Nur Kriegsrhetorik im Wahlkampf - oder Vorboten neuer Kämpfe?
Sri Lanka: Die Regierung in Colombo könnte sich erneut für eine militärische "Lösung" entscheiden
Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel des Südasien-Korrespondenten Hilmar König, die beide am 22. September in zwei verschiedenen Zeitungen erschienen sind.
Ein Schritt zurück zum Krieg
Von Hilmar König*
Regierung in Colombo könnte erneut für eine militärische Lösung des ethnisch-sozialen Konflikts in Sri Lanka optieren. Scharfe Töne im Wahlkampf
Mit der Sorge, »Kriegsrhetorik« könne den Wahlkampf in Sri Lanka dominieren, meldeten sich am Dienstag die Geberländer USA, Großbritannien, Japan, Norwegen sowie die EU zu Wort. Sie tagten in New York, um die Situation nach der Ermordung von Außenminister Lakshman Kadirgamar zu erörtern, und appellierten an die Regierung in Colombo und an die tamilischen Befreiungstiger (LTTE), »verantwortungsbewußt die Einhaltung des Waffenstillstands zu gewährleisten«. Der Hauptteil ihrer Kritik geht allerdings an die Adresse der LTTE, die aufgefordert wurde, »sofort politische Morde und die Rekrutierung von Kindersoldaten« einzustellen sowie konstruktiv für die geplante nächste Gesprächrunde mit Regierungsvertretern zu wirken.
Die Sorge der Geberländer, daß Sri Lanka wieder den Weg zum Krieg einschlagen könnte, ist berechtigt. Denn Premier Mahinda Rajapakse wiederholte am Dienstag in Colombo auf einer Kundgebung zur Präsidentenwahl am 17. November, bei der er für die Sri-Lanka-Freiheitspartei kandidiert, all jene Punkte, die eine radikale Wende signalisieren: Bewahrung des zentral gelenkten Einheitsstaates (im Gegensatz zu bundesstaatlichen Strukturen, wie sie Staatspräsidentin Chandrika Kumaratunga bislang ins Auge faßte), Neufassung des Waffenstillstandsabkommens mit der LTTE, keine Aktivierung der Vereinbarung über die Hilfe für Tsunami-Opfer im Norden und Osten, Prüfung der Rolle Norwegens als Vermittler im ethnisch-sozialen Konflikt sowie Abschaffung des Präsidialsystems, in dem das Staatsoberhaupt und nicht der Premier den Ton angibt.
Um seine Chancen bei der Präsidentenwahl zu erhöhen, schloß Rajapakse Abkommen mit der maoistischen, singhalesisch-chauvinistischen Volksbefreiungsfront (JVP) und mit der politischen Partei der buddhistischen Mönche, Jathika Hela Urumaya (JHU). Er stimmte all ihren Forderungen zu und nahm ein Zerwürfnis mit SLFP-Parteichefin Chandrika Kumaratunga in Kauf. Sie bezeichnete die Wahlabsprachen als verfassungswidrig und unvereinbar mit traditionellen politischen Prinzipien der Partei. Der Premier hingegen behauptete, die Vereinbarungen zielten auf »Sicherung des Friedens, auf Prosperität aller Bürger und auf Entwicklung des Landes.« Von der LTTE war nicht zu erwarten, daß sie den von Rajapakse vorgezeichneten Kurs gutheißen würde. »Er macht alle Bemühungen der letzten dreieinhalb Jahre zunichte, Vertrauen aufzubauen«, bemerkte S.P. Tamilselvan, der Leiter der politischen Abteilung der LTTE, dazu kurz und knapp. Nun ist damit zu rechnen, daß der militärische Flügel der Rebellen sich auf alle Eventualitäten vorbereitet. Die anvisierten Gespräche mit der Regierung über die Wiederaufnahme des Friedensdialogs und Fragen des Waffenstillstands, für die sich die norwegischen Vermittler engagieren, haben kaum noch Chancen, vor den Präsidentenwahlen über die Bühne zu gehen. Das würde auch wenig Sinn machen, wenn nach dem Amtswechsel ohnehin schärfere Konfrontation droht.
Spannend wird sein, ob die Wähler den Rajapakse-Kurs honorieren oder zum Gegenkandidaten, dem Chef der Vereinten Nationalpartei und früheren Präsidenten, Ranil Wickremasinghe, tendieren. Er hatte den Waffenstillstand mit den Befreiungstigern zustande gebracht, was im Volk weithin Anklang fand. Er plädiert für bundesstaatliche Verwaltungsstrukturen, in deren Rahmen die tamilische Minderheit ein Maß an Selbstbestimmung erhalten würde.
* Aus: junge Welt, 22. September 2005
Tauziehen ums Präsidentenamt
Sri Lankas Premier schmiedet im Wahlkampf eigenwillige Allianzen
Von Hilmar König, Delhi*
Nach Bekanntgabe des Termins für die Präsidentschaftswahlen hat in Sri Lanka der Wahlkampf
begonnen. Dabei versucht sich der gegenwärtige Regierungschef Rajapakse zum Verdruss von
Präsidentin Kumaratunga als Hardliner zu profilieren.
In Sri Lanka begann am Dienstag [20.09.2005] mit einer Kundgebung von Premier Mahinda Rajapakse die
Kampagne zu der für den 17. November angesetzten Präsidentenwahl. Rajapakse ist der Kandidat
der regierenden Sri-Lanka-Freiheitspartei (SLFP). Doch durch seine eigenwilligen Bündnisse mit der
maoistischen Volksbefreiungsfront (JVP) und der buddhistischen Mönchspartei Jathika Hela
Urumaya hat er sich den Unwillen von Staatspräsidentin und SLFP-Chefin Chandrika Kumaratunga
zugezogen, die selbst nicht noch einmal kandidieren darf. Die Zugeständnisse, die Rajapakse
beiden Parteien machte, bedeuten nach Einschätzung des Staatsoberhaupts eine Absage an die
traditionellen Prinzipien der SLFP. Besonders schwer wiegt jedoch, dass Frau Kumaratunga vorab
nicht informiert worden war.
Zu den auf der Kundgebung am Dienstag bekräftigten Kernpunkten von Rajapakses Programm
gehört die Bewahrung des zentral gelenkten Einheitsstaates, während die Präsidentin
bundesstaatliche Strukturen favorisiert. Der Premier will zudem das Waffenstillstandsabkommen mit
den tamilischen Befreiungstigern (LTTE) neu verhandeln und lehnt die vereinbarte Hilfe für Tsunami-
Opfer im tamilischen Norden und Osten des Landes ab. Außerdem denkt er laut über die Rolle
Norwegens als Vermittler in dem seit Jahrzehnten anhaltenden Konflikt zwischen Regierung und
LTTE nach.
Diese Punkte entsprechen den Positionen von JVP und Mönchspartei. Offenbar hat reines
Machtstreben den SLFP-Kandidaten zu einer so fundamentalen Abkehr von der Grundlinie seiner
Partei getrieben. Die Reaktion der LTTE auf diesen neuen Kurs war unmissverständlich: »Er macht
alle Bemühungen der letzten dreieinhalb Jahre zunichte, Vertrauen aufzubauen«, äußerte S.P.
Tamilselvan, der Leiter der politischen Abteilung der LTTE.
Politische Beobachter in Colombo befürchten, die Wahlbündnisse könnten eine Wende zurück zum
Krieg bringen. JVP-Chef Somawansa Amarasinghe kommentierte diese Sorgen mit der Bemerkung:
»Einige Leute meinen, wir wollen Krieg. Wir mögen Krieg nicht, aber wir fürchten uns auch nicht
davor. Man kann keinen Frieden erreichen, wenn man Angst hat.« Auch die Rajapakse-Fraktion in
der SLFP scheint keine Gefahr in einer Rückkehr zum Krieg zu sehen. Vielmehr behauptet sie,
»unvoreingenommen nach einer Konfliktlösung zu suchen«.
Der Politikwissenschaftler Jayadeva Uyangoda von der Universität Colombo verweist in dieser
Situation auf vier Strömungen im politischen Establishment. Die erste, die die LTTE als
»terroristisch« brandmarkt, plädiert ausschließlich für eine militärische Lösung des ethnisch-sozialen
Konflikts. Die zweite schließt Verhandlungen mit den Befreiungstigern aus einer Position
militärischer und politischer Stärke nicht aus. Die dritte knüpft Verhandlungen an die Bedingung
klarer Beweise der LTTE, dass sie sich demokratisiert und reformiert. Und die letzte glaubt, eine
dauerhafte Lösung des Konflikts könne nur erreicht werden, wenn beide Seiten Vertrauen durch
Dialog schaffen. Das Ergebnis der Präsidentenwahl wird maßgeblich beeinflussen, welche Strömung
die Oberhand gewinnt.
Der ehemalige Präsident Ranil Wickremasinghe (Vereinten Nationalpartei) ist der
Oppositionskandidat für das Präsidentenamt. Er will den unterbrochenen Dialog mit den tamilischen
Rebellen wieder aufnehmen und befürwortet eine föderale Verwaltungsstruktur für Sri Lanka mit
einer gewissen Autonomie für die Tamilengebiete. In seiner Amtszeit war im Jahr 2002 das
Waffenstillstandsabkommen geschlossen worden.
Unterdessen hält das Tauziehen um den Ort an, an dem sich Vertreter der Regierung und der
Befreiungstiger zu Gesprächen über Einzelheiten des Waffenstillstands treffen wollen. Colombo will
ein Treffen auf dem Boden Sri Lankas, die Befreiungstiger bestehen auf Verhandlungen im Ausland.
Sie lehnten den Kompromissvorschlag Norwegens ab, die Beratungen auf dem Internationalen
Flughafen der Hauptstadt zu organisieren. Wegen des anhaltenden Streits und des nahenden
Wahltermins wird es immer unwahrscheinlicher, dass Gespräche noch vor einem
Präsidentenwechsel stattfinden werden.
* Aus: Neues Deutschland, 22. September 2005
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