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Regierung und Opposition vor einer Einigung?

Neue Anschläge der "Befreiungstiger"

Im Juni 2000 kommt Bewegung in die innenpolitische Landschaft des vom Bürgerkrieg geschüttelten Landes. Die Regierung ist zu Zugeständnissen an die Tamilen bereit, deren bewaffneter Arm denkt aber noch nicht ans Aufhören. Auch das politische Schicksal von Präsidentin Kumaratunga dürfte von en Verhandlungsergebnissen abhängen. Wir dokumentieren einen Artikel aus der jungen welt.

Wacklige Friedenslösung

Verhandlungserfolg in Sri Lanka bisher ohne LTTE- Beteiligung. Neue Kämpfe befürchtet

Die Aufregung in Sri Lanka steigt. Zum einen stehen die Verhandlungsbemühungen zwischen Regierung und Opposition offenbar vor einem nahen Erfolg. Zum anderen aber ist mit neuen Anschlägen der Befreiungstiger vor Tamil Eelam (LTTE) die drei bis vier Wochen andauernde relative Ruhe im Kampf im nördlichen Teil der Halbinsel von Jaffna vorbei. Militärsprecher sehen bereits neue Kämpfe für die nächste Zeit voraus, jährt sich doch in Kürze der sogenannte »Schwarze Juli«, als vor Jahren antitamilische Gewalt die Straßen der Hauptstadt Colombo beherrschte. Die Armee befürchtet, die Rebellen der LTTE könnten den Jahrestag nutzen, neue Attacken zu unternehmen und drängen ihrerseits darauf, mit der seit dem Frühjahr durch zahlreiche Waffenkäufe (darunter aus Israel) aufgestockten militärischen Ausrüstung gegen die »Tiger« vorzugehen.

Die Politik hält davon im Augenblick offenbar nichts, steht man doch kurz vor einem Erfolg in den Bemühungen um eine diplomatische Lösung. Zumindest zwei der Verhandlungsparteien, die Regierung von Präsidentin Chandrika Kumaratunga und die konservative größte Oppositionspartei UNP, haben sich dem Vernehmen nach auf die Einrichtung eines regionalen Interimsrates für den Nordteil des Inselstaates verständigt. Dieses Gremium soll für fünf Jahre eine Art Übergangslösung darstellen, bis das Problem zwischen den Bevölkerungsgruppen - Sinhalesen und tamilische Minderheit - als Ganzes gelöst werden kann.

Die tamilischen Parteien im srilankischen Parlament haben unterschiedlich auf die langersehnte Einigung zwischen Kumaratungas linksliberalem Regierungsbündnis Volksallianz (PA) und der Nationalpartei (UNP) reagiert. So begrüßte die Volksdemokratische Partei von Eelam (EPDP) den Erfolg ausdrücklich und ohne Einschränkungen, die moderate Tamilische Vereinigte Befreiungsfront (TULF) forderte ihrerseits die LTTE-Rebellen auf, sich nun mit an den Verhandlungstisch zu setzen. Ohne die LTTE, machte sie deutlich, sei die Lösung höchstens eine halbe. Das sehen auch die anderen Gruppen wie z. B. der Tamilenkongreß so, die mit ihrer Kritik an der Einigung ohne die Guerillavertreter nicht hinter dem Berg hielten.

Die LTTE nun mit an den Verhandlungstisch zu bringen, ist Aufgabe der ausländischen Vermittler, namentlich des norwegischen Sondergesandten Erik Solheim, der inzwischen wieder nach Südasien gereist ist. Er steht in engem Kontakt mit Indien, das sich gegenüber Norwegen aber im Hintergrund hält, sich offenbar derzeit auch wegen der Stimmung im eigenen südlichen Unionsstaat Tamil Nadu nicht zu sehr in die erste Reihe stellen will. Die skandinavischen Vermittler haben allerdings angekündigt, Sri Lankas großen Nachbarn ständig über Fortschritte oder Probleme auf dem Laufenden zu halten. Zumindest was die direkten Verhandlungspartner angeht, haben beide Seiten Vertrauen zu Solheim und dessen Mitstreitern. Regierung wie auch LTTE hatten voriges Jahr die Norweger ins Spiel gebracht, die sich schon um den Friedensprozeß im Nahen Osten verdient gemacht haben.

Radikale sinhalesische Gruppen, die zum Teil in den vergangenen Wochen neu gegründet wurden, sperren sich allerdings gegen jede Art von Kompromiß mit den Tamilen. So kam es dieser Tage selbst zum Eklat mit US-Diplomaten, als die eine Gesprächsrunde mit Führern einer sinhalesischen Organisation abrupt verließen. Ihr Versuch, Nachdenken über tamilische Minderheitenrechte bei den Hardlinern zu erzeugen, hatten diese mit schweren Vorwürfen gegen die US-Bomben auf Hiroshima und Nagasaki sowie die noch immer bestehende Benachteiligung der Schwarzen in den USA beantwortet. Zudem kam es aus der gleichen politischen Richtung sinhalesischer Radikaler zu einem Bombenanschlag auf eine norwegische Hilfsvereinigung, bei der es allerdings keine Opfer gab.

Präsidentin Kumaratunga müht sich, ein möglichst offenes Klima für die weiteren Verhandlungen zu schaffen. Persönlich hob sie das Verbot einer Wochenzeitung auf, das vor etwa einem Monat verhängt worden war. Seit das Kriegsrecht ausgerufen wurde, müssen sämtliche Beiträge einem staatlichen Zensor vorgelegt werden, der mögliche »Rebellen- propaganda« herausfiltern soll. Auch die einzige tamilische Zeitung in der umkämpften Nordmetropole Jaffna, von der LTTE als Hauptstadt der Tamilen angesehen, ist derzeit geschlossen. Berichte über Zivilopfer der militärischen Regierungsoffensive waren ihr zum Verhängnis geworden. Die Staatschefin will offensichtlich aus einer Position der Stärke heraus den Verhandlungsprozeß forcieren. Ob Rebellenführer Prabakaran sich allerdings darauf einläßt, vermag niemand zu sagen. Der Chef der LTTE gilt als unberechenbar, schon mehrfach sind diplomatische Lösungen nicht nur am Starrsinn früherer Regierungsvertreter, sondern vor allem auch an ihm gescheitert. Mehr als 61 000 Tote hat der Konflikt in den 17 Jahren seit dem Ausbruch 1983 gefordert, und vor allem die nach wie vor unübersichtliche Lage rund um Jaffna, wo 500 000 Menschen faktisch zwischen den Fronten gefangen sind, schließt einen schnellen Durchbruch aus. Sollte die LTTE mit den jüngsten Attacken es wieder auf Kampf anlegen, würde die Armee schnell zur Stelle sein.

Thomas Berger

Aus: junge welt, im Juni 2000

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