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Doppelbödig

Sri Lankas Regierung verurteilt westgesponserte Unabhängigkeitserklärung des Kosovo und verschärft Krieg gegen Tamilen

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Die einseitige Unabhängigkeitserklärung der serbischen Provinz Kosovo schlägt Wellen bis nach Sri Lanka. Aktuell führt sie zu einer weiteren Verschärfung der srilankischen Armeeoffensive gegen die tamilischen Gebiete der Insel. Am Mittwoch verstärkte Colombos Militär seine Angriffe gegen Stellungen der tamilischen »Befreiungstiger von Tamil Eeelam« (LTTE) im Norden. Dort kommen seit der einseitigen Aufkündigung des Waffenstillstands durch Colombo Anfang Januar täglich Dutzende Menschen an und zwischen den Fronten ums Leben. Erst am Dienstag hatte die Armee dem Krankenhaus Mannaar durch die Polizei die Leichen von vier Frauen und drei Männern übergeben lassen. Bei den Toten soll es sich nach Armeeangaben um LTTE-Rebellen handeln, die bei schweren Kämpfen an drei Fronten in Mannaar getötet wurden. Das meldete die tamilische Agentur tamilnet.com am Dienstag.

Während sie ihre militärische Aggression steigerte, brandmarkte die Regierung in Colombo zugleich die einseitige Unabhängigkeitserklärung Kosovos. Mit der Kosovo-Abspaltung von Serbien werde die UN-Charta verletzt, die die Souveränität und territoriale Integrität von Mitgliedsstaaten enthält. Die Proklamation der Unabhängigkeit stelle einen schlimmen Präzedenzfall mit unabsehbaren Folgen für die Gestaltung internationaler Beziehungen und die etablierte globale Ordnung souveräner Staaten dar und könne zu einer schweren Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit werden. So die Erklärung des srilankische Außenministeriums. Diese steht zwar im Widerspruch zur Haltung befreundeter westlicher Mächte mit den USA an der Spitze, ändert jedoch nichts daran, daß vor allem die USA den singhalesischen Kurs, das »Tamilenproblem« militärisch zu lösen, weiterhin mittragen.

Colombo handelt aus Eigeninteresse: Schließlich könnte die LTTE den Kosovo argumentativ als Beispiel für die Berechtigung eigener Bestrebungen nach einer Unabhängigkeit von Colombo nutzen. Das geschah bisher nicht. Seitens der Befreiungsbewegung gab es bis Mittwoch keine Erklärung zu Kosovo. Das mag unter anderem an der Schwierigkeit liegen, die Situationen im von der NATO zerschlagenen ehemaligen Jugoslawien mit der Lage in Sri Lanka generell zu vergleichen. Ebensolches gilt speziell für Charakter und Geschichte der maßgeblich von den USA gesponserten kosovo-albanischen Terrororganisation UCK und der vom Westen geächteten LTTE. Die Kosovo-Entscheidung des Westens offenbart erneut die doppelbödige, von eigenen Machtinteressen bestimmte NATO-Politik: Den Tamilen wird das Recht auf Selbstbestimmung verwehrt, die Unabhängigkeit der Kosovo-Albaner begrüßt.

Vor diesem Hintergrund wird es Angela Kane, die assistierende UNO-Generalsekretärin für politische Angelegenheiten, die sich derzeit zu Konsultationen über die Tamilenfrage in Sri Lanka aufhält, schwer haben, irgendwelche konstruktiven Ergebnisse zu errreichen. Colombo, verärgert über das neuerliche Versagen der UNO, wie es sich in der Kosovo-Frage offenbart, wird allen Anregungen in Richtung einer politischen Lösung des ethnisch-sozialen Konflikts die kalte Schulter zeigen.

Ebenso wenig wird sich Colombo von seinem Plan abbringen lassen, am 10. März im Osten des Landes, den die Streitkräfte im vorigen Jahr nahezu vollständig von der LTTE eroberten, Wahlen durchzuführen, obwohl die Bedingungen dafür angesichts von Hunderttausenden Flüchtlingen mehr als zweifelhaft sind. Die einseitig von führenden Kosovo-Albanern verfügte, westgesponserte Unabhängigkeit kann für Sri Lanka nur bedeuten, daß der Krieg noch erbitterter geführt wird.

* Aus: junge Welt, 21. Februar 2008


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