Doch das ist nur die Erscheinungsebene: Die LTTE – neben ursprünglich mehreren anderen militanten Befreiungsbewegungen – ist letztlich doch nur der militärische Arm einer seit Jahrzehnten diskriminierten, immer wieder getäuschten Nation. Für ihren Kampf um das externe Selbstbestimmungsrecht hatte sie eine demokratische Legimitation. Solange die Unterdrückung fortdauert, wird sich Widerstand dagegen regen. Der zunehmend rassistische Charakter von Politik und Gesellschaft Sri Lankas lassen das Schlimmste befürchten.

Interview: Gerd Schumann

* Aus: junge Welt, 4. Mai 2009


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