Humanitäre Katastrophe
Mehr als 100.000 Menschen in Sri Lanka in die Flucht getrieben
Von Stefan Mentschel, Delhi *
Nach der Bombardierung eines Waisenhauses ordnete Sri Lankas Regierung die Schließung aller
Schulen an. UN-Generalsekretär Annan forderte die Konfliktparteien zur Rückkehr an den
Verhandlungstisch auf.
Sri Lanka kommt nicht zur Ruhe. Am Dienstag lieferten sich Regierungstruppen und Befreiungstiger
von Tamil Eelam (LTTE) wieder heftige Kämpfe auf der Halbinsel Jaffna. Auch aus anderen Teilen
des von den Rebellen kontrollierten Gebiets im Norden und Osten des Landes wurden Zwischenfälle
gemeldet.
Nach Ansicht von Jehan Perera, Direktor des Nationalen Friedensrats von Sri Lanka, haben die seit
drei Wochen anhaltenden Kämpfe eine »humanitäre Katastrophe« ausgelöst. »Binnen weniger Tage
wurden mehr als 100 000 Menschen zu Flüchtlingen. Und die Zahl steigt täglich«, erklärt Perera
gegenüber ND. Hilfsorganisationen bleibe jedoch der Zugang zum Kampfgebiet verwehrt. Ein Grund
dafür sei, dass es sich um einen unerklärten Krieg handelt. »Offiziell ist die vor vier Jahren
verabschiedete Waffenruhe noch in Kraft«, so Perera. Diese Situation nutzten beiden Seiten, um
gegen völkerrechtliche Normen zu verstoßen.
Erst am Montag waren beim Angriff der Luftwaffe auf ein Waisenhaus nahe der Stadt Mullaittivu
zahlreiche tamilische Jugendliche ums Leben gekommen. Die LTTE spricht von 61 Toten und 129
Verletzten. Die Armee behauptet, es habe sich um ein Trainingslager der Rebellen gehandelt.
Skandinavische Waffenstillstandsbeobachter fanden indes keine Hinweise auf eine militärische
Nutzung des Komplexes. Allerdings konnten sie die hohe Opferzahl nicht bestätigen. In einem
Krankenhaus seien aber die Leichen von 19 jungen Frauen gefunden worden. Als
Vorsichtsmaßnahme gegen mögliche Vergeltungsakte der LTTE hat die srilankische Regierung
inzwischen die Schließung aller Schulen des Landes für zwei Wochen angeordnet.
Rätsel gibt derweil der Bombenanschlag auf den Fahrzeugkonvoi des pakistanischen Botschafter
auf. Dabei waren am Montag in Colombo sieben Menschen ums Leben gekommen, der Diplomat
blieb unverletzt. Sicherheitsexperten vermuten, dass es sich um eine Warnung der LTTE gehandelt
haben könnte, da Pakistan Sri Lanka militärisch unterstützt. Beweise gibt es dafür bislang nicht.
Trotz des anhaltenden Blutvergießens bekräftige Staatspräsident Mahinda Rajapakse in einem
Interview das Bekenntnis seiner Regierung zum Frieden. An die Rebellen gerichtet sagte er, dass
die Türen für Verhandlungen weiterhin offen stünden. Kurz zuvor hatte UNO-Generalsekretär Kofi
Annan die Konfliktparteien aufgefordert, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Die LTTE
schloss Gespräche bis auf weiteres aus.
* Aus: Neues Deutschland, 17. August 2006
Zurück zur Seite Sri Lanka
Zurück zur Homepage