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Der Feind als "Täter"

Sri Lankas Regierung schlachtet Sprengstoffanschlag in Colombo propagandistisch für Kriegsoffensive aus

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Im Geschäftsviertel Pettah der srilankischen Hauptstadt Colombo, unweit des Hauptbahnhofs und des zentralen Busbahnhofs, wurden am Samstag 50 Passanten verletzt, als an einem Kiosk eine Sprengladung explodierte. Das Verteidigungsministerium hatte wie gewöhnlich bei solchen Vorfällen die Schuldigen umgehend ausgemacht, noch ehe Spuren gesichert, geschweige denn Täter dingfest gemacht worden waren: die Organisation der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE). Das Büro des Präsidenten Mahinda Rajapakse schlug in einer Stellungnahme in die gleiche Kerbe und behauptete, mehrere Versuche der LTTE, in jüngster Zeit Bombenattacken gegen Regierungseinrichtungen, gegen den öffentlichen Transport und gegen Zivilisten auszuführen, seien verhindert worden, weil gefangengenommene Rebellen zweckdienliche Informationen geliefert hätten. Bekannt hat sich zu dem Anschlag vom Samstag allerdings niemand. Doch die Regierung schlachtet ihn propagandistisch für seine seit Jahresanfang laufende Offensive gegen die Tamilrebellen im Norden Sri Lankas aus.

Am Freitag hatte die Luftwaffe zwei LTTE-Stützpunkte angegriffen und zerstört, wobei angeblich 34 Tamiltiger und ein Soldat getötet worden waren. Zuvor hatte das Militär Flugblätter über LTTE-Gebiet abgeworfen, in denen die Bevölkerung aufgefordert worden war, schleunigst zu fliehen. Sie sollte sich unter den »Schutz der Regierungstruppen« begeben, erklärte dazu Verteidigungssekretär Gotabhaya Rajapakse, der Bruder des Präsidenten. Colombo schürt damit die Angst unter den Tamilen vor intensivierten Bombardements. Nach UN-Angaben sind in den letzten Monaten 150000 Zivilisten aus dem Norden geflohen, davon allein 50 000 seit Juni.

Das Militär wendet im Norden die gleiche Taktik an, wie im Juli 2007 bei der Eroberung der östlichen Provinz. Es führt wuchtige Schläge, vor allem aus der Luft, und versucht, die Kommandozentrale der Rebellen in Kilinochi zu erobern. Seit Frühjahr sind die Streitkräfte an mehreren Frontabschnitten tief in LTTE-Kernland eingedrungen. Die Rebellen wehren sich mit gelegentlichen Kontern, wie Mitte voriger Woche, als eines ihrer Leichtflugzeuge die Marinebasis in Trincomalee bombardierte. Doch läßt sich Colombos Kriegsmaschinerie damit nicht aufhalten. Laut Angaben des Verteidigungsministeriums, die nicht nachprüfbar sind, wurden seit Januar bei den Kämpfen fast 6200 Befreiungstiger und 590 Soldaten getötet.

Bei der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit kommt die Militäroffensive offensichtlich gut an, weil sie glaubt, so ließe sich der ethnisch-soziale Konflikt mit der tamilischen Minderheit ein für allemal lösen. Bei jüngsten Wahlen in zwei Provinzen, die Colombo als »Referendum« für seine Kriegspolitik plakatierte, gewann die regierende Rajapakse-Koalition jedenfalls überzeugend. Außer seiner Waffenübermacht hat der Präsident jedoch nichts zu bieten: keinen politischen Kompromiß, kein Angebot an die Tamilen, keine Fortschritte bei dem sogenannten Komitee der Allparteien-Repräsentanten, das eigentlich Wege für eine friedliche Beilegung des Konfliktes finden soll. Seit Colombo im Frühjahr einseitig das Waffenstillstandsabkommen beendete, kennt es nur noch ein Ziel -- die LTTE zu eliminieren und den Tamilen weiterhin Gleichberechtigung vorzuenthalten.

* Aus: junge Welt, 2. September 2008


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