Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Wo hält sich der Chef der Tiger auf?

Lage der tamilischen Rebellen in Sri Lanka hat sich dramatisch verschlechtert

Von Hilmar König, Delhi *

Die Lage der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) hat sich mit dem Verlust der Garnisonsstadt Mullaitivu dramatisch verschlechtert. Am Sonntag hatten die Regierungsstreitkräfte den Ort im Norden Sri Lankas nach heftigen Gefechten eingenommen.

Sri Lankas Armeechef Generalleutnant Sarath Fonseka verkündete im Fernsehen: »Wir haben Mullaitivu vollständig erobert.« Ein Jahr nach dem Rückzug der Regierung aus den von Norwegen geführten Friedensgesprächen zwischen Sri Lankas Behörden und den tamilischen Rebellen seien »95 Prozent der Arbeit« vollbracht, einen der am längsten wütenden Bürgerkriege Asiens zum Schweigen zu bringen. Der Krieg forderte seit 1983 rund 70 000 Menschenleben. Die Rebellenorganisation LTTE hielt die Garnisonsstadt Mullaitivu zwölf Jahre lang. Sie liegt auf einem Landstreifen zwischen der Nanthikandal-Lagune und dem Indischen Ozean.

Drei Wochen zuvor hatte die Regierungsarmee Kilinochchi eingenommen, das politische Zentrum der Rebellen, die kurz danach auch den strategisch wichtigen Elefanten-Pass räumen mussten. Bei den Gefechten wurden laut der Website Tamilnet auch zahlreiche Zivilisten getötet. In der Kriegszone sollen sich etwa 200 000 Menschen aufhalten, viele davon auf der Flucht. Deren Lebensbedingungen sind nach Einschätzung internationaler Organisationen katastrophal.

Der Verlust Mullaitivus hat das Operationsfeld der Tamiltiger laut Regierungsangaben auf ein 300 Quadratkilometer großes Areal beschränkt. Dass die Soldaten zwar fünf Rollpisten im einstigen LTTE-Gebiet gefunden haben, jedoch keines der von den Tigern benutzten Leichtflugzeuge, gibt wilden Gerüchten Nahrung. So heißt es, Tigerchef Velupillai Prabhakaran (Foto. AFP) habe sich bereits auf dem See- oder Luftweg ins Ausland abgesetzt.

Verdacht erregt, dass Malaysias Polizeigeneralinspektor Musa Hassan inzwischen versicherte, mit Sri Lanka, Indien und Interpol kooperieren zu wollen, um herauszufinden, wo sich Prabhakaran aufhält. Spekuliert wird, er könne nach Malaysia oder Thailand geflüchtet sein. In Colombo hingegen versicherte Minister Douglas Devananda, Prabhakaran könne nicht entkommen, er stehe mit dem Rücken zur Wand und rette sich von einem Bunker in den anderen. Über kurz oder lang werde man ihn fassen. Aber auch das steht in Frage, denn alle LTTE-Kader tragen eine Giftkapsel bei sich. Die Order lautet: Freitod vor Festnahme. Außerdem soll Prabhakaran seine Leibwächter angewiesen haben, ihn bei überraschender Gefangennahme sofort zu erschießen.

Im Schatten des Krieges, der unter Ausschluss der Medien abläuft, tobt eine andere »Schlacht«. Deren Opfer sind immer mehr srilankische Journalisten. Am Freitag voriger Woche war der Herausgeber der Wochenzeitung »Rivira«, Upali Tennakoon, auf dem Weg ins Büro von Unbekannten angegriffen und niedergestochen worden. Bereits am 8. Januar war der Chefredakteur des »Sunday Leader« ermordet worden. Er hatte in einem testamentarischen Brief geschrieben, dass er wegen seiner regierungskritischen Berichterstattung seit langem auf der »Abschussliste« der Behörden stehe.

Bei einem anderen Überfall im Januar wurde eine Fernsehstation gebrandschatzt, weil sie sich »unpatriotisch« verhalten haben soll und eine eigene Meinung zum ethnisch-sozialen Konflikt auf Sri Lanka äußerte. Auffällig ist, dass stets private Medien angegriffen wurden, niemals staatliche. Seit Anfang Januar haben acht prominente Journalisten völlig verunsichert Sri Lanka verlassen. Die Colomboer Zeitung »Island« schrieb dazu am Sonnabend: »Journalismus ist wohl zum gefährlichsten Beruf in diesem Land geworden.« Berichterstatter zu sein, wäre riskanter, als Soldat zu sein, denn der Soldat wisse, wo der Feind steht. Hingegen wisse ein Journalist nie, »aus welcher Ecke die kalte Hand des Todes ihn packen wird«.

Nach Regierungsangaben wurden in drei Jahren neun Journalisten umgebracht und 27 angegriffen. Menschenrechtsaktivisten sprechen von mehr als einem Dutzend getöteter Journalisten. Präsident Mahinda Rajapakse beteuerte zwar, Pressefreiheit zu gewährleisten und die Verbrecher fassen zu lassen, doch noch wurde kein einziger dieser Fälle aufgeklärt.

* Aus: Neues Deutschland, 27. Januar 2009


Hunderte Tamilen getötet

Sri Lanka: Ungezählte Zivilopfer bei Angriffen der Armee im Norden

Von Raoul Wilsterer **


Schwere Armeeangriffe auf tamilische Gebiete im Norden Sri Lankas forderten nach Agentur­angaben in den vergangenen Tagen Hunderte Opfer. Insbesondere wurde eine von der Regierung eingerichtete »Sicherheitszone« nahe der Stadt Mullaittivu mit Artilleriegranaten beschossen, wie ein Mitarbeiter der Gesundheitsbehörden am Dienstag erklärte. Dabei seien viele Tamilen ums Leben gekommen und mehr als 300 verletzt worden. Die tamilische Website TamilNet berichtete von über 300 Toten in dem 35 Quadratkilometer großen Gebiet.

Genau verifizieren lassen sich die Opferzahlen in Folge der Terrorattacken von Colombos Armee nicht: Der gesamte Norden wurde mit dem Beginn der Militäroffensive vor einem Jahr für internationale Hilfsorganisationen, Politiker und Journalisten weitgehend abgesperrt. Bekannt ist, daß die Armee Colombos im Kampf gegen die tamilische Befreiungsbewegung LTTE (Befreiungstiger von Tamil Eelam) nicht vor Angriffen auf Flüchtlinge oder andere Zivilbevölkerung sowie zivile Einrichtungen zurückschreckte. So behauptete Militärsprecher Udaya Nanayakkara am Dienstag zwar erneut, Zivilisten seien kein Angriffsziel, doch begründete er zugleich, warum auch Nichtmitglieder der Guerilla getötet werden: Zivilpersonen würden sich »unter die Rebellen mischen«.

Umso erbärmlicher wirkte der Appell von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Der höchste Funktionär der Vereinten Nationen wandte sich am Montag in New York wieder einmal gleichgewichtig »an beide Seiten«, sie sollten »bei den Kampfhandlungen« doch vorrangig »die Sicherheit und das Wohlergehen der Zivilisten« im Blick zu haben. Daß Colombo im Januar 2008 den zwar brüchigen, aber doch noch existenten Waffenstillstand von 2002 einseitig aufkündigte, eine »vollständige Vernichtung« der LTTE propagierte und damit zwangsläufig das Leiden der Bevölkerung mindestens billigend in Kauf nahm, ließ der Repräsentant der Weltorganisation unbeachtet -- und erleichtert damit absehbar ein weiteres ungehemmtes Vorgehen der srilankischen Truppen.

Die vom Westen hochgerüstete Armee Colombos ist der Guerilla technisch um ein Vielfaches überlegen. Sie hinterließ auf ihrem monatelangen Vormarsch in die seit Jahren unter LTTE-Kontrolle befindlichen Gebiete eine Trümmerlandschaft.

** Aus: junge Welt, 28. Januar 2009


Zurück zur Seite Sri Lanka

Zurück zur Homepage