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Vom Wahlresultat hängt ab, welchen Weg Sri Lankas Politik einschlagen wird

Am 17. November fanden in Sri Lanka Wahlen statt - Die tamilischen Befreiungstigern (LTTE) bleiben der Hauptfeind

Im Folgenden dokumentieren wir Berichte, die vor der Wahl geschrieben und veröffentlicht wurden. Am Abend des 18. November gab es folgendes erstes Zwischenergebnis:
"Bei der Auszählung der Präsidentenwahl in Sri Lanka liegt der amtierende Regierungschef Mahinda Rajapakse in Führung. Nach den Ergebnissen aus 113 der 160 Wahlkreise entfielen auf Rajapakse rund 51 Prozent der Stimmen. Sein Konkurrent, der Oppositionsführer Ranil Wickremesinghe von der Vereinten Nationalpartei, kam nach demselben Auszählungsstand auf rund 47 Prozent. (dpa)



Kampf der Extreme

Präsidentenwahl in Sri Lanka entscheidet auch über Weg zur Lösung des schwelenden ethnisch-sozialen Konflikts. Konträre Ansichten zu tamilischer Autonomie

Von Hilmar König*

Am Donnerstag [17.11.2005] entscheiden die Wähler in Sri Lanka über einen neuen Präsidenten. Die charismatische Chandrika Kumaratunga tritt als Staatsoberhaupt ab; laut Verfassung darf sie nicht noch einmal kandidieren. Welche innenpolitische Rolle sie künftig spielen wird, bleibt abzuwarten. Noch besitzt sie als Chefin der Freiheitspartei Sri Lankas (SLFP) beträchtlichen Einfluß.

Vom Wahlresultat hängt ab, welchen Weg Sri Lankas Politik einschlagen wird, um den ethnisch-sozialen Konflikt zwischen tamilischer Minderheit und singhalesischer Mehrheit – seit 1983 blutig ausgetragen – einer Lösung näherzubringen. Denn im Präsidialsystem Sri Lankas stellt das Staatsoberhaupt nicht nur die politischen Weichen, sondern trifft auch die Entscheidungen. Der Premier hingegen ist für deren praktische Umsetzung verantwortlich. Der gegenwärtige Regierungschef und Kandidat der regierenden SLFP, Mahinda Rajapakse, gilt als einer der beiden Hauptanwärter auf das Präsidentenamt. Sein Gegenspieler ist Expremier Ranil Wickremasinghe von der Vereinten Nationalpartei (UNP).

Militärische Option

Rajapakse ist zwar kein klarer Favorit, kann aber mit etlichen Trümpfen aufwarten. Besonders ins Gewicht fällt, daß er mit der singhalesisch-chauvinistischen Volksbefreiungsfront JVP, die sich von einer militanten Bewegung in den 80er Jahren zu einer politischen Partei in den 90ern mauserte, ein Bündnis einging. Damit wurde er für einen beträchtlichen Teil der singhalesischen Wählerschaft hoffähig. Sie sehen in den tamilischen Befreiungstigern (LTTE) den Hauptfeind eines zwar multiethnischen, aber ungeteilten Nationalstaates und glauben, die Rebellen nur militärisch in die Knie zwingen zu können.

In dem SLFP-JVP-Pakt ist die Rede von einem »neuen Ansatz« für die Lösung des ethnischen Konflikts. Das gemeinsame Manifest schließt eine Föderation aus und hält einen Einheitsstaat für unabdingbar. Kumaratunga hingegen schwebte eine »Union der Regionen« vor, in der für ein tamilisches Territorium weitreichende Autonomie vorgesehen war. Solche Vorstellungen, äußerte ein Sprecher Rajapakses, seien inzwischen Geschichte. Laut Wahlpakt soll die Waffenruhe von 2002 überprüft werden. Das Selbstbestimmungsrecht der Tamilen wird nicht anerkannt, der Alleinvertretungsanspruch der LTTE strikt abgelehnt. SLFP und JVP wollen eine Konfliktregelung finden, die »von der Bevölkerungsmehrheit akzeptiert wird«. Rajapakse wird von 24 politischen Parteien, vom buddhistischen Klerus und von vielen Singhalesen unterstützt.

Soziale Themen betont

Ranil Wickremasinghe dagegen hätte mit dem Pfund wuchern können, daß es in seiner Amtszeit als Premier zu Gesprächen mit der LTTE kam, die allerdings 2003 von den Rebellen abgebrochen und bis heute nicht wieder aufgenommen wurden. Vor allem kann er sich anrechnen, daß das Land seit der 2002 unter norwegischer Vermittlung ausgehandelten Waffenruhe relativ friedliche Verhältnisse erlebt. Doch offensichtlich hat Wickremasinghe erkannt, daß er dem auf der nationalistischen Welle reitenden Rajapakse in dieser Frage nicht das Wasser reichen kann. Oder er will es nicht. Er bot dem Gegner zwar Zusammenarbeit bei der Lösung des Konflikts an, rückte jedoch in seiner Wahlkampagne mehr die aktuellen sozialen und Wirtschaftsprobleme – Arbeitslosigkeit, Inflation, Armut – in den Vordergrund. Auf einen Teil der Wähler mag das wirken. Aber der Muslim Congress, die Tamilische Nationale Allianz, die gewerkschaftlich organisierten tamilischen Teeplantagenarbeiter unterstützen ihn nicht deshalb, sondern weil sie sich unter seinem Zepter mehr Gleichberechtigung für die Minderheiten erhoffen.

* Aus: junge Welt, 16. November 2005


Verhärtung oder Verhandlung?

Auszug aus einem Artikel von RALF LEONHARD in der taz

(...) Die bewaffnete tamilische Separatistenorganisation LTTE hält sich .. aus den Wahlen heraus - und beeinflusst vielleicht gerade dadurch das Ergebnis. Die Stimmen der 22 Prozent starken tamilischen Bevölkerung können wahlentscheidend sein. S. P. Tamilchelvan, der Chef des politischen Arms der LTTE, versicherte, seine Organisation würde niemanden daran hindern, sein Wahlrecht auszuüben - der LTTE sei es schlicht egal, wer in Colombo regiere. Doch LTTE-nahe Organisationen haben offen zum Boykott aufgerufen. Und in der LTTE-verwalteten Zone, wo 250.000 Wahlberechtigte leben, werden keine Urnen aufgestellt. Wer sich registriert hat, kann in Wahllokalen außerhalb seine Stimme abgeben.
(...)
Unter dem derzeitigen Regierungschef Mahinda Rajapakse wurde kein Versuch unternommen, die unter Vermittlung Norwegens initiierten Verhandlungen wieder aufzunehmen. Rajapakse hat für seine Kandidatur die Unterstützung der radikalen Mönchspartei JHU und der marxistisch-nationalistischen JVP gesucht, einer extremistischen Partei, die schon zweimal, 1971 und 1987-89, blutige Aufstände angezettelt hat und das Konzept des Einheitsstaates unter Dominanz der buddhistischen Singhalesen vertritt. Geradezu hysterisch lehnen die singhalesischen Nationalisten eine Autonomielösung ab. Die aber ist für die LTTE Vorbedingung, um auf ihr ursprünglich weitergehendes Ziel einer tamilischen Eigenstaatlichkeit zu verzichten.

Gerade die Diskriminierung der Tamilen durch die verfassungsmäßige Festschreibung des Singhalesischen als einziger offizieller Sprache und des Buddhismus als Staatsreligion haben jene Unruhen ausgelöst, die 1983 in einem Pogrom gegen Tamilen in Colombo gipfelten und den tamilischen Norden zum Kriegsgebiet machten.
(...)
Aus: taz, 17. November 2005


Kopf-an-Kopf-Rennen in Sri Lanka

Bei der heutigen Präsidentenwahl gibt es keinen eindeutigen Favoriten

Von Hilmar König, Delhi**


Vor dem Hintergrund einer brüchigen Waffenruhe zwischen der Regierung und den Tamilen- Rebellen der LTTE wählt Sri Lanka am heutigen Donnerstag einen neuen Präsidenten. Zwischen Oppositionsführer Ranil Wickremasinghe und Premier Mahinda Rajapakse wird ein Kopf-an-Kopf- Rennen vorausgesagt.

Einen klaren Favoriten gibt es nicht. Doch bei der heutigen Präsidentenwahl in Sri Lanka richtet sich die Aufmerksamkeit vor allem auf zwei Kandidaten: Expremier und Oppositionsführer Ranil Wickremasinghe von der Vereinten Nationalpartei (UNP) und den amtierenden Premier Mahinda Rajapakse von der Freiheitspartei (SLFP). Die anderen elf Bewerber gelten als chancenlos. Vom Ausgang des Duells wird abhängen, welchen Weg Sri Lanka zur Lösung des ethnisch-sozialen Konflikts im Norden und Osten des Landes einschlägt, der 1983 mit dem Beginn des bewaffneten Kampfes der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) für einen unabhängigen Staat ausbrach. In Wickremasinghes Amtszeit hatten Rebellen und Regierung 2002 unter norwegischer Vermittlung ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet. Es war der Höhepunkt der ersten Kontakte zwischen beiden Seiten, die auf eine politische Regelung des Konflikts zielten. Doch bereits 2003 setzten die Befreiungstiger den Dialog wieder aus. Zwar blieb die von der »Sri Lanka Monitoring Mission« überwachte Waffenruhe trotz schwerer Verletzungen in Kraft, doch an den Verhandlungstisch fand man nicht zurück. Selbst die verheerende Tsunami-Katastrophe, die im Dezember vergangenen Jahres alle ethnischen Gruppen Sri Lankas traf, führte nicht zu einer Wiederaufnahme der Kontakte.

Vor diesem Hintergrund gilt Wickremasinghe bei einem Teil der Wähler als »Mann des Friedens« und beim anderen als »Verräter«, der LTTE-Chef Velupillai Prabhakaran zu viel Spielraum für die Aufrüstung seiner Guerilla ließ. Um den Vorwürfen keine neue Nahrung zu liefern, vermied der UNPKandidat, den Konflikt in den Mittelpunkt seiner Wahlkampagne zu stellen. Er versprach sogar, dem Separatismus ein Ende machen zu wollen. Zugleich versicherte er, im Falle eines Wahlsieges gemeinsam mit der SLFP an einer Konfliktlösung zu arbeiten. Ansonsten rückte Wickremasinghe Wirtschaftsprobleme in den Mittelpunkt seiner Reden und versprach, den Hunger zu besiegen und die Arbeitslosigkeit zu verringern. Er wetterte gegen steigende Lebenskosten und massenhaftes Drucken von Papiergeld zur Vertuschung der Inflation.

Ob das ausreicht, um die Gunst der Wähler aus der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit zu gewinnen, hängt auch von anderen Faktoren ab. Wickremasinghe kann mit der politischen Unterstützung des Muslim Congress, der Tamilischen Nationalen Allianz, der gewerkschaftlich organisierten tamilischen Plantagenarbeiter und – verdeckt – auch der LTTE rechnen, obwohl die offiziell kein Interesse an der »singhalesischen Präsidentenwahl« bekundet.

Premier Mahinda Rajapakse genießt die Unterstützung von zwei Dutzend politischen Parteien, vom buddhistischen Klerus und von jenen Singhalesen, die die LTTE als Bedrohung des Einheitsstaates betrachten. Ihnen kam Rajapakse entgegen, als er einen Wahlpakt mit der starken singhalesischchauvinistischen Volksbefreiungsfront (JVP) einging und sich von den bisherigen Vorstellungen der SLFP und deren Vorsitzender, Noch-Präsidentin Chandrika Kumaratunga, über eine Konfliktlösung verabschiedete. Kumaratunga befürwortet eine »Union der Regionen«, in der die tamilische Minderheit weit gehende Autonomie erhalten hätte. SLFP und JVP hingegen streben nach einem »neuen Ansatz«, der eine Föderation ausschließt und einen Einheitsstaat für unabdingbar hält. Zudem soll die Waffenruhe von 2002 überprüft werden. Beide Parteien lehnen auch den Alleinvertretungsanspruch der LTTE für die Tamilen ab und fordern eine Konfliktregelung, die »von der Bevölkerungsmehrheit akzeptiert wird«. Es scheint, als habe Rajapakse damit die besseren Karten. Fraglich ist nur, ob er die tiefe politische Krise in Sri Lanka beenden kann.

** Aus: Neues Deutschland, 17. November 2005


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