"Raus aus Colombo!"
Mit dem Ende des offenen Krieges zieht in Sri Lanka kein Frieden ein
Von Carla Lee, Colombo *
Der 25-jährige Bürgerkrieg in Sri Lanka wurde diese Woche offiziell für
beendet erklärt. Die Hoffnung auf eine wirkliche Versöhnung zwischen
singhalesischer Mehrheit und tamilischer Minderheit ist jedoch gering,
denn auch außerhalb des Kampfgebietes wurden Tamilen auf der Insel
bisher verfolgt und diskriminiert.
»Ich bin meines Lebens nicht mehr sicher. Sie werden mich töten, wenn
ich nicht tue, was sie von mir verlangen«, schluchzt der 30-jährige
Lackshman (Name geändert), ein Tamile mit Universitätsabschluss. Den
ganzen Körper voller Foltermale, ist er froh, dass ihn seine Entführer
am Leben gelassen haben. Viele seiner Schicksalsgefährten werden nie
mehr nach Hause zurückkehren. Und auch er ist gewarnt. Er müsse die
srilankische Hauptstadt »innerhalb von Tagen« verlassen, hat man ihn
gewarnt.
Nach Colombo war Lackshman im Jahre 2005 gekommen. Damals hatte er
Jaffna verlassen, die Halbinsel an der Nordspitze Sri Lankas. Viele
seiner Freunde waren dort von Unbekannten erschossen worden. Seitdem
arbeitet er in Colombo in einem Laden, der mit einer tamilischen Partei
verbunden war, die paramilitärische Kräfte unterhält. Im April 2008 von
der Polizei verhaftet, wurde Lackshman ohne Anklage zwei Monate lang
festgehalten, mehrfach misshandelt, schließlich jedoch auf freien Fuß
gesetzt. Die Polizei warnte ihn: »Du kannst uns nicht entkommen. Wir
wissen, wo du arbeitest. Wir werden dich beobachten.«
Lackshmans Leidensweg war damit nicht zu Ende. Der Brief einer
unbekannten Gruppe, der ihn trotz Wohnungswechsels erreichte, enthielt
eine unmissverständliche Drohung: »Warum bist du nach Colombo gekommen?
Verschwinde! Oder du wirst bestraft.« Die Gruppe behauptete, sich um
»Verräter« zu kümmern. Aber Lackshman nahm die Drohung zunächst nicht
ernst -- bis er Ende vergangenen Jahres einen zweiten Brief erhielt.
Diesmal setzte man ihm eine letzte Frist für das Verlassen Colombos.
»Eines Tages im Februar kam ich gegen 21 Uhr vom Abendessen. Einige
STF-Beamte (Spezialkräfte der Polizei) riefen mich zu sich, stießen mich
in einen Wagen und stülpten mir eine Maske übers Gesicht.« Lackshman
wurden zehn Stunden lang umhergefahren, zweimal musste er das Auto
wechseln. Beim zweiten Mal übergab man ihn Leuten, die perfekt Tamilisch
sprachen. Wohl werden in Sri Lanka zwei Sprachen gesprochen, doch nur
wenige Einwohner beherrschen beide - Singhalesisch und Tamilisch. Die
meisten sprechen ausschließlich ihre Muttersprache.
Der Entführte wurde mit Elektroschocks gefoltert, sein Körper überzog
sich mit brennenden Narben. »Ich flehte sie an, mir noch eine Chance zu
geben.« Schließlich fuhren die Entführer ihr Opfer in einem Wagen in
einen Außenbezirk Colombos und setzten ihn dort aus. Es war früh am
Morgen, die Stadt lag noch im Dunkel. Lackshman hatte überlebt, doch
Colombo sollte er unter Androhung schwerer Strafe verlassen.
Freie Fahrt nur für den »Weißen Van«
An keiner der zahlreichen Straßensperren wurde das Fahrzeug -- ein weißer
Van -- der Entführer gestoppt. Die »Entführungseinheit«, offensichtlich
aus Polizisten und tamilischen Paramilitärs bestehend, konnte sich frei
bewegen. »Wir nennen das 'systematische Entführungen zur Eliminierung
von Tamilen'«, erklärt der unabhängige tamilische Parlamentsabgeordnete
Mano Ganeshan. »Wie Sie sehen, sind überall Straßenkontrollen. Aber nie
hat jemand gehört, dass irgendein 'Weißer Van' angehalten oder ein
Entführer verhaftet worden wäre. Muss man da nicht annehmen, dass diese
Entführungen mit dem Einverständnis der Behörden geschehen?« Ganeshan
gibt sich unerschrocken - trotz der unablässigen Drohungen
unterschiedlichster Gruppen. Sein Freund Nadaraja Raviraj, Abgeordneter
für Jaffna, wurde ermordet, nachdem das Abgeordneten-Duo vor zwei Jahren
eine Bürgerkommission zur Beobachtung der Entführungen gegründet hatte.
»Es ist allgemein bekannt, wer die Entführer sind. Gerade das aber flößt
potenziellen Zeugen Furcht ein, was wiederum ein Grund dafür ist, dass
keiner dieser Fälle gelöst wurde. Das ist offensichtlich. Aber wenn man
es ausspricht, wird man bedroht«, sagt Lal Wikrematunga, Chef der
Wochenzeitung »Sunday Leader«.
Aus Angst werden viele Fälle nicht gemeldet
Laut Human Rights Watch wurden zwischen 2005 und 2007 mehr als 1500
Menschen als vermisst gemeldet. »Viele Fälle werden nicht gemeldet - aus
Angst vor Repressalien«, heißt es. Die Schätzungen der Bürgerkommission
gegen Entführungen liegen deshalb weit höher. Sie besagen, dass nur in
Colombo und Vororten über 400 Menschen vermisst wurden, seit die
Regierung unter Präsident Mahinda Rajapakse im November 2005 ihr Amt
übernahm. Vornehmlich im Norden und Osten seien im gleichen Zeitraum
4000 Menschen entführt worden, die große Mehrzahl waren Tamilen.
»Während des Friedensprozesses bis 2005 war den Befreiungstigern von
Tamil Eelam (LTTE) erlaubt worden, Büros in Gebieten unter
Regierungskontrolle einzurichten. Die Guerillagruppe sollte sich in eine
demokratische politische Partei umwandeln. Diese Büros organisierten
verschiedene Veranstaltungen, was von der damaligen Regierung und der
internationalen Gemeinschaft unterstützt wurde. Die Veranstaltungen
wurden gefilmt oder mitgeschnitten. Wir haben inzwischen festgestellt,
dass viele Teilnehmer solcher Veranstaltungen verschwunden sind«,
berichtet der Abgeordnete Mano Ganeshan.
Auch Lackshman hatte »gestanden«, dass er »gezwungen« worden sei, im
Jahre 2002 an einem Programm der LTTE teilzunehmen. Gemeinsam mit 50
weiteren Teilnehmern war er auf dem Weg ins damalige Kernland der LTTE
am Kontrollpunkt Huhamalai von der Armee fotografiert worden. er hatte
jedoch passieren dürfen.
Als sich die Gewalt nach 2005 wieder ausbreitete, wurden die LTTE-Büros
geschlossen. Die Teilnehmer der Veranstaltungen blieben jedoch zum
größten Teil in den von der Regierung kontrollierten Gebieten. Einige
zogen nach Colombo, um der Gewalt zu entkommen und Arbeit zu suchen.
Aber Colombo ist keine »sichere Zone«, schon gar nicht für Tamilen.
Unter dem Vorwand, eine Infiltration der LTTE zu verhindern, zwang die
Regierung alle Tamilen in Colombo -- egal wie lange sie dort schon
ansässig waren --, sich bei der Polizei zu melden und die Nummern ihrer
Bankkonten preiszugeben. In einem Meldepapier, das an Straßensperren
oder bei Razzien vorzuweisen war, wurden die »Gründe für den
Aufenthalt«, die »beabsichtigte Aufenthaltsdauer« und andere
Informationen vermerkt. Anzunehmen ist, dass diese Angaben auch den
»Entführungseinheiten« zur Verfügung stehen, die daher wissen, wo sich
ihre Opfer aufhalten. Ebenso wird angenommen, dass die Entführer die
Informationen benutzen, um von tamilischen Geschäftsleuten Lösegeld zu
erpressen.
Nirgends können Tamilen sicher sein
»Ich hatte große Angst, als Sicherheitskräfte unser Haus durchsuchten.
Ich verstehe kein Singhalesisch, wie es die Polizisten sprechen. Mit mir
zusammen leben nur meine drei Töchter. Mein Mann, Busfahrer von Beruf,
wird seit dem 10. Januar 2007 vermisst. Nachbarn haben beobachtet, wie
er damals in der Nähe unseres Hauses von Beamten ergriffen wurde.« Eine
Tamilin erzählt dies in einem Außenbezirk Colombos. Sie stillt ihr zwei
Jahre altes Mädchen, das geboren wurde, nachdem ihr Vater verschwunden war.
Ob im Norden oder in den für »sicher« erklärten Gebieten, ob in den mit
Stacheldraht umzäunten Flüchtlingslagern, den von Paramilitärs unsicher
gemachten östlichen Provinzen oder in Colombo - nirgends scheint sich
die tamilische Minderheit unter menschenwürdigen Bedingungen
niederlassen zu können.
Das zeigt auch der Fall des 25-jährigen Sampanthan (Name geändert), der
Anfang 2008 von der Polizei in Petta, einem Bezirk von Colombo,
verhaftet wurde. Bei einer Routine-Kontrolle hatte er seinen Pass nicht
vorweisen können. Die Polizei hielt ihn drei Monate lang ohne Anklage in
Haft. Nachdem seine Familie alle Dokumente einschließlich des Passes
vorgelegt hatte, wurde er entlassen. Doch den Pass erhielt er nicht
zurück. »Mein Bruder ging zwei Mal vergeblich zur Polizeistation, um
nach dem Pass zu fragen. Also beantragte er einen neuen. Nur wenige
Minuten, nachdem wir am 10. Mai 2008 noch miteinander telefoniert
hatten, wurde er in Petta von drei Personen in Zivil, die in einem
weißen Van gekommen waren und sich als Kriminalbeamte ausgaben,
entführt. Das erzählten mir Zeugen später.« Eehai (Name geändert)
glaubt, dass sein Bruder immer noch im Gewahrsam der Geheimpolizei CID
ist, weil mutmaßliche CID-Männer am Tag nach der Entführung alle seine
Dokumente beschlagnahmten. Auf die Frage, ob er versuchte habe, in einem
CID-Büro nachzufragen, sagt er erstaunt: »Sie wissen doch, dass ich
Tamile bin. Wie könnte ich das tun!«
Jetzt, da die Regierung die LTTE militärisch besiegt hat, fürchten die
Tamilen in Colombo und anderen Teilen des Landes, wo sie in der
Minderheit sind, eine noch stärkere Unterdrückung als bisher.
»Die Zerschlagung der LTTE bedeutet, dass die politische Lösung, die
unbedingt benötigt wird, um den Konflikt zu beenden, in noch weitere
Ferne rückt«, erklärt ein Aktivist der Tamilen in Colombo. »Die LTTE ist
etwa 30 Jahre alt. Die Wurzeln des Konflikts auf der Insel reichen 60
Jahre zurück. Der militärische Weg zur 'Lösung' eines politischen
Problems führt nicht zu diesen Wurzeln«, betont ein anderer Aktivist,
ein Singhalese. Doch nicht viele seiner Landsleute teilen derzeit seine
Meinung.
* Aus: Neues Deutschland, 22. Mai 2009
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